Clau Wau: Ein eisiges Bart-an-Bart-Rennen

Von Hermann-Luc Hardmeier: Einmal im Jahr trifft sich die Weltelite der Samichläuse in Samnaun, um den besten Chlaus zu küren. Eine Reportage von Hermann-Luc Hardmeier.

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Bild: Samichläuse und Samichläusinnen nehmen am Clau Wau teil. (Foto: www.schneehoehen.de, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier)

«Schneller, schneller! Los, wir müssen den Schlitten beschleunigen!», ruft der eine Samichlaus dem anderen zu. Die zwei rasen mit ihrem Holzschlitten die schneebedeckte Rennstrecke in Samnaun hinunter und spüren die Stoppuhr im Nacken. Die zwei Männer mit roten Mänteln und weissen Bärten unter Zeitdruck düsen nicht etwa bei den Dreharbeiten zu einem Samichlaus-Action-Film über die Piste, die kuriose Szene ist das Finale der Samichlaus-Weltmeisterschaft im Bündnerland. Der Tourismusverein Samnaun veranstaltet einmal pro Jahr pünktlich zur Skisaisoneröffnung das so genannte «Clau Wau»: Bei dieser Weltmeisterschaft messen sich die besten Weihnachtsmänner, um den würdigsten Vertreter beziehungsweise das würdigste Team ihrer Gilde zu küren. Angetreten wird in Mannschaften mit je vier Weissbärtigen. Der Event fand seit dem Jahr 2000 nun zum siebten Mal statt und zog am vergangenen Samstag 23 Teams und somit 92 Chläuse und Chläusinnen an.

Laut Christoph Kunz, dem Direktor von Samnaun Tourismus, ist der Anlass der einzige seiner Art in Mitteleuropa. Lediglich in Schweden soll es ebenfalls eine Art Weihnachtsmann-Olympiade geben. «Der Titel ‹Weltmeister aller Nikoläuse› wird aber einzig und allein in Samnaun vergeben», fügt er schmunzelnd hinzu.

Freakige Verkleidungen …

Ein skurriles Bild bietet sich den Zuschauern, als das «Clau Wau» eröffnet wird und die Samichläuse durch das Dorf marschieren. Die Teams haben sich grosse Mühe gegeben, um mit ihren Verkleidungen aufzufallen: Das Team «Post-Chläuse» hat ein Postwägeli dabei, trägt gelbe Mäntel zu den weissen Bärten und verteilt Nüsschen und Schokolade aus grossen PTT-Säcken. «Wir kennen uns von der Arbeit», murmelt Marcel Mosimann aus seinem gelben Kostüm. Die vier sind übrigens tatsächlich waschechte Pöstler und arbeiteten einst im gleichen Verteilzentrum. Ganz vorne am Umzug befindet sich eine Mannschaft, die sich als «Pimp-Chläuse» bezeichnt. Sie tragen protzige Bling-Bling-Goldketten und Pornosonnenbrillen zu ihren Mäntelchen. Bevor einer von ihnen erklären kann, woher sein Team stammt, wird seine Stimme jedoch von lautem Motorenlärm übertönt. Auf zwei schnittigen Motorrädern düsen zwei Nikoläuse vorbei. Im Schlepptau, mit einem Seil an der Maschine befestigt, sind zwei weitere Weihnachtsmänner auf Inlineskates. «Wir haben das ganze Jahr über geübt, Nüssli zu knacken und Mandarinli zu schälen», erklärt Fabian Wyss von den «Offroad-Chläusen». «Ich denke, damit und mit unserem sportlichen Hintergrund – wir machen als Hobby Stuntshows – sind wir bestens auf das «Clau Wau» vorbereitet.» Erfreulicherweise kann am ‹Clau Wau› festgestellt werden, dass die Gleichberechtigungswelle mittlerweile auch den Samichlausberuf erreicht hat. So sind auch zwei Frauenteams angemeldet. Natürlich treten sie ohne Bart auf, und das obligatorische Ho-ho-ho klingt bei ihnen ungleich viel freundlicher als bei den Männern. Das Damenteam «Uh la la» setzt auf optische Reize und ist in roten Miniröcken mit weissem Saum aufmarschiert. Sie haben ein riesiges Päckli auf Rädern dabei und einen düster blickenden Schmutzli mit Fitze. «Ich passe auf, dass niemand meine sexy Santa-Girls belästigt», sagt Schmutzli und lächelt zufrieden.

