Theaterkritik: Tränen bei seinem Tod sieht er als Kompliment

Im Sommertheater „Krabat“ im Kanton St. Gallen ist der Schaffhauser Thomas Strehler gleichzeitig Schauspieler und Regieassistent. Eine Theaterkritik von Hermann-Luc Hardmeier.

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Haltet den Dieb! Soeben hat ein Jogger am Zürichsee einer Gruppe das Fleisch vom Grill gestohlen. Die Barbecue-Freunde sind entsetzt und der Jogger macht sich grinsend aus dem Staub. Die dreiste Aktion ist zum Glück nur gespielt. Es ist ein Werbespot für einen Schweizer Getränkehersteller, bei welchem ein Schaffhauser die Hauptrolle spielt. Der Fleischdieb nennt sich Thomas Strehler und ist nicht nur Werbegesicht, sondern hauptberuflich Schauspieler. Am Samstag konnte man ihn bei der Premiere des Freilichtspiels „Krabat“ von Otfried Preussler sehen. Das Sommertheater in Lichtensteig, Kanton St. Gallen, begeisterte 500 Zuschauer und hält Thomas Strehler mit einer Doppelfunktion auf Trab.

Berufsweg mit vielen Zwischenstopps

„Als ich während dem Casting einem Konkurrenten einen Tipp gab, engagierte mich der Regisseur gleich auch als seinen Assistenten“, erinnert sich Strehler schmunzelnd an sein Vorsprechen. Das ist nicht selbstverständlich, denn der 32-Jährige machte keinen klassischen Karriereweg. Er kommt ursprünglich aus Winterthur und hat eine KV-Ausbildung bei einer Versicherung gemacht. „Mein Traum war es TV-Moderator zu werden“, erzählt er. Vier Jahre arbeitete er beim SRF in der Sportredaktion, doch die Rolle hinter dem Mikrophon als Befrager reichte ihm nicht. Er warf den Job hin. Der Durst nach Abwechslung und der grossen Bühne brachte ihn zuerst nach Australien, dann an die Schauspielschule nach Berlin. 2014 wirkte er beim Sommertheater „Schwarzes Gold“ in Diessenhofen mit und zog nach Schaffhausen. „Der Rhein, die Offenheit der Menschen und die Gemütlichkeit sorgten dafür, dass ich mich in die Stadt verliebt habe und blieb“, schwärmt Strehler.

Teufel und Tränen

Zurück ins Jahr 2018: Regisseur Simon Keller wollte den Wahlschaffhauser für die Rolle des Tonda, der beste Freund der Hauptperson. In der düsteren Geschichte von „Krabat“ kommen zehn junge Burschen in den Kontakt mit einem Meister, der ihnen in seiner Mühle die dunkle Magie näherbringt. Er steht mit dem Teufel im Bunde und opfert jedes Jahr einen Jüngling. Der Protagonist Krabat versucht den Bann zu brechen. „Das Stück ist nur auf den ersten Blick schaurig“, so Strehler. „Die Liebe wird schlussendlich Krabat zum Sieg verhelfen.“ Seine Doppelfunktion war zwar anspruchsvoll, doch er konnte viel lernen und hat es geschätzt, Verantwortung zu übernehmen. „Viel wichtiger als Anweisungen ist die Harmonie unter den Schauspielern“, so eine seiner wichtigsten Erkenntnisse. „Künstler sind oft sehr eitel und emotional. Das muss man ausbalancieren als Regisseur.“ Auch selber trainierte er hart an sich. „Ich will Leute berühren und zum Mitfiebern bringen.“ Jemand sagte ihm nach der Premiere, er habe geweint beim Tod von Tonda. „Das war für mich das grösste Kompliment“, so Strehler. Wo er  als nächstes spielt, weiss er noch nicht. „Die Schauspielerei ist ein Abenteuer. Man weiss selten, wo man in einem halben Jahr steht.“ Er lässt aber durchblicken, dass er ein interessantes TV-Angebot erhalten hat und vielleicht auch wieder einmal als Jogger in einer Werbung auftaucht. Die nächste Vorstellung von „Krabat“ findet am kommenden Samstag statt.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 28. Juli 2018.

