Der erste Rap über das Credit Suisse – Debakel

Beim satirischen Jahresrückblick «Bundesordner 23» gab es am Mittwochabend im Stadttheater viel humorvolle Kritik an Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Eine Theaterkritik von Hermann-Luc Hardmeier.

Der Börsenkurs stieg nur kurzzeitig bei Jane Mumfords gerappter Kritik an der Bankenwelt. (Foto: Melanie Duchene, Text: Hermann-Luc Hardmeier)

Bunt, bunter, Bundesordner. Keine Frage, der satirische Jahresrückblick «Bundesordner» war farbenfroh und kreativ gestaltet. Die neun Künstler waren Musiker, Comedians und Poetryslammer zugleich. Der Event startete, indem ein verkleideter Robert Oppenheimer die Atombombe explodieren liess, während dazu «Simply the Best» gesungen wurde. Die verschiedenen Künstler drehten das Jahr 2023 danach kräftig durch die Mangel. Jess Jochimsen schaute nach Deutschland, wo er sich über die Augenklappe von Kanzler Olaf Scholz amüsierte und die erstarkte Ausländerfeindlichkeit kritisierte. Dominik Muheim versetzte sich danach in die Rolle eines Sportreporters, der enthusiastisch das Rennen um Alain Bersets frei gewordenen Bundesratssitz als 300-Meter-Lauf kommentierte. Den sportlichen Event beendete Beat Jans auf dem Podest, nachdem er sich auch nicht vom Querschläger Daniel Jositsch beirren liess. Zwischen den gesprochenen Darbietungen tauchten lustigerweise Ernie und Bert von der Sesamstrasse auf und als Figurentheater auch sogenannte Waldrappen. Während die Satire und Gesellschaftskritik sehr gut ankamen, empfanden einige Zuschauer Die Ernie und Bert – Episoden als etwas zu kindisch und repetitiv. Doch die übrigen Show-Elemente waren so amüsant, temporeich und tiefsinnig, dass die Auflockerung mit den Figuren eigentlich eine willkommene Abwechslung darstellte. Mit der Originalmusik und dem gleichen Erzählstil von Kommissar Philip Maloney berichtete anschliessend Anet Corti über die «haarsträubenden Fälle der Giorgia Meloni». Neben der italienischen Ministerpräsidentin hatten auch Elon Musk und Alain Berset einen Auftritt im Krimi. Der entgleiste Güterzug der SBB durfte beim Jahresrückblick natürlich nicht fehlen und auch der Klimagipfel in Dubai, die Schweizer Neutralitätsproblematik im Ukrainekrieg oder der kurzzeitig im Stadttheater wiederauferstandene Silvio Berlusconi bekamen ihr Fett weg. Das Highlight der Veranstaltung war jedoch ganz klar der Frontalangriff auf die Bankenwelt. Genüsslich wurde kiloweise Salz in die Wunde namens Credit Suisse gestreut. Nachdem eine Totenmesse inklusive Mini-Oper namens «Banka est Kollapsus» gehalten wurde, gab Jane Mumford den ersten Rap zum Credit Suisse- Debakel zum Besten. Natürlich durften verkleidete Banker als Backgroundsänger und Tänzer nicht fehlen. Und zum Schluss wurden kräftige Boni ausgezahlt. Stark war anschliessend auch die Pressekonferenz der Firma Mattel. Durch den Erfolg des Barbie-Films beflügelt, wurde eine Werbeoffensive beschlossen. Der Barbie-Fan-Boom sollte nun auch das Image der katholischen Kirche aufbessern und deshalb gibt es neu Papst- und Ministrantenfiguren im Barbie-Stil. Mit der humorvollen und kritischen Veranstaltung wurde das Jahr 2023 am Mittwoch gebührend verabschiedet.

Eine Theaterkritik von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen am 29. Januar 2024 in der Zeitung Schaffhauser Nachrichten.

Ein originalverpacktes «Chrüsimüsi»

Die Theatersportabende in der Kammgarn sind längst Kult und sorgten am Freitag- und Samstagabend gleich zweimal für ein proppenvolles Haus und viel Interaktion des Publikums mit den Schauspielern. Eine Theaterkritik von Hermann-Luc Hardmeier.

