Von Hermann-Luc Hardmeier: Ein Erzähltheater rund um die Entdeckung der Currywurst begeisterte die Zuschauer im Kulturlokal „Alti Fabrik“ in Flaach. Eine Theaterkritik von Hermann-Luc Hardmeier.
Bild: Jaap Achterberg führt gekonnt, faszinierend und spannend als One-Man-Show durch den Abend. (Foto: Hermann-Luc Hardmeier, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier).
Sie ist Kult. Sie ist legendär. Und sie ist lecker. Die Currywurst. Doch wer hat sie eigentlich erfunden? Um diese Frage streiten sich seit langem die deutschen Städte Berlin und Hamburg. Die Frage mag auf den ersten Blick banal erscheinen, doch für Liebhaber der Kultwurst ist sie mindestens so grundlegend wie das Rätsel darüber, ob zuerst das Huhn oder das Ei die Welt besiedelte.
Um diese historische Streitigkeit ein für alle Mal zu klären, hat der Autor Uwe Timm 1993 eine Novelle darüber verfasst. Sie wurde für die Bühne bearbeitet und der Schauspieler Jaap Achterberg führte das Stück am Freitagabend in Flaach im Lokal „Alti Fabrik“ im Soloprogramm vor. Ein Stuhl ein Tisch, ein Glas Wasser und 80 Minuten Spielzeit reichten ihm völlig aus, um den Mythos Berlin zu zerstören und die Entstehung der Mahlzeit in Hamburg zu „beweisen“.
Hitler und die Currywurst
Alles begann mit dem Selbstmord von Hitler. Was? Wie bitte?, möchte man sich fragen. Warum der Tod des Diktators und bekennenden Vegetariers bei der Entdeckung der harmlosen Currywurst mitverantwortlich sein sollte, dazu musste Jaap Achterberg weit ausholen. Der Ich-Erzähler traf die ehemalige Imbissbudenbesitzerin Lena Brücker im Altersheim. Dort erzählte sie ihm die Geschichte der Currywurst, die eigentlich eine Liebesgeschichte ist. Kurz vor Kriegsende traf Lena Brücker 1945 in Hamburg den Soldaten Hermann Bremer. Nach einer erotischen Nacht beschliesst er, bei ihr zu bleiben und sich bis Kriegsende bei ihr zu verstecken. Eine Liebesbeziehung beginnt. Als sich Hitler wenig später das Leben nimmt und die Kapitulation bevorsteht, fürchtet Lena Brücker um die Beziehung. Und sie macht eine Folgenschwere Entscheidung.
Parallelen zu Lenin und Schlink
Fast drei Wochen lang verheimlicht sie ihrem Geliebten das Kriegsende. Ähnlich wie im Film „Good Bye Lenin“, bei welchem der Sohn der Mutter vorspielt, dass die DDR noch nicht untergegangen sei, beginnt nun auch Lena Brücker ein falsches Spiel. Mit fiktiven Meldungen vom Frontverlauf gaukelt sie Bremer vor, der Krieg dauere an und die Deutschen kämpfen nun gemeinsam mit Engländern und Amerikanern gegen die Russen. Und hier zeigt sich eine zweite Parallele zu einem bekannten Buch: Wie beim Werk „Der Vorleser“ von Bernhard Schlink geht das falsche Spiel kombiniert mit der sexuellen Abhängigkeit eine Weile lang gut, doch irgendwann muss es zwangsläufig scheitern. Als Bremer vom Betrug erfährt, packt er seine Sachen und verschwindet.
Currywurst war ein Unfall
„Und was hat das ganze bitte mit der Currywurst zu tun?“, stellt sich Jaap Achterberg selber die rhetorische Frage. Eigentlich nichts. Und doch ein wenig. Lena Brücker eröffnet nach dem Krieg einen Imbissstand und muss in einem komplizierten Tauschgeschäft Würste und Ketchup organisieren. Durch den Handel gerät sie in den Besitz einer grossen Dose Currypulver. Beim Transport stolpert sie auf der Treppe. Sie fällt und das Curry mischt sich mit dem Ketchup. Weil Bremer ihr erzählte, Curry helfe gegen Depressionen, probiert sie tränenüberströmt von der Unfallmischung: Et voilà ! Ob man die Geschichte glauben mag, ist jedem selber überlassen. Jaap Achterberg hatte wunderbar gespielt, erhielt viel Applaus – und das Publikum ging mit grossem Hunger nach Hause.
Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen am 23.3.2015 in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“.