 

Ein perfektes Liebeschaos

In einer sanft modernisierten Version von Shakespeares «Sommernachtstraum» begeisterte das Theater Kanton Zürich auf der Freilichtbühne vor der Mehrzweckhalle Marthalen die Zuschauer. Eine Theaterkritik von Hermann-Luc Hardmeier

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«An diesem Sommerabend passt das Stück herrlich», sagte Silvia Müller, Gastspielorganisatorin vom Theater Kanton Zürich, erfreut. Das Ensemble ist derzeit auf Freilichttournee, welche 45 Vorstellungen umfasst. In Marthalen fand am Samstag vor der Mehrzweckhalle die 32. Aufführung statt.

Verfremdungseffekt wie bei Dürrenmatt

Das Stück orientiert sich am Original, wurde aber sanft modernisiert. Das Bühnenbild umfasste Sofas und Sitzkissen, welche die Baumstrünke imitierten. Eine zweiköpfige Band mit Puck am Mikrofon spielte fetzige Songs, und die Schauspieler lieferten mit
zeitgenössischen Sprüchen und Flüchen immer wieder humorvolle Einlagen. Nicht zuletzt wurde à la Brecht und Dürrenmatt der Verfremdungseffekt zentral eingebettet. Shakesåpeare hatte in seiner Version eine Theatergruppe eingebaut, welche in das Stück
verwickelt wird. In der Darstellung des Theaters Kanton Zürich wurde diese Episode von einer heutigen Regisseurin geleitet, die schimpfte, nörgelte und sogar einen Zuschauer aus Marthalen auf die Bühne holte.

Das verflixte Kraut

Die Handlung von Shakespeares Stück begeistert die Zuschauer seit Jahrhunderten. Es ist eine verzwickte Liebesgeschichte, die durch den Waldgeist Puck zum Liebeschaos wird. Doch der Reihe nach: Hermia ist verliebt in Lysander. Er ist ein Poet, ein Minnesänger und vergöttert seine Angebetete. Eigentlich wäre alles perfekt, doch ihr Vater Theseus, Herzog von Athen, hat andere Pläne. Er hat den selbstverliebten Demetrius für sie vorgesehen. Falls sie ablehnt, droht er ihr mit dem Tod. Hermia flieht mit Lysander in den Wald. Demetrius folgt den beiden heimlich. Im Schlepptau hat er Helena, welche unsterblich in ihn verliebt ist, jedoch von ihm verschmäht wird. Zwei Frauen, zwei Männer, die Gleichung scheint einfach. Der Elfenkönig Oberon will den Streit mit einem Zauberkraut schlichten. Sein Plan: Durch das Kraut verliebt sich Demetrius in Helena, lässt Hermia in Ruhe, und diese kann mit Lysander glücklich werden. Ausführen soll das Ganze der Waldgeist Puck. Als dieser jedoch die beiden Männer verwechselt, verliebt sich Lysander in Helena, und das Tohuwabohu beginnt.

«Die Geschichte gefällt mir so gut, weil sie sehr humorvoll ist und die Vielschichtigkeit der Liebe zeigt», erklärt Silvia Müller. «Es ist zeitlos und öffnet den Zuschauern die Herzen. » Die Marthaler spendeten zum Schluss viel Applaus, doch auch die Schauspieler
waren zufrieden. «Shakespeare ist mit den gereimten Texten anspruchsvoll, mit unserer modernen Adaption kam es bei den Besuchern aber gut an», erklärte Joachim Aeschlimann alias Lysander. «Unter freiem Himmel wirkt das Stück genial», ergänzte Marie Gesien, alias Helena. «Es gab von draussen zwar Störgeräusche, aber seit wir eine Aufführung neben einem hupenden WM-Autokorso überstanden
haben, kann uns nichts mehr aus der Ruhe bringen.»

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 9. Juli 2018.