Nemo bringt ESC-Atmosphäre in die Kammgarn

Nemo gewann im Mai den Eurovision Song Contest. Am Wochenende nun sorgte der Auftritt in der Kammgarn für ein ausverkauftes Haus und ausgelassene Stimmung. Ein Konzertbericht von Hermann-Luc Hardmeier.

Foto: Michael Kessler. Bericht: Hermann-Luc Hardmeier.

Plötzlich wurden in der
Kammgarn am Samstagabend alle Lichter
gelöscht und die «Nemo, Nemo!»-Rufe immer
lauter und lauter. Das lange Warten
hatte ein Ende, und Nemo stürmte im
Lichtgewitter auf die Bühne. Nemo hatte
im Mai den Eurovision Song Contest (ESC)
gewonnen. «Es ist so schön, hier zu sein!»
Und schon fetzte Nemo den ersten Song
durch die Boxen.
Mitten auf der Bühne thronte ein Plüschtiger.
Ein Symbol für Stärke, welche Nemo
beim Sieg am europäischen Musikwettbewerb
dieses Jahr gezeigt hat und auch für
den Mut, welchen Nemo bei seinem Outing
als nonbinäre Person letztes Jahr bewiesen
hat. Es war ein Befreiungsschlag, der im
Song «This Body» verarbeitet wurde. Der
Tiger steht aber auch für Nemos spielerische
Seite, welche beim Auftritt in der
Kammgarn immer wieder bewiesen wurde.
Nemo wirkte frisch, fröhlich, gelassen und
sehr sympathisch. «Kammgarn, ich will
alle Hände sehen», oder «Kommt, lasst uns
alle richtig wach werden», rief Nemo der
ausverkauften Halle entgegen. 800 Besucherinnen
und Besucher tanzten zu den
Liedern und sangen die Refrains mit. Die
fünfköpfige Band unterstützte und war
energiegeladen und ausgeflippt. Am Synthesizer
stand Dr. Mo, der bei jedem Song
eine kleine Choreografie zu tanzen wusste,
die Gitarristin trug eine coole Sonnenbrille
und wirbelte zusammen mit dem Keyboarder
wild die Haare durch die Luft.
Ein variantenreiches Programm
Der Schlagzeuger erzeugte mit Donnergrollen
einen Tornado nach dem anderen,
und der Bassist hatte lässig seine Hoodie-
Mütze tief ins Gesicht gezogen. Alles
wurde gefilmt von einer jungen Dame auf
der Bühne, die übergrosse weisse Ohrenschützer
trug. Nemo hatte ein variantenreiches
Programm dabei. Mit wilden
Technobeats verzückte Nemo die einen,
mit sanften Balladen, welche inmitten
des Publikums gesungen wurden, die anderen.
Das bunte Programm wirkte, als
hätte ein Regenbogen mit einer Starkstromleitung
geflirtet. Es blitzte und
zischte, abgewechselt von harmonischen
Zwischenklängen.
Es gab auch witzige Momente, als Nemo
einen neuen Namen für ein Plüschtier
suchte, das auf die Bühne geworfen wurde,
oder als die Trockeneismaschine so viel
Nebel erzeugte, dass Nemo fragen musste:
«Seht ihr mich überhaupt noch?» Beim Lied
«Falling again» zückten die Gäste die
Feuerzeuge und Handytaschenlampen
und verwandelten die Kammgarn in ein
Lichtermeer. Nach diesem besinnlichen
Moment wurden Nemos alte Partyklassiker
wie «Himalaya» und «Ke Bock» ausgepackt,
welche für eine deftige Tanzstimmung
sorgten. Schön war, dass Nemo zu jedem
Hit eine Geschichte zu erzählen wusste
und damit einen Einblick in die Gefühlswelt
erlaubte. Als der Abend schon fast zu
Ende war, kam Nemo nochmals für eine
Zugabe auf die Bühne und rockte den ESCGewinnersong
«The Code» vom Parkett.
Mit diesem feurigen Final endete der vielfältige
und gelungene Abend.

Erschienen am 25. November 2024 in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ von Hermann-Luc Hardmeier.

Wenn Geheimagenten Physiker jagen

Im Stadttheater wurde am Mittwoch eine etwas brave, aber auch anregende Inszenierung von Dürrenmatts Klassiker aufgeführt. Eine Theaterkritik von Hermann-Luc Hardmeier.