«Fünf, vier, drei, zwei, eins – und los!» Das Publikum zählte jeweils im Chor die Szenen ein, welche die Schauspieler auf der Bühne zu improvisieren hatten. Die Stimmung bei der Veranstaltung des Schauwerks war nicht nur gut, sondern voller ungeduldiger Vorfreude. Einmal im Jahr findet Theatersport an der Baumgartenstrasse statt. Der Startschuss erfolgte 2004 und somit war diesmal das 20-jährige Jubiläum angesagt. Die Veranstaltung ist mittlerweile Kult und das Konzept ist bewährt: Zwei Schauspieler-Teams treten gegeneinander im Improvisationstheater auf der Bühne an. Die Zweiergruppen werden von einem Schiedsrichter gebändigt und von der Pocketband musikalisch unterstützt. Die Inputs für die Kurztheater kommen vom Publikum. Die Gäste sind gleichzeitig die Regisseure der Stücke und geben Ort, Personen oder Emotionen vor. Am Schluss bewerten sie mit roten oder blauen Karten, wer besser war. Das Team mit den meisten Punkten gewinnt zum Schluss. Am Freitagabend duellierten sich die «Gorillas Berlin» mit «Tsurigo». Am Samstag wurden die Zürcher durch «Winterthur Theatersport» ersetzt. Die Veranstaltung startete mit einem «Stop and Go»-Spiel. Alle Schauspieler spielten mit, doch jeweils in unterschiedlichen Kombinationen zu unterschiedlichen Themen. Somit fanden auf der Bühne vier Theaterstücke gleichzeitig statt. Eine Pilotin startete, dann kamen eine Bibel und ein Curlingstein ins Spiel. Zum Schluss gab es einen Heiratsantrag und einen spontanen Song zum Thema «Pudding». Schon dieses erste Game zeigte, den Reiz der Veranstaltung. Die Schauspieler können zu jedem Thema eine witzige Szene improvisieren, die überraschende Wendungen nehmen kann und für beste Unterhaltung sorgt.

Es folgten Theaterstücke mit einem Balletttänzer, ein Song namens «Digital Detox» oder einer Kundin, welche beim Metzger heimlich Leberkäse gestohlen hatte. Das Highlight des Abends war aber das «Herausforderungs-Spiel», bei welchem das andere Team dem Gegner eine Aufgabe stellte. Die Zürcher bekamen zwei Personalausweise aus dem Publikum und mussten damit ein Stück spielen. Den Berlinern wurden vom Publikum fünf Schweizerdeutsche Ausdrücke vorgegeben, welche sie nicht verstanden. Damit mussten sie ihr Theaterstück rund um den Besuch eines Zeugen Jehovas bestreiten. Der Saal konnte kaum noch atmen vor Lachen, als sich Björn Harras von den «Gorillas» über den nervigen «Gigampfi»-Bibelfan ärgerte, ihm ein Originalverpacktes «Chrüsimüsi» schenkte und ihn anschliessend zu einem Glas «Füdli» einlud. Erst nach der Aufführung erfuhren die Berliner, was sich in Wirklichkeit hinter den Begriffen verbarg. Am Freitagabend endete der Wettbewerb überraschend mit einem Unentschieden. Am Samstag gewann Winterthur. «Der eigentliche Sieger ist beim Theatersport jedoch das Publikum», freute sich Katharina Furrer vom Schauwerk. «Wir haben einmal mehr einen rasanten, dynamischen Abend mit grenzenloser Kreativität erlebt.»

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am Montag, 15. Januar 2024.

Eine Zigarette führte beinahe zu einer Revolution

Im Stück „Corpus Delicti“ von Juli Zeh ging es am Dienstagabend im Stadttheater Schaffhausen um den Machtmissbrauch in einer Gesundheitsdiktatur. Eine Theaterkritik von Hermann-Luc Hardmeier.

