Garantiert gefälscht

Drei Berliner erfinden fiktive Markenprodukte sowie Requisiten für Kinofilme und TV-Soaps. Von Hermann-Luc Hardmeier

Bild: Das Team von "Schein Berlin". Foto: Hermann-Luc Hardmeier

Bild: Das Team von „Schein Berlin“. Foto: Hermann-Luc Hardmeier

„Dieser miese Dreckskerl“, entfährt es Verena als sie am nächsten Morgen in der Küche steht. Gestern wollte sie ihren Freund Leon mit einem romantischen Abend beglücken und erwischte ihn zu Hause mit einem Callgirl. Jetzt ist sie sauer. Stocksauer. Sie zerknüllt die „Morgenecho“-Zeitung auf dem Tisch, wirft die „Cerealia“ Frühstücksflockenpackung an die Wand und spült mit dem Jux-Waschmittel zorneserfüllt die Teller. Es herrscht wieder einmal Krisenstimmung in der Schillerallee. Eine neue Folge – wahrscheinlich die Millionste – der TV-Soap „Gute Zeiten Schlechte Zeiten“ flimmert mal wieder in den Wohnzimmerstuben und Tausende schauen zu. Die Storys sind lächerlich, langweilig und voraussehbar…doch wie war das genau? „Jux“ Waschmittel? „Morgenecho“ Zeitung? „Cerealia“ Frühstücksflocken? Diese Produkte klingen alle irgendwie vertraut und trotzdem gibt es sie nicht im Supermarkt zu kaufen. Das hat seinen Grund: Sie wurden allesamt von der Firma „Schein Berlin“ erfunden.

Schleichwerbung: Verboten

In Deutschland gilt für Fernsehsendungen ein Verbot für Schleichwerbung. Ohne diese Regelung wäre „Schein Berlin“ wohl kaum gegründet worden. 2001 haben der Grafiker Jan Hülpüsch, der Fotograf Daniel Porsdorf im Berliner Szenequartier „Prenzlauer Berg“ in einem Hinterhof eine Loft gemietet, den Designer Henning Brehm ins Team aufgenommen und vorerst für Telenovelas sowie TV-Soaps Fake-Produkte entworfen. Sechs Jahre lang gehörte beispielsweise „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“ zu ihren Hauptkunden. Jede Woche flatterte eine Liste mit Gebrauchsgegenständen von der Zahnpasta über die Zeitschrift bis zur Bierflasche ins Haus. Im Akkord war nun Kreativität gefragt, damit in der Seifenoper die Regale, das Spülbecken, der Schreibtisch und der Kühlschrank nicht leer blieben. Was in Deutschland längst gang und gäbe ist, wird in der Schweiz noch stiefmütterlich behandelt. Beim Schweizer Fernsehen ist Schleichwerbung ebenfalls verboten. Hier werden die Regale oft einfach leer gelassen, die Etiketten entfernt oder man pokert damit, dass so genannte „Gebrauchsgegenstände“ wie Waschmittel nicht als Schleichwerbung identifiziert werden. Das geht oft gut, bei der Ärzteserie „Tag und Nacht“ ging der Schuss auch mal in den Ofen. Das Bakom (Bundesamt für Kommunikation) hatte im September 2008 ein Aufsichtsverfahren gegen die SRG eröffnet, da angeblich Medikamentenpackungen der Firma „Helvepharm“ prominent platziert waren. Doch laut Pressesprecher David Affentranger war alles nur heisse Luft: Die Produkte sahen den Originalpackungen nur ähnlich. Trotzdem: Um dem Thema Schleichwerbung aus dem Weg zu gehen, sollten sich die SF-Bosse vielleicht einmal am Prenzlauer Berg nach Lösungen umsehen.