Bild: Die drei Physiker Newton, Möbius und Einstein werden nach ihren Morden neu von Pflegern bewacht. (Foto: Jeanette Vogel, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier)

Mord im Stadttheater Schaffhausen. Das Stück «Die Physiker» von Friedrich Dürrenmatt begann am Mittwochabend damit, dass eine tote Krankenschwester auf der Bühne lag. Für den Tod verantwortlich war ein Patient der psychiatrischen Klinik «Les Cerisiers», der sich für den berühmten Physiker Albert Einstein hielt. Auch ein zweiter Bewohner des Sanatoriums hatte eine Krankenschwester ermordet: Er hielt sich für den Physiker Newton. Die zwei waren jedoch keineswegs mentale Pflegefälle, sondern in Wirklichkeit vom Geheimdienst der USA und der Sowjetunion. Sie jagten den Physiker Möbius, der ebenfalls Patient im Sanatorium war. Dieser hatte die Weltformel entdeckt, welche im Wettrüsten zwischen den zwei Grossmächten fürchterlich Waffen und entscheidende Vorteile hervorbringen könnte. Damit seine Erfindungen nicht missbraucht werden können, spielte Möbius den Verrückten und versteckte sich in der «Irrenanstalt». Ihm erscheine der König Salomo, behauptete er.

Missbrauch der Wissenschaft

Das Stück aus dem Jahre 1961 ist eine Parabel für den Kalten Krieg. Möbius spielte in diesem Gleichnis den Wissenschaftler, der die Gefährlichkeit seiner Erfindung erkannte und zum Schutze der Menschheit ins Irrenhaus flüchtete. Ganz anders als Robert Oppenheimer, der Vater der Atombombe, nahm er seine Verantwortung als Wissenschaftler wahr. Dürrenmatt konzipierte das Stück als Tragikomödie, welche humorvoll beginnt, danach aber eine grässliche Wendung nimmt, weil die Anstaltsleiterin Mathilde von Zahnd die Weltformel von Möbius missbraucht. In der Parabel steht sie stellvertretend für die Politiker des Kalten Krieges. Ihr «Spiel» mit dem Atomkrieg ist «irre» und brandgefährlich. Das Theater Kanton Zürich inszenierte unter der Regie von Niklaus Helbling eine Version des Stücks, welche sehr nahe am Text war. Im Vergleich zur Version von Herbert Fritsch im Schauspielhaus Zürich war dies eine sehr «brave» Auslegung. Interessant war das Bühnenbild mit den doppelten Türen und doppelten Stühlen. Es unterstrich die Botschaft, dass niemand auf der Bühne die Person war, die er vorgab zu sein. Gut umgesetzt waren Mordszene und der Besuch von Möbius’ Familie, welche im Original etwas langatmig sind, in der Version des Theater Kanton Zürich jedoch actionreich und humorvoll. Zum Schluss erschien im Gegensatz zum Originaltext König Salomo, der Möbius wie in einem Horrorfilm als Marionette benutzte. Hätte dies Dürrenmatt gefallen? Einerseits nein, da es seine Botschaft veränderte. Anderseits ja, da es grotesk war und eine Verfremdung erzeugte, die zum Nachdenken anregte. Der sogenannte V-Effekt war eins von Dürrenmatts Lieblingsstilmitteln. Insofern war das Stück gelungen inszeniert: Man lachte, aber erinnerte sich auch an die Gefahren des Kalten Kriegs. Leider wieder ein sehr aktuelles Thema.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 15. November 2024.

Deville teilte genüsslich gegen alle Seiten aus

Ex SRF-Moderator und Satiriker Dominic Deville schockierte und begeisterte im Stadttheater. Eine Theaterkritik von Hermann-Luc Hardmeier.

«Momentan wäre es ein guter Moment, um Kokain zu konsumieren», war einer der derben Sprüche von Dominic Deville. Der Satiriker trat am Donnerstagabend im Stadttheater Schaffhausen auf. Er galt als designierte Erbe der sonntäglichen Satiresendung Giacobbo-Müller auf SRF und hat sieben Jahre und 153 Sendungen lang das politische und gesellschaftliche Geschehen durch den Kakao gezogen. Wer einmal «live» im Publikum sass, weiss, dass Deville immer wieder Sprüche servierte, die zu heftig für SRF waren und sodann rausgeschnitten wurden. Gesendet wurde eine gezähmte Version des ehemaligen Punkrockers und ausgebildetem Kindergartenpädagogen. Bei seinem Bühnenprogramm «Off» scheint es nun, als müsste er keine Rücksicht mehr nehmen und kann sich von allen Fesseln lösen. Im Stadttheater sorgte das zuweilen auch dafür, dass man manchmal leer schluckte. Einige der Scherze waren köstlich, einige tanzten auf dem schmalen Grat des guten Geschmacks und einige überschritten die Grenze auch deutlich. Dominic Deville teilte beispielsweise kräftige gegen Abtreibungsgegner aus und bezeichnete die «Marsch für s’Läbe»-Teilnehmer als Gebärmutter-Taliban. Er fand, die Hamas hätte den Gotthardtunnel besser als die Schweizer bauen können und schimpfte über Ex-Nationalrat Christoph Mörgeli. Besonders hart ging er mit den SBB ins Gericht, weil sie auch nach 20 Jahren es nicht geschafft haben, alle Bahnhöfe barrierefrei zu gestalten und körperlich beeinträchtigte Personen nach wie vor Probleme beim Nutzen des ÖVs dadurch haben. Keine Frage: Dominic Deville ist kein Peach Weber, der einfach amüsieren und unterhalten will. Der Satiriker hat viel zu sagen und will es explizit auch in derben und eindeutigen Worten ausdrücken. Dass er dazwischen Scherze einbaut und dabei weder Menschen mit Beeinträchtigung, Politiker oder Drogenkonsumenten schont, gehört für ihn klar zum Programm. Als der deutsche Satiriker Jan Böhmermann 2016 sein Schmähgedicht gegen den türkischen Präsidenten Erdogan veröffentlichte und dabei von fast allen Seiten dafür Schelte kassierte, hörte man als Rechtfertigung immer wieder folgenden Satz: Satire darf alles, solange sie als Satire erkenntlich ist. Diesen Freipass nutzt Dominic Deville ausgiebig und geniesst es sichtlich. Er kennt keine Tabus und keine Grenzen. Das ist erfrischend, unterhaltsam, humorvoll aber auch immer wieder erschreckend. Fazit: Zum Glück kein Abend für oberflächliches Gefasel und belanglose Witzchen. Aber auch kein Abend für politische Korrektheit und schwache Nerven.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 2. Nov. 2024.