Foto: Patrick Pfeiffer, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier

Darf ein Staat seine Bürger zwingen, gesund zu leben? Im Stadttheater Schaffhausen wurde am Dienstagabend die Erzählung «Corpus Delicti» der Autorin Juli Zeh aufgeführt, welche genau dieser Frage nachgeht. Im Zentrum dabei stand «Die METHODE». Dies ist eine Gesundheitsdiktatur, welche wie bei George Orwells Roman «1984» oder bei der Dystopie «Brave New World» seine Bürger überwacht und zu einer konformen Lebensweise drängen will. Ins Visier des autoritären Staates gerät Protagonistin Mia Holl, weil sie ihre vorgeschriebenen Gesundheitsberichte nicht abgibt und später durch das Rauchen einer Zigarette vor Gericht gestellt wird. Die Methode startet mithilfe des Journalisten Heinrich Kramer eine moderne Hexenjagd. In der Inszenierung der Württembergischen Landesbühne Esslingen hatte man einiges gegenüber der Originalfassung verändert. Das Positive zuerst: Die vielen Gerichtsverhandlungen des Buches wurden bis auf zwei aus dem Bühnenstück geworfen, die eher trockenen Erzählungen wurden immer wieder durch Lieder aufgelockert. Bunte Kostüme und ein kreatives Bühnenbild sorgten für eine Modernisierung des Stoffes. Eine drehbare Wendeltreppe bildete das Herzstück der Inszenierung und konnte an den Rand, in die Mitte und in verschiedene Positionen gebracht werden. Viele kleine Veränderungen sorgten für gute Unterhaltung. Besonders gelungen war die Stärkung der Figur des Pflichtverteidigers Lutz Rosentreter, der eine zentrale Rolle bekam und mit dem Song «Freedom» von George Michael das Kernanliegen von Juli Zeh auf den Punkt brachte. Er entlarvte die Fehler der Methode und sorgte für den Beginn einer Revolution, die allerdings von der Methode verhindert werden konnte. Eher negativ war, dass Nicht-Kenner des Buches kaum eine Chance hatten, die Handlung zu verstehen. Eine Phantasiegestalt namens «Die ideale Geliebte» wurde nur spärlich erklärt und im Gegensatz zum Buch nicht in der Mitte des Stückes durch eine Katharsis der Hauptperson aufgelöst, sondern im Spiel gelassen. Heinrich Kramer, der Gegenspieler der Protagonistin, war ziemlich anders dargestellt als im Original. Er manipuliert Mia Holl so deftig, dass sie unter einer Art Stockholm-Syndrom leidet und sich unsicher ist, ob sie sich in ihren Peiniger sogar ein wenig verliebt hat. Im Stadttheater sah dies anders aus: Es wurde geküsst, gekuschelt und auch leidenschaftliche Liebesspiele wurden angedeutet. Zum Schluss wird Kramer von Bewaffneten abgeführt, anstatt triumphierend als Gewinner dazustehen. Eine verwirrende und unklare Veränderung im Vergleich zum Original. Die Hauptbotschaft des Buches blieb jedoch glasklar: Ein autoritärer Hygienestaat kann seine Bürger foltern, unterdrücken und einschüchtern, aber er wird niemals den Gedanken an Freiheit und Selbstbestimmung auslöschen können.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen am Donnerstag, 7. Demzember 2023.

Wenn das Wohnzimmer zum verbalen Boxring wird

Im Theaterstück «Gott des Gemetzels» eskalierte ein Streit unter vermeintlich vernünftigen Erwachsenen. Eine Theaterkritik von Hermann-Luc Hardmeier.

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Eskalation: Gastgeberin Veronique stieg auf das Sofa, als Anwalt Alain sie bis zur Weissglut reizte. (Foto: Selwin Hoffmann. Bericht: Hermann-Luc Hardmeier)