So gewöhnlich wie möglich

„Wir spielen mit dem Image und dem grafischen Erscheinungsbild von Markenprodukten“, erklärt Jan Hülpüsch den Kern seiner Arbeit. „Wichtig ist, dass die Produkte authentisch wirken und den Zuschauern das Gefühl vermitteln, sie könnten sie im Supermarkt um die Ecke einkaufen.“ Wenn „Schein Berlin“ die Produkte-Wunschlisten der Regisseure und Requisiteure erhält, geht die Arbeit los. Die drei Berliner recherchieren im Internet, doch oft ist das gar nicht nötig. „Heutzutage sind die Menschen grafisch geprägt“, sagt Daniel Porsdorf. „Jeder weiss wie eine Butter aussieht. Bei Waschmittel ist es sogar noch einfacher: Man denkt an drei bekannte Produkte, da muss es auf der Verpackung blitzen, es gibt bunte Farben und ein peppiger Schriftzug des Markennamens.“ So entstand beispielsweise Kompakt Wasch-Taps der Marke „Altril“ mit gelbem Blitz auf rot-blauem Grund. Während Jan sich um das Design kümmert, knipst Daniel die Fotos. Er arbeitet auch in der realen Welt als Modefotograf und weiss genau, wie er Gesichter oder Menschen vor die Linse bekommt, damit eine fiktive Zeitschrift oder ein erfundenes Werbeplakat authentisch wirkt. Zusammen haben sie schon hunderte von Produkten erfunden. Rechtlich gab es mit diesen Fake-Produkten bisher keine Probleme. Bei grossen TV-Produktionen klären die Filmstudios beim Patentamt ab, ob der erdichtete Markenname noch frei ist. Und kopieren wollen die drei sowieso nicht: „Das wäre idiotisch, sich in die Plagiatsecke zu begeben“, meint Jan Hülpüsch.

spühlmittel Hermann-Luc Hardmeier

Bild: Das Spühlmittel „Jux“ könnte tatsächlich irgendwo in einem Supermarkt im Regal stehen. Foto: Hermann-Luc Hardmeier

Kein Mini-Supermarkt

Alleine für GZSZ entwarf „Schein Berlin“ sechs Jahre lang pro Woche fünf bis zehn Produkte. Rechnet man dies hoch, so müssten im Büro der Berliner tausende von Fake-Produkten wie in einem kleinen Einkaufszentrum rumstehen. Doch weit gefehlt: Die Loft von „Schein Berlin“ ist nicht leicht zu finden und die Arbeitstrophäen fehlen. Das Firmenschild ist klein und der Raum eher schlicht und fast leer. Ein abgesessenes schwarzes Sofa aus den Seventies steht in der Ecke. Erhöht auf einer Art Kanzel befinden sich die Arbeitsplätze. Drei nagelneue Applecomputer mit mehreren Bildschirmen. In einer kleinen Vitrine sind einige Produkte ausgestellt, ansonsten zeugt nichts von der kreativen Arbeit. Im Gegenteil: Im Hintergrund hängt ein Boxsack von der Decke. Wenn die Kreativität nicht will, so kann man dort offenbar seinen Frust loswerden. Für mürrische Rocky-Balboa-Stunden bleibt jedoch keine Zeit, denn momentan schwirren zu viele interessante Projekte durch das Auftragsbuch der Denkfabrik. Das Stichwort lautet: Hollywood.

Kinoaufträge von Quentin Tarantino

Verena und Leon zanken sich mittlerweile ohne „Jux“-Spülmittel. RTL mit „GZSZ“ und „Schein Berlin“ gehen seit Ende 2008 getrennte Wege. Für die drei Berliner hat sich in der Kinowelt ein Türchen geöffnet, dass sie gar nicht mehr schliessen mögen. Die Aktenordner von Hitler in „Der Untergang“, ein vollständig eingerichteter russischer Supermarkt in der „Jason Bourne – Verschwörung“ oder gleich das komplette Staatsdesign in „V wie Vendetta“ kam alles aus dem Prenzlauer Berg. Hollywood ist auf „Schein Berlin“ aufmerksam geworden und steht mit Anfragen für grafische Requisiten Schlange. Der neuste Coup: Kultregisseur Quentin Tarantino (Pulp Fiction, Kill Bill) klopfte an für seinen neusten Streifen „Inglorious Basterds“ (Kinostart: 20.August). Der Film spielt im Zweiten Weltkrieg und erzählt die Geschichte von einer Truppe jüdischer US-Offiziere, die hinter feindlichen Linien auf Nazijagd gehen. Wenn immer Brad Pitt oder Till Schweiger in diesem Film ein Strassenschild betrachten, einen Ausweis zeigen, eine Flasche Sekt trinken oder ein Filmplakat mustern, sieht man die Arbeit von „Schein Berlin“.