Der Hippie-Bus machte einen Partyhalt in Schaffhausen

Der Schweizer Reggaesänger Dodo begeisterte am Samstagabend in der Kammgarn. Ein Konzertbericht von Hermann-Luc Hardmeier.

«Heimat ist kein Ort, sondern ein Gefühl», war einer der magischen Sätze, welche das Publikum am Samstagabend von Dodo zu hören bekam. Der Entertainer mit den warmen Vibes und dem grossen Hut brachte einen riesigen Rucksack voller guter Stimmung in die Munotstadt. Die Kammgarnhalle war sehr gut besucht und unter den Gästen fanden sich nicht nur Partygängerinnen und Partygänger, sondern auch Familien mit Kindern. Kurzum, der Reggaesänger Dodo spricht eine grosse Bandbreite von Menschen an, die mit ihm feiern und von seiner rauen und trotzdem warmen Stimme begeistert sind. Wenn Dodo zu singen beginnt, fühlt man sich, als ob man in der Karibik am Strand nach einer langen Reise und einem harten, kalten Winter erstmals in den warmen Sand steht und die Wärme und Glut der kleinen Steinchen ausgiebig geniesst. Das Gefühl der guten Laune krabbelt die Beine hoch und nimmt den ganzen Körper in Beschlag. Bei seinen Liedern wurde mitgesungen und mitgetanzt. Die Musikerin Wiyaala aus Ghana war als Vorband nur kurz auf der Bühne, tauchte aber bei diversen Musikstücken während des Dodo-Konzerts immer wieder auf, um mit ihm im Duett zu singen. Sie ergänzte den gemütlich-braven Sound von Dodo mit einer powervollen Stimme und satten Klängen. Bei einem Song griff sie zu einem afrikanischen Perkussionsinstrument, welches die Gäste zum ekstatischen Mitklatschen animierte. Die musikalische Reise ging dabei mit dem Hippie-Bus von der Schweiz aus quer durch den afrikanischen Kontinent. Auch das Nachwuchstalent Jared Lembo hatte einen gemeinsamen Auftritt mit Dodo, bei welchem sie den Song «Was du liebst» spielten. Die Freude an Gastmusikern hat Dodo spätestens seit seiner Rolle als Gastgeber der TV-Sendung «Sing meinen Song – Das Schweizer Tauschkonzert» gefunden. Dort zeigt Mr. «Good Vibes» regelmässig, was die Schweizer Musiker für unentdeckte Rohdiamanten durch Neuinterpretationen bekannter Songs zu Tage fördern können. Die Highlights des Abends waren sicherlich, als Dodo in der Kammgarn seine Hits «Hippie-Bus» und bei der Zugabe «Brütigam» spielte. Der Abend endet mit Feuerfontänen auf der Bühne, viel Applaus und einer ausgiebigen Autogrammstunde für die Fans.

Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am Dienstag, 29. Okt. von Hermann-Luc Hardmeier.

Eine Lastwagenladung voll trockenem Humor

Julia Kubik und Manuel Stahlberger präsentierten im Theater «Alti Fabrik Flaach» am Freitagabend ihr neues Programm. Ein Eventbericht von Hermann-Luc Hardmeier.

Foto: Aussen ernst, innen kreativ. Julia Kubik und Manuel Stahlberger überzeugten am Freitag in Flaach. (Bericht: Hermann-Luc Hardmeier. Foto: Hermann-Luc Hardmeier)

