«Tanzhausen, gebt mir eure Energie!»

«Crimer» zeigte am Samstagabend in der Kammgarn, dass die sonst so gemütlichen 80er-Jahre auch für eine wilde Partystimmung sorgen können.

Bildlegende: Crimer begeisterte mit 80er-Pop und tanzte sich dabei die Seele aus dem Leib. (Foto: Melanie Duchene, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier)

Der Samstagabend startete gemütlich und relativ harmlos in der Kammgarn. Die Schaffhauser Support-Band «Walter Frosch» stimmte die Gäste mit viel Wave und Elektropop auf den Hauptact ein. Das violett-rote Licht gepaart mit viel Nebel aus der Trockeneismaschine erzeugten ein etwas mysteriöses Ambiente. Man könnte sich gut vorstellen, dass dieser Soundtrack auf der internationalen Raumstation läuft, während sie im Chillout-Modus durch das Weltall düst. Ein heftiges Meteoritengewitter folgte danach mit der Drag-Queen «Veronica Tention». Zu Disco-Hits tanzte sie powervoll auf der Bühne und performte eine Playback-Show, die für viel Aufmerksamkeit sorgte. Man rätselte und philosophiert über den Auftritt, bis plötzlich das Licht ausging und die Zeit für den «Crimer» angebrochen war. Das Trio auf der Bühne gab ab dem ersten Akkord Vollgas. Die Gäste wurden von einem musikalischen Tsunami ergriffen, der durch die Kammgarn fegte und alles mitriss, was sich im Raum befand. Wer mit dem Sound der 80er-Jahre nur gemütliche Phil Collins Balladen oder «Wake me up before you go-go» von Wham verbindet, wurde kräftig in seinen musikalischen Grundfesten erschüttert. Als hätte man mit der Gabel in die Starkstromsteckdose gestochen, durchzuckte es das Publikum. Die Stimmung kochte heiss und die Begeisterung war den Besuchern anzusehen. Crimer hatte die Eighties in ein wildes Partypacket gepackt. Pompöse Synthesizer gejagt von elektrisierenden Drumcomputern rissen an den Tanzbeinen, bis jeder angesteckt wurde. Auch optisch gab das Konzert viel zu sehen und zu geniessen. Crimer mit dunklem Anzug und Krawatte war flankiert von zwei Herren mit Schnäuzen, die selbst Tom Selleck zu seinen besten Magnum-Zeiten vor Neid hätten erstarren lassen. Gitarrist Moritz Schädler trug dazu ein stylisches Hawaiihemd, Keyboarder Tim Wettstein tanzte und schwang seine Arme, wie wenn er damit die Gäste kollektiv hypnotisieren wollte.

Kritische Texte, feuriger Sound

Die Musik des neuen Albums «Fake Nails» zeigte mit Songs wie «Body Attack» und «My Demons», dass Crimer nicht nur eine feurige, sondern auch eine nachdenkliche Seite hat. Beim Lied «Never Enough» beispielsweise prangerte er sexuellen Missbrauch im Internet an und erhob die Faust gegen alle «Perverslinge», welche in der Onlinewelt lauern. Der Glam-Popper genoss den Auftritt sichtlich. Er sang mit seiner einprägsamen Stimme, als würde er die musikalische Rebellion ankündigen. Dabei tanzte er sich in Ekstase und forderte vom Publikum, es ihm nachzumachen: «Es ist megaschön, dass ihr alle eine gute Temperatur am Start habt. «Tanzhausen», gebt mir eure Energie!» Seine Aufforderung wurde enthusiastisch umgesetzt. Der Hexenkessel an der Baumgartenstrasse kannte kein Halten mehr. Die 80er-Jahre waren jedoch nicht nur bekannt für Michael Jacksons Tanzschritte, sondern auch für die AKW-Proteste, Rudi Völler auf dem Fussballplatz oder Prinz Charles, der damals noch mit Prinzessin Diana zusammen war. Historisch passte zur Musik von Crimer vielleicht am besten das Bild des Mauerfalls. Allerdings in einer radikaleren Version: Er fuhr nicht in einem langsamen Trabi Richtung Grenze, sondern Crimers musikalische Bulldozer riss alles nieder, was ihm im Weg stand. Der Abend war eine gelungene und wilde Zeitreisse, die zum Wochenbeginn wohl für Muskelkater in den Tanzbeinen vieler Besucher sorgen wird.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 21. Februar 2022.