Die Haupthandlung des Stücks «Gott des Gemetzels» wäre eigentlich schnell erzählt. In der Schule gab es Streit zwischen zwei Kindern. Zwei Elfjährige haben sich geprügelt, dabei schlug der eine dem anderen mit einer Stange zwei Zähne aus. Die beiden Elternpaare treffen sich zu einem klärenden Gespräch. Doch diese Unterhaltung eskalierte ziemlich schnell. Das Stück von Yasmina Reza wurde 2006 uraufgeführt und ist spätestens seit der Kino-Adaption aus dem Jahr 2011 von Roman Polanski weltbekannt. Am Dienstagabend wurde nun die Inszenierung von Tobias Maehler im Stadttheater Schaffhausen aufgeführt. «Der Kunstgriff bei dieser Aufführung ist, dass die Kinder selbst nicht da sind und die Eltern sich immer mehr ihr eigenes Loch schaufeln», sagte Jens Lampert vom Stadttheater Schaffhausen im «Talk im Theater» kurz vor der Aufführung. Zunächst geht im Wohnzimmer der Opfer-Familie alles sehr gesittet zu. Bei Gebäck und Kaffee versuchen die Eltern, sich zu einigen. Auf beiden Seiten herrscht viel Verständnis. Selbstverständlich werde die Versicherung für die Schäden an den Zähnen aufkommen und man fragt, ob es möglich sei, dass der Täter sich beim Opfer entschuldigen könnte. Die zwei Familien tauschen oberflächliche Nettigkeiten aus und scheinen gewillt, das Thema unbürokratisch lösen zu wollen. Während des Gesprächs wird jedoch klar, dass auch die Erwachsenen keine lumpenreine Weste haben. Michel, der Vater des Opfers, hat offenbar den Hamster der Tochter ermordet. Mutter Veronique hat ein Alkoholproblem und bei der Täterfamilie wird Vater Alain nonstop von Handyanrufen unterbrochen. Als Anwalt einer Pharmafirma versucht er, einen Medikamentenskandal zu vertuschen. Als die Mutter von Michel anruft und offenbar Opfer genau dieses Medikamentes geworden ist, eskaliert der Konflikt. Annette, die Mutter des Täters, beschuldigt Michel als Hamster-Mörder und übergibt sich über das Lieblingsbuch von Veronique. Weil Alain seine Handysucht nicht bändigen kann, versenkt sie sein Smartphone kurzerhand in der Blumenvase. Beide Paare beginnen sich gegenseitig und untereinander zu zerstreiten. Das Publikum kugelte sich dabei vor Lachen, weil das schwere Thema in eine so amüsante Komödie verpackt war. Im Visier war vor allem das Selbstbild der Figuren. Gegen aussen sahen sie sich als gebildet und kultiviert, letztendlich waren sie aber infantile und brutale Wesen. Zum Schluss schrien sie sich an, tranken hemmungslos Alkohol, prügelten sich, zerrissen das Blumengesteck leidenschaftlich und beschimpften sich mit wüsten Worten. Eigentlich hält das Stück der Gesellschaft den Spiegel vor Augen: Sind die Erwachsenen wirklich fähig, Konflikte kultiviert zu lösen? Das Wohnzimmer wurde zum verbalen Boxring, der Yasmina Rezas Gesellschaftskritik herrlich humorvoll aufzeigte.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 2. November 2023.

Theaterkritik: „Der Richter und sein Henker“ – Die schmutzigen Tricks von Kommissär Bärlach

Am Dienstagabend überzeugte im Stadttheater die Aufführung von Friedrich Dürrenmatts «Der Richter und sein Henker» mit Witz, Charme und einem Bühnenbild, das nur auf den ersten Blick langweilig erschien. Eine Theaterkritik von Hermann-Luc Hardmeier.