«Wir wollten den Sprachraum und das Einzugsgebiet vergrössern. Aber weiter bis nach Flaach haben wirs nicht geschafft», begrüssten Manuel Stahlberger und Julia Kubik die knapp 60 Gäste zunächst auf Französisch. Offenherzig gestanden sie ein, dass ihr Französisch dazu etwas zu schlecht sei und wechselten auf Deutsch. Die Comiczeichnerin sowie Autorin Kubik arbeitete beim neuen Programm «Es wie die Sonnenuhr machen» erstmals mit dem Liedermacher und Zeichner Stahlberger zusammen. Beide leben in St. Gallen und beide haben denselben trockenen Humor, was eine spannende Ausgangslage für den Auftritt in Flaach bedeutete. Ihr erster Programmpunkt zeigte via Beamer auf einer grossen Leinwand Figuren mit Sprechblasen, welche optisch ans Französischlehrmittel «On y va» angelehnt waren. Die Dialoge wurden von den zwei auf Französisch gesprochen und waren so belanglos, dass sie wieder lustig waren. Die zwei tänzelten den ganzen Abend auf dem schmalen Grat zwischen Unterhaltung und skurriler Banalität. Der lakonische Humor, die extrem trockene Art und das emotionslose Erzählen sorgten dafür, dass sich das Publikum köstlich amüsierte. Die Show lebte genau davon, was nicht gesagt wurde. Und das Duo Stahlberger-Kubik hatte eine ganze Lastwagenladung voll trockenem Humor dabei. Sie zeigten skurrile Chatverläufe, Fotos von St. Gallen, Zeichnungen von grotesken Tieren wie beispielsweise einem angeschossenen Reh, das in den Ausgang wollte, und, und, und. Aufgemischt wurde das ganze durch Lieder von Manuel Stahlberger, bei welchen Julia Kubik abwechselnd bis zur Atemlosigkeit tanzte, Saxophon spielte oder mitsang. Die Texte nahmen gewöhnliche Alltagssituationen auf die Schippe, kritisierten, beobachteten und drifteten auch gerne ins Groteske ab. Würde man Ed Sheeran, einen Autounfall und eine St. Galler Bratwurst in einen Mixer stecken, käme dabei vielleicht der Sound des Duos am Freitagabend heraus. Das Ziel der Musik war nicht zu begeistern und musikalische Höchstleistungen zu zelebrieren, sondern lakonisch zu unterhalten, was aufs Beste gelungen war.

Foto: Hermann-Luc Hardmeier

Manuel Stahlbergers Spezialität bei den nicht-gesanglichen Elementen waren Erzählungen anhand von Fotos oder Zeichnungen, bei welchen anfänglich banale Elemente plötzlich absurde und amüsante Wendungen nahmen. So beispielsweise seine Idee, wie und wo in St. Gallen von ihm eine Statue gebaut werden müsste, wie er mit «Weihnachts-Guetsli» historische Ereignisse nachstellte oder welche Einträge er im gemeinsamen Poesie-Album aus seiner Jugendzeit entdeckt hatte. Julia Kubik überzeugte mit anfänglich trockenen Comics, welche beispielsweise eine aggressive Yoga-Lehrerin oder die helvetische Variante von «Emotional Support Animals» zeigte. Also jenen Tieren, welche ängstliche US-Amerikanerinnen und US-Amerikaner in Flugzeuge mitbringen dürfen. Highlights der Show waren sicherlich, als die zwei die Geschichte des Igels Serge erzählten, der in seinem Bau Holzskulpturen anfertigte oder die Serie von Werbeanzeigen, welche Julia Kubik entworfen hatte. Da fanden sich beispielsweise Kerzen mit Fleischgeruch, ein Kiesmäher anstatt Rasenmäher oder Weiterbildungsveranstaltungen wie BWL oder Politikwissenschaften für Haustiere. Hinter der trockenen Art von Stahlberger und Kubik versteckte sich jede Menge Kreativität und viel Humor. Dies überzeugte und beeindruckte.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 30. Sept. 2024

Müslüm will den Zaun am kleinen helvetischen „Gärtli“ einreissen

Der Musiker und Entertainer Müslüm befreit am Freitag Schaffhausen vom «Bünzlitum» und will uns den orientalischen Hüftschwung lehren. Eine Konzertvorschau von Hermann-Luc Hardmeier.

Von Hermann-Luc Hardmeier.

