Die Beute von Stereo Luchs flippte aus

Stereo Luchs brachte mit Dancehall-Vibes am Samstagabend die proppenvolle Kammgarn zum Kochen. Er sprach aber auch über den Ukrainekrieg. Von Hermann-Luc Hardmeier.

Foto: Christoph Merki, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier

Luchse sind dafür bekannt, dass sie sich erst in der Abenddämmerung aus dem Wald herauswagen. Sie lauern ihrer Beute auf und pirschen sich langsam an sie heran. Ganz anders war am Samstagabend der Auftritt von Stereo Luchs in der Kammgarn. Mit Stroboskop-Blitzen und lauten Beats vom DJ-Pult stürmte der Protagonist des Abends auf die Bühne. In der freien Wildbahn wären die Beutetiere wohl vor Schreck erstarrt. Im Kulturtempel am Rhein jedoch wurde er gefeiert, als hätte man seit der Coronapause sehnsüchtig nur auf ihn gewartet. Proppenvoll war der Saal mit jungen Menschen. Die Songs wurden lautstark mitgesungen. Die Besucher tanzten und prosteten sich begeistert zu.

Vom Architekten zum Solokünstler

Wie kam es dazu, dass Silvio Brunner, wie Stereo Luchs im bürgerlichen Leben heisst, so durchstarten konnte? 2007 brachte er zusammen mit dem Dancehallkünstler Phenomden sein erstes Album heraus. Sie lebten damals zusammen in einer WG in Zürich und nahmen die Erfolgsscheibe in ihrem Studiokeller auf. Eher unscheinbar und ein bisschen als Sidekick von Phenomden fiel Stereo Luchs noch nicht so auf, dass er die Kammgarn hätte füllen können. Das war ihm auch sehr recht, denn er hatte ein anderes Ziel: Er studierte Architektur. Später arbeitete er bei der Zürcher Baudirektion und merkte erst dann, dass für ihn Musik mehr als nur ein kleines Hobby sein soll. Er entschied sich für eine Solokarriere und brachte 2013 sein erstes eigenes Album «Stepp usem Reservat» heraus. Danach sollte es nochmals vier Jahre gehen, bis er endlich die Rakete mit Vollgas zünden konnte. Bei den Alben «Lince» von 2017 und «Off Season» von 2019 schnellten die Verkäufe in die Höhe. Stereo Luchs wurde nicht nur in den Clubs, sondern auch im Radio gespielt. Am Samstagabend war er nun mit seiner neusten Scheibe «Stereo Luchs» auf Tourstopp in der Munotstadt. Nachdem die Musikerin Soukey als Vorband eingeheizt hatte, gab es bei seinem Betreten der Bühne kein Halten mehr.

Wie eine Haifischattacke

Die Musik von Stereo Luchs bewegt sich zwischen Dancehall, R&B und HipHop. Leicht gewürzt mit Afrobeats und etwas Pop. Als Besucher fühlte man sich an eine gemütliche Gummibootfahrt auf dem Rhein erinnert. Die Sonne brennt und man geniesst in vollen Zügen den Sommer. Doch für’s Faulenzen bleibt keine Zeit, denn die Gummibootfahrt wird regelmässig von Attacken gefrässiger Haifische oder von einem blitzartig aufgetauchten Wassertornado gestört. Kurz gesagt: Gemütlichkeit trifft auf Eskalation. Die Gäste tanzten nicht nur, sie sprangen in die Luft, wirbelten ihre Pullover wie Helikopterproppeller über ihren Köpfen oder zückten die Feuerzeuge. «Vielen Dank für den warmen Empfang und für die Vibes», freute sich Stereo Luchs und liess sich auch selbst ein paar Tanzschritte entlocken. Der Künstler war aber nicht nonstop eine Partykanone. Immer wieder nahm er sich auch Zeit für ruhigere Lieder und wurde an einer Stelle der Veranstaltung auch politisch. Er kritisierte den Krieg in der Ukraine und legte eine Schweigeminute für die Opfer ein. Es war sehr beeindruckend, wie über 700 Gäste schweigend im Saal standen und ihre Feuerzeuge oder Smartphones kämpferisch und mitfühlend in die Höhe hielten. Danach spielte Stereo Luchs nochmals einige seiner grössten Hits und liess die Kammgarn begeistert zurück. Der Abend ging danach mit einer deftigen Afterparty bis in die frühen Morgenstunden weiter. Stereo Luchs verabschiedete sich unter grossem Applaus von der Bühne und bilanzierte passend: «Schaffhausen, ihr wart unglaublich nice!»

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten am Montag, 21. März 2022.