Gibt es das perfekte Verbrechen? Wenn es nach Gastmann geht, dann ist diese Frage mit «Ja» zu beantworten. Der finstere Bösewicht des Stückes in «Der Richter und sein Henker» wettete einst mit Kommissär Bärlach darum, dass er vor den Augen des Polizisten einen Mord begehen könne, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Er sollte recht behalten, doch Bärlach sann nach Rache. 40 Jahre später geschah ein Mord am Polizisten Ulrich Schmied, der offenbar als verdeckter Ermittler bei Gastmann eingeschleust war. Zusammen mit dem ehrgeizigen Polizisten Tschanz startete Bärlach seine Untersuchungen. Dabei wurde der Protagonist vom Wachhund, einem schwierig zu beschreibenden Ungeheuer, angegriffen. Tschanz rettete ihm das Leben, indem er das Tier tötete. Das Buch von Dürrenmatt ist eine Persiflage auf den Kriminalroman und nahm deshalb immer wieder unerwartete Wendungen. Schmieds Mörder war offenbar Polizist Tschanz selber. Sein Motiv: Eifersucht auf den beruflichen Erfolg von Schmied. Um seine Spuren zu verwischen und jemand anderes den Mord anzuhängen, tötete er sodann Gastmann. Aber: Bärlach hatte insgeheim als vermeintlicher Richter alles so geplant und Tschanz als Henker für seine Pläne benutzt. Kein Wunder freute sich der Kommissär zum Schluss riesig über seinen Sieg in der Wette. Doch diese erinnert stark an den Pakt zwischen Gott und dem Teufel in Goethes Klassiker «Faust», bei welchem auch das Gute gegen das Böse antrat. Nur hatte Dürrenmatt das Ganze umgedreht: Bärlach erschuf keine Gerechtigkeit, sondern übte Rache. Der Ermittler ist eigentlich kein «Guter», sondern hat sich auf die finstere Seite des Gesetzes geschlagen. Passend dafür war auch das Bühnenbild, welches die undefinierbare Bestie darstellte, welche Bärlach angegriffen hatte. Zunächst war man als Zuschauer enttäuscht, weil nach dem Tod des Tieres das Bühnenbild nutzlos und etwas langweilig erschien. Doch bei genauerem Betrachten erkannte man im mehrköpfigen Wuschelknäuel eine literarische Parabel auf das ganze Stück. So unfassbar wie das Äussere des Tieres waren in der Geschichte auch die Begriffe gut, böse, Wahrheit oder Gerechtigkeit. Das Altonaer Theater hatte die Inszenierung mit viel Witz und Charme sowie gutem Tempo umgesetzt. Man durfte gespannt den Ermittlungen folgen oder über Dürrenmatts groteske Ironie lachen. Tschanz als Henker und Bärlach als Chefplaner und Richter blieben zum Schluss ungestraft. Das sorgte für hitzige Diskussionen und einen gelungenen Theaterabend.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 16. März 2023.

Max Frisch komplett auf den Kopf gestellt

Das Theater Kanton Zürich veränderte am Dienstagabend in Oberstammheim das Stück Andorra von Max Frisch auf eine sehr kreative Art. Die brutalste Szene jedoch fehlte. Eine Theaterkritik von Hermann-Luc Hardmeier.