Müslüm ist wieder da. Der «Süpervitamin»-Sänger erscheint auch diesmal im Gewand des subversiven Einwanderers mit maximalem Erleuchtungspotential. Mit seinen knallharten Texten lässt er regelmässig Vorurteile wie Schnee in der Sonne schmelzen. Er pulverisiert Spiessbürger, stürzt sich auf gesellschaftliche Tabus und bringt selbst gestandene Parteien ins Wanken, wenn er im Samichlaus-Kostüm gewissen Nationalräten die Leviten liest. Bald ein halbes Dutzend Mal besuchte Müslüm bereits die Munotstadt. Abwechselnd mit kompletter Band oder wie diesmal als musikalisches Duo. In Schaffhausen schätzt er die Offenheit für seine Musik und scheut sich auch nicht, ohne grosses Orchester anzureisen: «Ironischerweise nennt man es Klein-Kunst», sagt er, «doch Kunst lässt sich nie kleinkriegen.» Sein aktuelles Programm trägt den Titel «Helfetisch». Damit deutet er an, dass Helvetia nicht nur wunderbar Berge und leckeren Käse zu bieten hat, sondern um das «Schweizertum» auch ein Fetisch gemacht wird. Um 22 Uhr wird die Nachtruhe eingefordert, die Züge haben pünktlich zu sein und am 1. August wird die Schweizerfahne vor dem Haus gehisst. Müslüm liebt es, den eingefahrenen Traditionen gnadenlos den Spiegel vorzuhalten. «Ich bin der erste echte Helfetischt», erklärt er. Bei seinem neuen Programm wird der «Süperimmigrant» nicht müde zu erklären, warum Helvetia das beste Land aller Zeiten ist. Als Kunstfigur Müslüm trägt er Perücke, eine Mono-Augenbraue und ist stark geschminkt. Das ist sicherlich Teil seines Erfolgsrezepst. Die Sprache, das Kostüm, das Verhalten und die Übertreibungen helfen den Zuschauern, Vorurteile humorvoll zu hinterfragen und abzulegen. «Ich muss eine Maske tragen», erklärt Müslüm. «Ist das nicht tragisch-komisch?» In seiner Verkleidung muss er auf niemanden Rücksicht nehmen. Dass er sich als Türke verkleidet und auf Missstände und Vorurteile aufmerksam macht, kam nicht immer gut an. Früher gab es auch schon Drohungen von Menschen, die sich auf die Schippe genommen fühlten. Die Figur Müslüm polarisiert. Doch das stört den Künstler nicht. «Ich tue das ja nicht, um zu gefallen.» Das Spiel mit den Gegensätzen sei sehr reizvoll und produktiv. Zudem betont er: «Was die anderen denken, ist mir egal. Einzig, was ich bin, zählt.» Müslüm tritt in freundlicher Zusammenarbeit mit dem kongenialen Gitarristen Raphael Jakob auf. Dieser tanzt auf verschiedenen Hochzeiten und spielte auch schon als Gitarrenheld bei Baze, Seven, den Tequila-Boys oder bei seinem eigenen Projekt 2forSoul. Müslüm trat früher als Popstar mit mitreissender Band auf und brachte grosse Säle zum Kochen. Während den Konzerten gab es jedoch immer wieder Momente, in welchen er die Musik abdrehte und dem Publikum zurief: «Ich meine es ernst!» Ein Teil der Gäste verstand ihn falsch. Er ist nicht ein bunter Vogel, der «herumblödelt». Müslüm hat eine Botschaft und will die Welt zumindest zum Nachdenken bringen. Deshalb sind die Auftritte im Kleinkunst-Format eine logische Folge davon. Ohne Klamauk und Partybefehl kann er viel besser und direkter zu den Zuhörerinnen und Zuhörer sprechen. Es scheint fast so, als sei dies ein Befreiungsschlag für den Künstler. «Es ist nicht wichtig, wie etwas aussieht», so Müslüm. «Vielmehr was es bewirkt, ist von Belang.» Müslüm möchte am kommenden Freitag eine «Swissterie» auslösen. Der Zaun am kleinen Gärtli soll eingerissen werden, die Steuerverwaltung macht frei und in der Kehrichtverbrennungsanlage verrauchen böse Gedanken. Was genau auf der Bühne passieren wird, möchte er noch nicht verraten: «Man darf von der Kunst nichts erwarten, denn Erwartung tötet», so Müslüm. Der Künstler wird jedoch sicherlich viel zu erklären und humorvoll zu verpacken wissen. In Kombination mit seinem orientalischen Hüftschwung, werden die Besucherinnen und Besucher an diesem Abend nicht nur etwas lernen, sondern jede Menge erleben.

Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 23.9.2024 von Hermann-Luc Hardmeier.

Theaterkritik: Ein Kuss entlarvte die Lüge

Im Theaterstück «Shakespeare in Love» zeigte das Theater Kanton Zürich am Mittwoch auf der Freiluftbühne in Marthalen eine erfundene Liebesgeschichte um den legendären englischen Dichter. Eine Theaterkritik von Hermann-Luc Hardmeier.

Bild: Das Theater Kanton Zürich gastierte mit „Shakespeare in Love“ in Marthalen. Bericht: Hermann-Luc Hardmeier. Foto: Hermann-Luc Hardmeier.