Ärger mit den Nazifilmen

„Der Untergang“, „Operation Walküre“ oder „Inglorious Basterds“, die drei Berliner scheinen sich auf Requisiten für Filme über Nazideutschland spezialisiert zu haben. Warum können sie sich selber nicht erklären. „Das ist Zufall“, meint Daniel Porsdorf und rutsch ein wenig nervös auf dem schwarzen Sofa umher. „Wir können einerseits bei Präsentationen unserer Arbeit auf Erfahrungen mit grossen 2. Weltkriegs-Produktionen verweisen, andererseits gibt es nicht viele Firmen, die auf gleichem professionellen Niveau wie wir eine solche Arbeit anbieten.“ Durch die Ausstattung der Filme habe man auch ein wenig das „ästethische Gespür für den Duktus jener Zeit“ entwickelt. Mittlerweile ist es „Schein Berlin“ ein Leichtes echt wirkende Strassenschilder aus den 40er Jahren oder Etiketten für alkoholische Getränke jener Zeit zu entwerfen. „Wir wären aber froh, wenn nach dem Nazischeiss mal wieder andere Anfragen kämen“, klinkt sich Jan Hülpüsch ein. „Science Fiction würde mich reizen. Während ich und Jan für Inglorious Basterds arbeiteten, durfte Henning für den Sci-Fi-Streifen „Pandorum“ eine komplette Raumschiffinnenaustattung mit Anzeigetafeln in abgefahrenen fremden Sprachen entwerfen. Da war ich schon ein wenig neidisch.“

Frust im Kino

Ein wenig melancholisch wird es im Prenzlauer Berg, wenn Jan, Daniel und Henning von ihren Kinobesuchen erzählen. Sie liefern ja lediglich Etiketten Konzepte und Bilder für Produkte. Im Kino und im Fernsehen ist für sie die einzige Gelegenheit, die Endausführung live erleben zu können. „Das ist manchmal schon ein wenig frustrierend“, meint Jan. An Hitlers Unterschriftenmappe arbeiteten sie knapp drei Monate; zu sehen war sie im Film für drei Sekunden. Und: Nicht immer wollen die Regisseure so wie Schein Berlin möchte. „Unsere schönsten Produkte, quasi unsere Juwelen, schneiden sie raus und richten dafür den Vollzoom auf das einzig nicht gut gelungene Objekt. Da könnte man wahnsinnig werden“, meint Daniel lakonisch. Aber die drei haben ein dickes Fell und freuen sich dafür umso mehr, wenn einmal ein Regisseur doch die Juwelen ins Zentrum rückt.

Schräge Anfragen

„Wir sind käuflich“, ist die scherzhafte Antwort der drei auf die Frage, ob es bei ihrer Arbeit auch Grenzen gäbe. Jan erzählt mit Schmunzeln, dass er gerade ein Schild entwerfen müsse, mit einer absolut ekligen Schrift der ostdeutschen siebziger Jahre. Er finde den Auftrag ästhetisch eine Katastrophe, hat ihn aber dennoch angenommen. Bei der „Jason Bourne Verschwörung“, stiess er manchmal beinahe an seine kreativen Grenzen, als er sich einen Namen für russisches Katzenstreu einfallen lassen musste. Ein einziges Hemmnis bilden für „Schein Berlin“ moralische und rechtliche Grenzen. „Für rechtsradikale Organisationen würden wir nie etwas machen“, sagt Daniel bestimmt. Auch erhielten sie schon öfters schräge Anfragen per Email. „Jemand wollte, dass ich ihm für eine private Geburtstagsparty einen Personalausweis fälsche“, schildert Jan empört. „Das kommt nicht in die Tüte.“

Von Hermann-Luc Hardmeier

Erschienen im Ausgangsmagazin „Express“ der Zeitung Schaffhauser Nachrichten.