Wenn Atombomben auf Relativsätze treffen

Buchkritik und Buchtipp von Hermann-Luc Hardmeier: „Die Analphabetin, die rechnen konnte.“

Nein. Nicht gut. Nein. Früher hätte man Bücher mit solch schwerfälligen Titeln von Anfang an bei jedem Verlag abgelehnt. „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand.“ Oder: „Die Analphabetin, die rechnen konnte.“ Was sind denn das für seltsame Konstruktionen im Grammatik-Folterzirkus der Relativsätze?

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Bild: Das Buch des Erfolgsautors Jonas Jonasson. (Foto: Amazon.ch, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier)

Nun, sie gehören zu den Eigenheiten des Erfolgsautors Jonas Jonasson. Allein im deutschen Sprachraum gingen seine Bücher millionenfach über den Ladentisch, und das zu Recht.

Der Schwede hat eine aberwitzige Fantasie, liebt absurde und komplexe Situationen und verbindet dies mit liebenswerten Figuren, die völlig naiv, jedoch erfolgreich durch die Weltgeschichte stampfen. Nachdem der hundertjährige Allan Karlson im ersten Erfolgsbuch, der so ganz nebenbei den Amerikanern und Russen dabei half, die Atombombe zu erfinden, ist beim zweiten Buch mit der Analphabetin alles neu.
Die junge Afrikanerin Nombeko kann nicht lesen, dafür aber rechnen, und das verdammt gut. Zuerst revolutioniert sie im südafrikanischen Slum den Latrinenreinigungsbetrieb. Dann steigt sie in die Regierung auf und hilft mit ihren genialen grauen Zellen bei der Konstruktion von nuklearen Sprengköpfen. Ach ja: Nebenbei lernt sie natürlich perfekt Chinesisch und das mit dem Analphabeten-Dasein ist auch schnell erledigt. Moment mal…: Nukleare Sprengköpfe? Atombomben? Schon wieder?

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Bild: Das wäre bestimmt auch noch ein flotter Titel für Jonassons nächstes Buch. Relativsatz-Monster der BVG-Berlin. (Foto: bvg.de, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier)

Leider ja: Der grosse Clou des ersten Buches wird auch für das zweite Buch verwendet und kommt auf den ersten Blick ziemlich billig und kopiert daher. Offenbar scheint die Todeswaffe, mit welcher man die Welt – je nach Zählung vierzehn oder eben nur zwei Mal – völlig vernichten kann, eine grosse Faszination für Jonas Jonasson auszuüben. Doch was auf den ersten Blick abgehalftert und abgeschrieben klingt, ist schon beim zweiten Blick ziemlich egal.

Einmal mehr gelingt es dem Autor herrlich schöne verwirrende, dreiste und geniale Situationen und Charaktere zu komponieren, die immer wieder aufs Neue für Spannung und Abenteuer garantieren. Sobald man denkt, ok, jetzt haben wir die Spitze des Spassberges und der Politparodien erreicht, legt Jonasson erst richtig los. Da ist ein trotteliger Ingenieur, der lieber Cognac trinkt, anstatt die Übersicht über das südafrikanische Atombombenprogramm behält. Da sind zwei eiskalte israelische Agenten, die aus einer Mischung aus Überlistung und Versehen eine der Nuklearwaffen in die Hände von Nombeko spielen. Da ist ein Amerikanischer Töpfermeister mit Verfolgungswahn, eine Gräfin, die keine ist. Zwei Zwillingsbrüder, die eigentlich gar nicht existieren dürften, und, und, und.

Es macht einen unglaublichen Spass, das Buch zu lesen und wird nie langweilig. Wer wissen will, warum der schwedische Premierminister plötzlich mit einem Lastwagen voller Kartoffeln inklusive einer Atombombe durch die Strassen kurvt, warum man Diamanten niemals im Gebiss eines Toten verstecken sollte und welche Abenteuer die sympathische Nombeko erlebt, der hat mit dem Buch „Die Analphabetin, die rechnen konnte.“ garantiert ins Schwarze getroffen.

Hier wird die Weltpolitik kräftig durcheinander gewirbelt. Fiktive Handlungen mit echten politischen Ereignissen verknüpft und wie gesagt aufs Beste mit Charme, Satire und absurden Erzählungen der Leser unterhalten. Angesichts dieser Qualität des Buches sei dem Autor verziehen, dass er es sich etwas gar einfach machte, erneut mit der nuklearen Gefahr zu spielen und erneut einen unmöglich sperrigen Relativsatz zum Titel machte. Wir sind gespannt, ob Jonas Jonasson beim nächsten Buch diese zwei Schönheitsfehler beseitigen wird.

Von Hermann-Luc Hardmeier