«Es war der Wunsch der Vereinsmitglieder, wieder einmal ein Openair-Theater zu veranstalten», erklärte Martin Eggenschwyler, Präsident des Vereins Dorfläbe Marthalen. Vor sechs Jahren spielte vor der Mehrzweckhalle im Dorf schon einmal das Theater Kanton Zürich ein Stück. Zufälligerweise ebenfalls im Zusammenhang mit Shakespeare: Ein Sommernachtstraum. «Wir wollen mit dem Theater direkt zu den Leuten gehen, damit sie Kultur im Dorf erleben können», sagte auch Saskia Kehl vom Theater Kanton Zürich. Pro Jahr spielen sie 150 bis 200 Veranstaltungen und haben mit den verschiedenen Veranstaltungsorten in den Gemeinden und der Abhängigkeit vom Wetter viele Herausforderungen zu meistern. Für Mittwoch war ursprünglich Regen angesagt, doch Saskia Kehl entschloss nach Rücksprache mit dem Wetterdienst die Veranstaltung Openair und nicht in der Mehrzweckhalle durchzuführen. Das Stück «Shakespeare in Love» ist eine erfundene Liebesgeschichte nach dem gleichnamigen Hollywoodfilm von John Madden mit unter anderem Joseph Fiennes und Gwyneth Paltrow in den Hauptrollen. In der Bühnefassung von Lee Hall standen Axel Julius Fündeling und Eva Maropoulos in Marthalen mit dem Ensemble des Theater Kanton Zürich vor knapp 100 Besucherinnen und Besuchern. Der junge William Shakespeare litt unter einer Schreibblockade und hatte von seinem berühmten Werk «Romeo und Julia» erst einen Anfangssatz und einen rudimentären Titel gefunden. Zudem sassen ihm zwei Theaterdirektoren im Nacken. Auch die Suche nach geeigneten Schauspielern entwickelte sich zum Desaster. Ein Stotterer, ein aufdringlicher Bühnenschreck, ein Trunkenbold und ähnliche illustre Gestalten brachten William Shakespeare an den Rande der Verzweiflung. Passend zum Inhalt des Stücks weinte just in dem Moment ein Mädchen auf dem nahegelegenen Marthaler Spielplatz herzzerreissend. Offenbar hatte sie sich auf der Rutschbahn den Ellbogen angeschlagen und untermalte mit ihrem Wehklagen die Dramatik auf der Bühne. Doch plötzlich tauchte der Schauspieler Thomas Kent in den Theaterproben auf und begeisterte alle. Er schien die Idealbesetzung zu sein. Wenig später verliebte sich William Shakespeare auf einem Ball in die attraktive Viola und wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass sie und Thomas Kent ein und dieselbe Person waren. Der Schwindel flog erst auf, als sich bei den Proben die Kussszene nicht nach dem Geschmack des Maestros entwickelte und er den Schauspielern demonstrieren wollte, wie man richtig küsse. Wie ein Blitz durchfuhr es ihn, als er die Lippen von Thomas Kent alias Viola berührte. Dank diesem Kuss und der Hilfe des Theaterdichters Christopher Marlowe gewann Shakespeare seine Inspiration zurück und konnte das Stück zu Ende schreiben. In der Version von «Shakespeare in Love» verarbeitete er darin viele Aspekte seiner eigenen tragischen Liebesgeschichte zu Viola, die noch viele Wendungen nahm und schlussendlich unglücklich für ihn, aber glücklich für zukünftige Theaterstücke endete. Das Theaterstück in Marthalen war sehr humorvoll, kurzweilig und unterhaltsam. Da spielt es auch keine Rolle, dass nicht nur das Liebesleben von Shakespeare erfunden war, sondern auch der komplette Kern der Handlung. Shakespeare erfand die Geschichte nicht, sondern adaptierte sie lediglich fürs Theater, basierend auf dem Versbuch von Arthur Brookes «The Tragicall Historye of Romeus and Juliet», welches 40 Jahre vor Shakespeares Version geschrieben wurde. Und auch dieses Buch basiert auf einer italienischen Vorlage und auch jene kann bis zur griechischen Mythologie auf Sagen wie z.B. Hero und Leander oder auf die mittelalterliche Erzählung Tristan und Isolde zurückgeführt werden. Doch gerade diese fiktive Erzählung gefiel dem Publikum in Marthalen enorm. «Es war perfekt», bilanzierte Saskia Kehl und genau fünf Minuten nach Vorstellungsende setzte doch noch der Regen ein.

Erschienen am Freitag, 12. Juli 2024 in der Zeitung Schaffhauser Nachrichten von Hermann-Luc Hardmeier.

Mehr als „nur“ eine Partymeile

Am Wochenende findet zum 6. Mal das Lindli Fäscht statt. Die Veranstaltung hat sich gewandelt vom Partyevent zum Kulturanlass mit Bands und Tanzgruppen mit über 200 Tänzerinnen und Tänzern. Von Hermann-Luc Hardmeier.

