Konzertkritik: Klischees und Klamauk als Tarnung

Von Hermann-Luc Hardmeier: Die Schweizer Kultfigur Müslüm brachte am Donnerstagabend in Schaffhausen das Kulturlokal Kammgarn zum Kochen und zum Nachdenken. Eine Konzertkritik von Hermann-Luc Hardmeier.

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Bild: CD-Cover des 2. Albums von Müslüm. (Foto: Cede.ch, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier.)

Pinker Anzug und grünes Hemd. Die Kultfigur Müslüm hatte auch bei seinem zweiten Besuch in Schaffhausen die kostbarsten Stücke aus seinem Kleiderschrank mitgebracht. Optisch balancierte er zwischen dem Schrecken aller Schwiegermütter und dem Liebling jedes Partygänger: Ein Unikat. Der Herr mit dem dunklen schwarzen Bart und der dichten Mono-Augenbraue gab in der Kammgarn ab der ersten Minute Vollgas. Die Halle platzte aus allen Nähten; knapp 650 Gäste wollten den Berner mit türkischen Wurzeln sehen. Semih Yavsaner, wie Müslüm mit bürgerlichem Namen heisst, hat nach seinem Grosserfolg „Süpervitamin“ vor drei Jahren nun sein zweites Album im Gepäck: „Apochalüpt“. Sein Mix aus Popmusik, traditionellen anatolischen Klängen und viel Power hat erneut die Schweizer Hitparade gestürmt.

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Bild: Müslüm am Donnerstagabend im Kulturlokal „Kammgarn“. (Foto: Hermann-Luc Hardmeier. Bericht: Hermann-Luc Hardmeier).

Gesellschaftskritische Texte

Doch Müslüm will nicht nur unterhalten und begeistern. Er ist viel hintersinniger, als man denkt. Dies zeigte sich beispielsweise bei seinem Song „Gaschtarbeiter“. Als er das Lied anstimmte und mit seinem überzeichneten Dialekt „Gaaascht-aaar-beeeiter“ sang, lachten und kicherten die Anwesenden. Er brach den Song ab und meinte: „Was soll daran lustig sein? Es ist eine Tragödie!“ Natürlich sang er sodann unter Applaus weiter, doch die Message war klar. Müslüm versteckt sich zwar hinter Klischees und Klamauk, doch eigentlich will er die Menschen wachrütteln. Beim Hit „La Bambele“ etwa kritisiert er die Leute, die nur dem Leistungsdruck nachrennen. Man solle den Moment geniessen, Zeit mit der Familie, der Natur oder sich selbst verbringen, und nicht sich täglich für ein Ideal knechten. Auch beim Lied „Seksi“ geht es ans Eingemachte. Sind nur Menschen hübsch, die einen schlanken Bauch, eine grosse Oberweite und aufgespritzte Lippen haben? Nein, so die klare Antwort von Müslüm. Die Medien und die Schönheitsindustrie geben uns falsche Vorbilder. Müslüm hält fest, dass jeder und jede sexy ist, solange er zu sich selber steht. Egal, ob übergewichtig oder nicht.

Sein eigener Böser Zwilling

Damit diese Botschaften nicht zu brutal sind, verpackt sie Müslüm in viel Unterhaltung, Spass und Witz. Die Gäste sangen, tanzten, feierten und liessen sich animieren. Die 7-köpfige Band mit dem gebürtigen Schaffhauser Beni Külling am Keyboard spielte fantastisch. Für den Titelsong des neuen Albums erschien Müslüm plötzlich umgezogen. Mit schwarzem T-Shirt ohne Ärmel, dunkler Sonnenbrille und grimmigem Gesicht. Es war Müslüms böser Zwilling, der „Apochalüpt“. Er stellt alles dar, was Werbung, Medien und Industrie den Leuten an falschen Idealen einreden. Müslüm wollte in diesem Song die Zuhörer davor warnen, leichtgläubig und unkritisch zu sein. „Streichelt lieber euren Nachbarn anstatt das Smartphone“. Viele Zuhörer verstanden, andere genossen einfach den Abend und tankten einen grossen Kanister voll mit Süpervitamin.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am Samstag, 2. Mai 2015.