Beim „Totemügerli“ wagte niemand zu atmen

Schriftsteller Franz Hohler unternahm mit den Kammgarn-Besuchern am Freitagabend eine Reise durch sein Gesamtwerk. Von Hermann-Luc Hardmeier.

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Bild: Franz Hohler in der Kammgarn. (Foto: Evelyn Kutschera. Bericht: Hermann-Luc Hardmeier)

„Verstaubt, ausgeleiert und parfümierter Sozialkitsch. Der APO-Opa aus der Öko-WG. Im Grossen und Ganzen ist Hohlers Prosa tot.“ Wer diese Zeilen liest, würde nicht denken, dass sie prominent auf der Homepage von Franz Hohler stehen. Der Schriftsteller macht sich einen Spass daraus, negative Rezensionen zu seinen Büchern und Texten zu sammeln. Der 75-Jährige ist ein Mensch, der nicht gefallen will. Er lebt seine Kunst und schreibt, was ihn beschäftigt. Seien es sozialkritische Texte oder Kinderbücher. Wenn er damit begeistert, ist er zufrieden. Wenn er damit provoziert, dann gefällt ihm das sogar noch besser. 1983 wollte er in seiner Sendung „Denkpause“ am Schweizer Fernsehen seinen Song „Dienstverweigerer“ vortragen. Die Redaktion hatte Zweifel und bat ihn zur Textänderung. Er entschied darauf, das Sendegefäss aufzugeben. Zensieren liess er sich nicht.

Autor in Höchstform

Franz Hohler hat die Schweizer Literaturszene geprägt. Umso bedeutungsvoller war es, dass er am Freitagabend im Rahmen der «Buchwoche» Schaffhausen besuchte. Der Anlass in der Kammgarn wurde vom Schauwerk durchgeführt. „Seit ich denken, hören und lesen kann, begleitet mich Franz Hohler“, sagte Katharina Furrer vom OK. „Ich denke, den meisten Kammgarnbesucher geht es genauso.“ Egal, ob man in der Sekundarschule „Die Rückeroberung“, im Militär den „Dienstverweigerer“ oder an einer Familienfeier das „Totemügerli“ gehört oder gelesen hat. Fast jeder kennt einen Text des in Olten aufgewachsenen Wortakrobaten. Franz Hohler ist sowas wie die Rütliwiese der Schweizer Literatur. Viele verehren ihn, andere empfinden ihn aber auch als „Zumutung“. Um nochmals ein Kritiker-Zitat von Hohlers Homepage aus dem Jahre 1982 zu zitieren. Am Freitagabend lief der Autor zu Höchstform auf. Er zeigte die ganze Palette seiner Erzähllust, seiner Fantasie und seiner Kreativität. Ob er nun über seine Einladung zur Seniorenweihnacht oder über den Hamster Hugo sprach, der am liebsten Spaghetti mit Tomatensugo isst. Ein humorvoller Seitenhieb, Schalk im Gesicht und eine Prise absurde Gedankengänge sorgen für viel Abwechslung im Programm. Beim Gedicht mit dem Thema „Heimat“ kritisiert er sich zum Schluss gleich selber. „Ich war damals neun Jahre alt. So wie das klingt, könnte es heute fast schon an einer Albisgüetlitagung vorgetragen werden.“

Made in Hongkong

Er erklärte den Besuchern, wie sich die Weihnachtsgeschichte tatsächlich abgespielt hat und warum das Weltall aus einer Kiste mit Erbsen entstanden ist. Man erfuhr, warum ein Fussballspiel zwischen Lebenden und Toten mit 1:0 für die Toten ausging, wie eine Made in Hongkong alle Spielzeugfirmen aufkaufte und schlussendlich, wie der Teufel beim Autostopp nach Rom Jesus kennen lernte. Die Zuhörer schmunzelten, lachten lauthals oder nickten betroffen mit den Köpfen. Brav und handzahm ist Franz Hohler noch lange nicht. Zum Schluss gab er das Berndeutsche „Totemügerli“-Gedicht zum Besten. Der Saal wagte kaum zu atmen und quittierte mit grossem Applaus. Franz Hohler nickte glücklich und nahm sich im Anschluss viel Zeit, um mit den Gästen zu sprechen und Bücher zu signieren.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 17. Dezember 2018.

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