Das Lindli Fäscht ist mittlerweile einer der wichtigsten Events des Schaffhauser Kulturangebots. Die Veranstaltung startete 2017 mit rund 20 000 Besucherinnen und Besuchern und ist bis zum letzten Jahr auf 50 000 gewachsen. Das Programm ist sehr vielfältig und reicht vom Kinderspielbereich mit Hüpfburgen, vielen Bars, ausgedehntem Foodbereich bis hin zu einer kleinen Chilbi, einem Balkan-Kultur-District und zwei Stages für Livebands und natürlich einer ausgedehnten Partyzone. Vom Beginn der Unterstadt bis hin zum Lindli erstreckt sich eine einzige riesige Festmeile. Ein wichtiger Aspekt sind auch die Tanzgruppen, welche im Verlaufe der Jahre immer präsenter im Nachmittagsprogramm geworden sind. Dieses Jahr werden über 200 Tänzerinnen und Tänzer auf den Bühnen am Salzstadel und im Mosergarten ihr Bestes geben. Das Angebot reicht von Hiphop über Contemporary bis zu Rock’n’Roll. „Wir haben auch dieses Jahr ein bunt gemischtes Angebot für Kinder, Familien und Partygänger“, sagt Aline Gysel, welche am Lindli Fäscht die Tanzgruppen und Bands koordiniert. „Wir hatten 2019 erstmals Tanzgruppen und das Feedback der Gäste war so super positiv und begeistert, dass wir das Angebot stetig ausgebaut haben.“ Aline Gysel wird ebenfalls bei einem Team mittanzen und freut sich über die Doppelrolle auf der Bühne und hinter den Kulissen. „Tanzen ist meine Leidenschaft. Die Kombination von Musik und Sport begeistert mich und ersetzt für mich die Hantelbank.“ Warum die Tanzshows am Lindli Fäscht auf so viel Zuspruch stossen, erklärt sich Sebastian „Seba“ Waldmeider vom OK folgendermassen: „Auf Social Media ist das Tanzen zum grossen Hype geworden und viele freuen sich, das auch „live“ zu sehen.“ Er würde sich vom Publikum wünschen, dass sie sich nicht nur die Shows ansehen, sondern auch den einen oder anderen Tanzschritt gleich selbst am Event ausprobieren. 2024 wartet das Lindli Fäscht zusätzlich zu den vielen Tanzgruppen mit zahlreichen weiteren Neuerungen auf. Es gibt neben der neuen Stage im Mosergarten auch ein EM-Public-Viewing an der Goldstein und weitere Überraschungen. „Neben der Unterhaltung ist für uns auch Sicherheit ein grosses Thema“, erklärt Tobias Hunziker vom OK. „Erfreulicherweise hat sich das Lärmthema sehr beruhigt. Wir haben gute Kompromisse und ein gutes Einvernehmen mit den Anwohnerinnen und Anwohnern gefunden. Sie wissen, dass wir unser Wort halten und wir viel gemacht haben wie die Bühnen zu drehen, Patrouillen, die regelmässig in den Quartieren Präsenz markieren, und wir halten uns strikt an die Auflagen und Grenzwerte.“ Das Team umfasst mittlerweile mehrere Hundert Personen. Selbst den Abend zu geniessen, ist für die Macher des Lindli Fäscht aber nur zeitweise möglich. „Wenn das Wetter mitspielt, es keine Zwischenfälle gibt und alle Zahnräder ineinander greifen, dann freuen wir uns“, sagte Sebastian Waldmeier. „Wir sind am Abend selber aber so stark mit Arbeit und Organisation absorbiert, dass wir oft erst nach dem Fest realisieren, wie toll es war.“ Aline Gysel sieht das ähnlich und unterstreicht: „Wenn die Gäste feiern und zufrieden und inspiriert den Event geniessen, ist das für uns das Schönste am Lindli Fäscht.“

Erschienen am 1. Juli 2024 in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“. Von Hermann-Luc Hardmeier.

Punkinferno und Pogo-Stimmung

«Wollt ihr einen Donut haben?», fragten zwei fröhliche Kinder die Gäste vor der Kammgarn. Der Punkrock-Konzertabend war gleichzeitig das 30-jährige Jubiläum des einzigen Skate-Shops in Schaffhausen «Work4Donuts» und deshalb gab es das Markenzeichen des Ladens vor Konzertbeginn gratis zum Geniessen. «Ich habe früher selber Ska-, Punk- und Hiphopkonzerte wie Millencolin oder Sense Unique organisiert», erklärte «Work4Donuts»-Inhaber Claudio Biedermann. «Deshalb wollte ich zum Jubiläum bei einem Revival mit deftigem Sound mitwirken.» Als Vorband sauste ein Tornado namens «The Drowns» durch die Konzerthalle. Feuer und Flammen züngelten aus den Lautsprechern, als die vier Amerikaner aus Seattle loslegten. Das Publikum war noch etwas verhalten in der proppenvollen Tanzarena. Doch das sollte sich bald ändern. «No Fun At All» aus Schweden liessen den vorherigen Tornado wie ein laues Lüftchen aussehen. Die Stimme des Frontmanns Matthias «Micke» Olsson war ein wütender Sturm, der über die Menge hinwegfegte und sie mit roher Energie mitriss. Die Texte voller Wut und Leidenschaft brannten sich in die Trommelfelle der Zuhörerinnen und Zuhörer und sorgten für eine Eskalation auf der Tanzfläche. Es wurde nicht einfach mitgeschunkelt, sondern wilder Pogo getanzt. So wild, wie es die Kammgarn schon lange nicht mehr gesehen hat. Während Songs wie «Shine» und «Suicide Machine» erklangen, startete eine leidenschaftliche Fast-Prügelei mit Ellbogen und hohen Knien. Wer im Handgemenge zu Boden fiel, wurde sofort mit vereinten Kräften aufgehoben. Der Spassfaktor unter den Tanzenden war grandios, allerdings auch ein Wunder, dass sich dabei niemand verletzte. Während der Bizeps das Drummers zu platzen schien, seine Drumsticks glühten und der Bassist und die Gitarristen einen Blitz nach dem anderen in den Raum abfeuerten, spritzten immer wieder Bierfontänen in die feiernde Menge und duschten sie mit Gerstensaft. Was für eine Stimmung im Hexenkessel vor der Bühne. Immer wieder gab es Moshpits, bei welche die Tanzenden immer schneller im Kreis vor der Bühne rannten und alles mitrissen. Der Sänger genoss es und formte mit den Fingern zwei Teufelshörner. Plötzlich erschrak er, denn neben ihm stand ein splitterfasernackter Besucher, der die Bühne erklommen hatte. «Ihr seid doch alle verrückt», entfuhr es ihm lachend und der hüllenlose Mann sprang zurück ins Pogo-Höllenfeuer. «Von eurer Partylaune kriege ich Gänsehaut», freute sich Gitarrist Mikael Danielsson. Der Abend endete damit, dass die Bandmitglieder von «No Fun At All» zum Schluss unter grossem Applaus ihre Instrumente triumphierend in die Luft stemmten.

Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am Dienstag, 21. Mai 2024. Von Hermann-Luc Hardmeier.

Romantik pur mit dem Appenzeller Kuschelbären

Der Singer-Songwriter Marius Bear brachte am Samstagabend die Kammgarn zum Träumen. Ein Konzertbericht von Hermann-Luc Hardmeier.

Bericht: Hermann-Luc Hardmeier. Foto: Michael Kessler.

«Meine Lieben, es ist eine Freude, hier zu sein», begrüsste Marius Bear die Gäste am Samstagabend in der Kammgarn. Die Kulturhalle war nicht ausverkauft, aber mehrere Hundert Fans waren gekommen, um den sympathischen Appenzeller zu sehen und mit ihm den Abend zu geniessen. Zu Beginn stand er mit Sonnenbrille und Adidas-Trainerjacke vor den Zuhörerinnen und Zuhörern. Marius Bear ist derzeit mit der «Club Tour 2024» unterwegs und präsentiert dabei neben Klassikern auch seine aktuelle Single «Kiss You In The Morning». Er hat die Schweiz 2022 am Eurovision Song Contest mit dem Song «Boys Do Cry» vertreten. Er machte während seinem Auftritt ein paar humorvolle aber auch wertschätzende Andeutungen auf den Sänger Nemo, der den Contest just an jenem Abend für die Schweiz gewinnen konnte. In der Kammgarn spielte Marius Bear beispielsweise den Song «lonely Boy». Dieser begann ganz sanft mit der Akustikgitarre und erst nach einer Weile setze powervoll die gesamte Band ein. Die Stärke von Marius Bear ist nicht nur seine Musik, welche nicht einfach nur vibrierte, sondern flüsterte, weinte und lachte, sondern seine gefühlvolle Stimme. Sie ist rauchig, kraftvoll, sehnsüchtig und intensiv. Der Kuschelbär erzeugte damit eine romantische Stimmung, wie wenn man an einem kalten Wintertag vor dem Kaminfeuer sitzen und sich genussvoll bei einem warmen Getränk entspannen würde. Die Songzeilen flogen wie Funken aus dem Feuer und erhellten mit der Wärme die Gesichter des Publikums. Marius Bear erzählte zu jedem Lied eine kleine Geschichte. So widmete er ein Lied seiner Mutter, seinem Vater oder erwähnte, dass «Hemmigslos Liebe» ihn an seine erste Liebe in der 4. Klasse im Skilager erinnerte. Der genannte Song ist übrigens ein Cover von Fabienne Louves und Marc Sway aus der Sendung «Sing meinen Song». Auch einige weitere Bear-Versionen von bekannten Liedern wie etwa Whitney Houstons Klassiker «I Wanna Dance With Somebody» spielte er in der Kammgarn. Ein Highlight war sicherlich, als Marius Bear plötzlich auf einer kleinen Bühne inmitten der Kammgarn erschien und die Gäste dort mit einer Performance überraschte. Er sang zunächst nur mit der Gitarre bewaffnet und holte danach seine Band als Verstärkung dazu. Das Publikum leuchtete mit den Handys und schwenkten diese im Takt des Liedes. Wie eine verträumte, stürmische See wirkte die Kammgarn. Der Kapitän Marius Bear steuerte gemächlich und selbstbewusst durch die wirbelnden Gewässer. Danach drückte der zweimalige Gewinner des Swiss Music Awards etwas aufs Gaspedal und spielte Lieder wie «365» und «Hol de Rum». Der Sänger genoss den Auftritt sichtlich und verabschiedete sich mit den Worten: «Danke vielmals für heute. Ihr strahlt mich alle an wie gute Freunde. Das ist wunderschön.»

Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am Montag, 13. Mai 2024. Von Hermann-Luc Hardmeier.