… und ausgefallene Disziplinen

«Die 23 Teams messen sich in acht verschiedenen Disziplinen und werden dabei von einer dreiköpfigen Jury beurteilt», erklärt Christoph Kunz die Vergabe der Podestplätze. Nach der Parade durchs Dorf müssen sich die Nikoläuse am ersten Posten innert 50 Sekunden der Jury präsentieren. Die Gewinner des letzten Jahres haben eine kleine «Alinghi»-Segeljacht auf Rädern gebaut und hissen auf dem Mast die Schweizer Fahne. Ein Team aus Holland singt in einer Mischung aus Deutsch und Holländisch dem Bewertungsgremium ein Weihnachtslied und die aus Deutschland angereisten «Freiburger Partykläuse» sagen für die Jury im Chor ein Weihnachtssprüchli auf. Sehr spektakulär ist auch die Showeinlage der «Offroad-Chläuse»: Sie springen mitsamt Motorrad und nachgezogenem Inlineskater über eine kleine Schanze und sorgen für anerkennenden Applaus bei den Zuschauern.

Ob der echte Weihnachtsmann mit seinem Wohlstandsbauch die nächste Aufgabe gemeistert hätte, ist zumindest fraglich, zumal die zweite Disziplin, das Kaminklettern, gelinde gesagt nicht ganz unanstrengend ist. Einen gut drei Meter hohen Schornstein muss der Samichlaus hier erklimmen, und dabei soll der Kletterer einen Gschenklisack buckeln. Damit nichts schief geht, werden die Kletterchläuse von der Samnauner Feuerwehr mit Klettergurten gesichert. Während die einen Chläuse noch mit dem Kamin kämpfen, wird von den anderen bereits die nächste Aufgabe in Angriff genommen. Unter Zeitdruck müssen Lebkuchen mit Smarties und Schlagrahm verziert werden. Anschliessend gilt es, mit Schaufeln und Farbspray Schneeskulpturen anzufertigen. Viel zu Lachen gibt es bei der Disziplin «Esel-Trekking». Die Chläuse sind an diesem Posten angehalten, Geschenke in einen Sack zu packen, diesen auf einen Esel zu verfrachten und mit dem Tier anschliessend einen Parcours zu absolvieren. Es gewinnt das schnellste Team. So weit, so gut, wenn da nicht die dickköpfigen Esel wären. Die Tiere verhalten sich nicht gerade so, wie es die Samichläuse gerne hätten: Sie bocken, bleiben störrisch und zeigen sich nicht sonderlich interessiert am «Clau Wau»-Parcours. Die einen Weihnachtsmänner versuchen sie mit Karotten zu locken, was gar nicht so schlecht funktioniert. Andere hingegen sind der Verzweiflung nahe – ein Chlaus versucht sogar, den Esel mit beiden Händen anzuschieben.

Finale am Abend

«Zuerst brauche ich jetzt mal ein Bier», meint Ron Saarloos vom holländischen «Nikolaus-Team». Er und seine drei Schmutzli fürchten sich ein wenig vor den sportlichen Disziplinen und stärken sich zuvor mit Gerstensaft. «Das macht uns nichts aus», meint er. «Wir vier sind Pubbesitzer in Amsterdam und können schon ein, zwei Schlucke vertragen.» Grosse Chancen allerdings rechnet er sich nicht aus: «Natürlich wäre es schön, die 5000 Franken Siegprämie mit nach Hause zu nehmen, aber wir sind eher wegen des Spasses hier, nicht wegen des Zasters.»

Das Finale am Abend scheint sodann mit den Disziplinen «Santa Race» und «Santa Scooter» tatsächlich dem olympischen Gedanken verpflichtet. Beim «Race» laufen jeweils zwei Chläuse mit Schneeschuhen eine Strecke den Hang hinauf und düsen sodann mit einem Airboard wieder hinunter. Das Airboard dient dabei als eine Art Stafettenstab und muss weitergegeben werden. Beim «Scooter» hingegen wird endlich der Samichlaus-Schlitten eingesetzt. Besonders fies dabei: Die gegnerischen Mannschaften dürfen den rodelnden Samichläusen Hindernisse in den Weg stellen.

Die Samichlaus-Weltmeisterschaft endet mit der letzten Disziplin: «Santa Show». Auf der Bühne im Nikolaus-Festzelt geben die Weihnachtsmänner nochmals ihr Bestes. Singend, tanzend und turnend trachten sie, das Herz der Jury zu erobern. Der Samichlaus-Weltmeistertitel geht an die «Balsthaler Turnerchläuse»: «Die Mitglieder unseres Turnvereins besuchen am 6. Dezember tatsächlich als Nikoläuse verkleidet das halbe Dorf», erklärt Thomas Dobler. «Wir sind also echte Samichläuse und haben deshalb die Siegerkrone sicherlich nicht zu Unrecht erworben.» Die Weihnachtsmänner beenden das «Clau Wau» mit einer Freinacht und bescheren Samnaun einen festlichen Saisonstart. Der eine oder andere Besucher des Anlasses dürfte aber nach dieser Überdosis an weissen Bärten, roten Mänteln und nie mehr endenden Ho-ho-ho-Rufen nicht ganz unglücklich darüber sein, dass die Samichläuse wieder für ein Jahr in den Schwarzwald entschwinden.

Reportage von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen im Wochenendmagazin „Express“ der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“.