Ein falscher Arzt in einem bizarren Verwirrspiel

Von Hermann-Luc Hardmeier: Pedro Lenz, der Berner Erfolgsautor, hat mit einer musikalischen Lesung die Kammgarn besucht. Ein Theaterbericht von Hermann-Luc Hardmeier.

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Bild: Pedro Lenz überzeugte mit seiner rhythmischen Sprache. (Foto: Simon Brühlmann, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier)

«Es ist beeindruckend, wie viele Leute sich für Mundartliteratur interessieren», freute sich Organisatorin Katharina Furrer. Das Schauwerk hatte am Samstagabend in die Kammgarn zu  einer ganz besonderen Literaturveranstaltung geladen. Der Andrang war gross: Alle Sitz- und Treppenplätze waren ausverkauft. Unter dem Titel «Hohe Stirnen» besuchten Pedro Lenz, der  Autor des Erfolgsromans «Der Goalie bin ig», und Pianist Patrik Neuhaus die Munotstadt. Während Lenz die Geschichte des Auswanderers Peter Wingeier erzählte, begleitete ihn Neuhaus in ansprechenden Sequenzen auf dem Piano. Die Erzählung begann bedächtig, wurde dann jedoch immer humorvoller und teilweise absurd komisch. Lenz betonte in breitem Berndeutsch, in seiner Erzählung gehe es nicht um Fakten, sondern um die Wahrheit. «Und die Wahrheit ist manchmal geschmeidig wie ein Katzenfell.» Lenz nahm in seiner Erzählung die Rolle von August Wingeier ein, der die Lebensgeschichte seines Vaters im 19. Jahrhundert erzählte. Der Uhrenfabrikant Peter  Wingeier hatte Geldprobleme und griff in die Kasse der Vormundschaftsbehörde seines Wohnorts im Emmental. Als man ihm auf die Schliche kam, flüchtete er in eine Schweizer Kolonie nach Argentinien. Wie der Zufall so spielte, starb bei der Überfahrt ein reicher Landmann, und Wingeier übernahm dessen Identität und Beruf als Arzt.

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Zitat von Pedro Lenz. Bericht: Hermann-Luc Hardmeier.

Mit Geld Schweigen erkauft

Sehr amüsant beschrieb Pedro Lenz, wie die Hauptperson sich nun Theophil Romang nannte und ohne jegliche ärztliche Ausbildung als Doktor in der Kolonie waltete. Als ihm ein Neuankömmling auf  die Schliche kam, stellte er diesen kurzerhand als Assistenzarzt ein. Die beiden wanderten  bald weiter, und Theophil gründete eine Ortschaft, die seinen Nachnamen tragen sollte: Romang.  Das Geschäft florierte prächtig, und Theophil Romang verlangte, dass sein Sohn August in die Kolonie kommen solle. Es gab in der neuen Heimat einige Irritationen, weil sein Nachkomme
August Wingeier und nicht Romang hiess. Doch mit Geld konnte man sich offenbar damals auch Schweigen erkaufen. Die Jahre zogen dahin. Der Sohn studierte. Der Vater starb. Als August sodann das Erbe antreten wollte, kippte die Situation gänzlich ins Bizarre. Denn wie soll man erben, wenn man nicht gleich wie der Vater heisst? Ein Katz-und-Maus-Spiel mit den Behörden begann, welches Pedro Lenz meisterhaft und äusserst unterhaltsam zu inszenieren wusste. Wie die Geschichte ausgeht, sei an dieser Stelle nicht verraten. Die Besucher hingen Lenz an den Lippen und genossen das Pingpong von Pianomusik und Erzählung. Lenz hat eine rhythmische Sprache,
die sehr gut zur Musik passt. Er verabschiedete sich mit einem «Hasta luego!». Der tosende Applaus der Gäste verriet, dass auch sie ihn bald wiedersehen möchten.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung Schaffhauser Nachrichten am 17. November 2014.