Am Dienstag stellte Historiker Dr. Matthias Wipf sein neues Buch «Als wäre es gestern gewesen» über die Bombardierung von Schaffhausen im Zweiten Weltkrieg vor. Es schliesst die letzte Forschungslücke. Von Hermann-Luc Hardmeier.
Fotos: Hermann-Luc Hardmeier
«Da steckt schon viel Herzblut drin», sagte Verleger Thomas Stamm, als er die Vernissage über das neue Buch über die Bombardierung von Schaffhausen am 1. Aprill 1944 eröffnete. Der Anlass fand am Dienstagvormittag im Haberhaus statt. Ein symbolträchtiger Ort, da das Nebenhaus «Restaurant Landkutsche» einen Volltreffer während dem Angriff erlitt. Dr. Matthias Wipf ist der ausgewiesene Experte für das Thema und hat alle relevanten Quellen gesehen, aufgearbeitet und in mehreren Büchern präsentiert. «Die Faktenlage ist klar», sagte er den Anwesenden. «Was noch fehlte, war eine Sammlung von persönlichen Schilderungen von Zeitzeugen. Das schliesst die letzte Forschungslücke.» Matthias Wipf kennt viele der Betroffenen Opfer persönlich. Als drei von ihnen kürzlich verstorben sind, beschloss er, das Buchprojekt zu starten. «Ich empfand es als Verpflichtung, dass die Erzählungen nicht verloren gehen für die Nachwelt.» Zudem sei es quasi die letzte Gelegenheit gewesen, solange noch Menschen aus der damaligen Zeit am Leben sind und erzählen können. Zunächst waren es acht Geschichten, schlussendlich dann 35. Mit aufwändigen Recherchen in Archiven, Zeitungen und Gesprächen konnte eine Sammlung von spannenden Geschichten aufgearbeitet werden, welche es so noch nirgends zu lesen gab (siehe Buchbesprechung unten). Er hat ausgerechnet, dass er fast 1000 Stunden Arbeit investiert hat. Durch sein hartnäckiges Nachfragen hat er nicht nur bisher unbekannte Schicksale beleuchtet, sondern auch herausgefunden, dass etwa Bestsellerautor Erich von Däniken im Steigschulhaus war, als nebenan eine Bombe niederging, oder Margaretha Tanner, die einzige Miss Schweiz mit Schaffhauser Wurzeln, am 1. April in der Munotstadt im Spital lag und ihr Bett für eine Verwundete räumen musste dass etwa Bestsellerautor Erich von Däniken oder die einzige Miss Schweiz mit Schaffhauser Wurzeln am 1. April in der Munotstadt betroffen waren.
Hitler ist schuld
Foto: Melanie Duchene
An der Vernissage anwesend waren Ursula Oertli-Huber, welche als Baby aus den Flammen gerettet wurde. Zudem Hans Baader, der durch die Bombardierung als 14-Jähriger beide Eltern verlor. Sie standen stellvertretend für die 40 Toten und 270 Verletzten des tragischen Ereignisses. Ihre Geschichten standen sodann im Zentrum des Anlasses. Ursula Oertli-Huber war damals 19 Monate alt und hat deshalb keine Erinnerungen an den 1. April. Sie erzählte jedoch eindrücklich, wie die Familie alles verloren hatte. «Wir waren ausgebombt, hatten keine Wohnung mehr und nur noch die Kleider am Leib». Zudem zeigte sie die Ehrenmedaille, welche ihre Schwester für die Rettung von der Stadt erhalten hatte. Hans Baader schilderte, wie sein Vater am Bahnhof im Zug sass und seine Mutter ihm den Koffer bringen wollte. Der Volltreffer des Bahnhofs und des Zuges beendete nicht nur ihr Leben, sondern machte Hans Baader auch zum Vollwaisen. Er schilderte, wie er verzweifelt auf die Rückkehr der Mutter wartete, sie in er Abdankungshalle identifizieren musste und wie ihm ein Soldat die Gelegenheit nahm, sich richtig zu verabschieden. Die Frage drängte sich auf: Verspürte er keinen Hass auf die Amerikaner? «Für mich ist klar, dass es ein Versehen war. Die blutjungen Amerikaner hatten nur eine Kurzbleiche als Ausbildung und kaum geographische Kenntnisse.» Er sagte, man habe damals viel mehr sehnsüchtig darauf gewartet, dass eine 2. Front gegen die Nazis eröffnet wurde. Wie es dann am 6. Juni mit dem D-Day auch geschah. «Schlussendlich ist Hitler mit seinem Krieg schuld am Angriff auf Schaffhausen» unterstreicht er. «Vor ihm hatten wir Angst und waren bereit, die Lasten zu tragen, bis er besiegt war.» Nicht nur die Geschichten von Hans Baader und Ursula Oertli-Huber beeindruckten, sondern auch jene von Verleger Thomas Stamm, welche er zur Eröffnung erzählte. Seine Grossmutter stieg während dem Angriff aufs Dach des Metropols in der Unterstadt (heute Meier’s Pool). Mitsamt Baby im Arm. «Sie musste sich danach in der Familie immer wieder Sprüche zum Thema Verantwortungslosigkeit anhören», scherzte Stamm. Matthias Wipf unterstrich, dass auch dies eine verbreitete Haltung war: «Durch die vielen Fliegeralarme nahmen es die Leute zunehmend als Attraktion wahr. Man hätte wohl ein Drittel weniger Opfer am 1. April gehabt, wenn die Bevölkerung korrekt in die Luftschutzkeller gegangen wäre.» Der Autor gibt mit seinem Buch 35 Zeitzeugen die Gelegenheit, die Ereignisse von damals fernab von verstaubten Geschichtsbüchern lebendig zu erzählen und zu erleben. «Ich habe oft kritisiert, dass für die Bombardierungsopfer kein richtiges Denkmal gebaut wurde», so Wipf. «Ich bin deshalb stolz, dass ich das mit diesem Buch vielleicht ein bisschen korrigieren konnte.»
Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 23. Februar 2022. Von Hermann-Luc Hardmeier.