Der Schweizer Erfolgsautor Max Frisch hat mit Andorra 1961 ein Theaterstück geschrieben, das eine Messerscharfe Botschaft hat. Der Protagonist Andri gerät völlig unverschuldet in einen Tornado voller antisemitischer Vorwürfe und wird von der Gesellschaft als Jude abgestempelt und diffamiert. Die Geschichte endet schlussendlich mit seinem Tod. Andris Halbschwester versuchte seine Ermordung gegen den Widerstand der Andorraner zu verhindern und wird zum Schluss wahnsinnig. Mit Andorra ist nicht der echte Kleinstaat gemeint, sondern der Ort diente Frisch als literarische Parabel, um vor den Folgen von Antisemitismus, Mitläufertum und einer Unkultur des Wegschauens zu warnen. Vermutlich kritisierte Max Frisch mit Andorra das Verhalten der Schweiz im 2. Weltkrieg angesichts des Holocausts im Nachbarland. Auch Deutschland selbst könnte gemeint sein. Am Dienstagabend nun hatte das Theater Kanton Zürich im Schwertsaal in Oberstammheim eine neue Inszenierung von Andorra aufgeführt. Um es vorwegzunehmen: Max Frisch wurde dabei auf eine erfrischende Art und Weise komplett auseinandergenommen. Die Aufführung begann in einer Klinik oder in einem Krankenhaus, in welchem die verrückt gewordene Barblin als Patientin eingeliefert wurde. Um ihr Trauma zu verarbeiten, hat sie einen sonderbaren Plan: Mit dem Pflegepersonal spielt sie die Geschichte nach. Die Erzählung geschah also in einer Rückblende, in einem Theater innerhalb eines Theaters. Die Angestellten der Klinik übernahmen nun die Rollen der Andorraner und behandelten Andri genau so mies wie in der Ursprungsfassung von Max Frisch. Technisch wurde das vom Theater Kanton Zürich sehr spannend gelöst: Via Beamer wurde jeweils ein Bild mit Berufsbezeichnung und «normaler Kleidung» eingeblendet, welche Figur aus der echten Geschichte gerade dargestellt wurde vom Pflegepersonal. Zudem wurde eine weitere Metaebene eingebaut: Immer wieder wurden während der Aufführungen Filmausschnitte eingeblendet, welche die echte Story von Andrins Schicksal erzählen sollten. Diese Filmausschnitte waren im Stile von Medical Detectives abgedreht: Mit Zeugenaussagen, Statements von Polizisten und halbgaren investigativen journalistischen Ermittlungen. Der Zuschauer hatte daher eigentlich zwei Handlungsstränge und zwei Theaterstücke zu bewältigen: Die Filmausschnitte und das «Rückblende-Spiel» von Barblin in der Klinik. Diese Aufgabe war anspruchsvoll, hatte jedoch grossen Unterhaltungswert und forderte die Gäste kognitiv heraus. Die Medical-Detectives-Version hatte zudem den Vorteil, dass es die Zeitlosigkeit des Stückes unterstrich. Insgesamt war der Spagat zwischen Werktreue, Film und Schauspiel eine sehr kreative und innovative Umsetzung von Max Frischs Klassiker. Besonders gut gelungen daran war, dass man dabei auch die Männerbastion von Frisch geknackt hatte. Beim Original spielen Frauen keine wichtige Rolle. Das Theater Kanton Zürich hat jedoch Barblin ins Zentrum gerückt und liess sie die Geschichte erzählen. Einziger Kritikpunkt: Das psychisch brutalste Element von Andorra, die Judenschau, wurde weggelassen. Angesichts der Brutalität des Holocaust ist es fraglich, ob dieses zentrale und perfide Element fehlen darf. Das ändert jedoch nichts daran, dass die Inszenierung von Andorra am Dienstagabend als kreativ, innovativ und absolut gelungen bezeichnet werden darf.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen am 30. März 2023 in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“.

Horror-Kuh und Westernheld in Barzheim

Beim Theatersport vom Freitag- und Samstagabend in der Kammgarn war das Publikum Regisseur und eine kleine Schaffhauser Gemeinde wurde zum Running-Gag.

Foto: Jeannette Vogel

Einmal im Jahr lädt das Theater Schauwerk in die Kammgarn zum grossen Theatersport-Event. Dabei treten zwei Schauspieler-Teams gegeneinander an, welche im Vorfeld weder Drehbuch noch Inhalt ihrer Stücke kennen. Dies wird vom Publikum bestimmt und die Künstler inszenieren danach ein Kurztheater mit den gewünschten Zutaten. Moderiert wird das Ganze von einem Schiedsrichter und zum Schluss jeder Runde wird abgestimmt mittels roter und blauer Karten, welche Formation kreativer, frecher oder lustiger gespielt hat. Die Veranstaltung ist bei den Schaffhausern sehr beliebt und sorgte für ein ausverkauftes Haus an beiden Abenden mit insgesamt 570 Besuchern. Am Freitagabend traten vom Team «Improphil» aus Luzern Reto Bernhard und Randulf Lindt gegen ihre Herausforderer «Improtheater» aus Konstanz Britta Lutz und Roberto Hirche an. Am Samstagabend gab es einen thematischen Theatersport mit dem Thema Natur. Anlass war das 50-Jahr-Jubiläum des WWF Schaffhausen. Unterstützt wurden die Künstler von der dreiköpfigen Pocket-Band.

Bildlegende: Bollywood-Show in der Kammgarn am Theatersport-Event. (Bericht: Hermann-Luc Hardmeier. Foto: Jeannette Vogel)

Vom Mond in die Kirche
Das erste Spiel am Freitagabend nannte sich «Stop’n’Go», bei welchem von den vier Schauspielern möglichst unterschiedliche Kombinationen und stetig wechselnde Schauplätze und Szenen gefordert waren. Das Publikum gab als Vorgabe, dass die Szene auf dem Mond beginnen sollte, ein Zahnarzt musste vorkommen und jemand musste als Hobby Wrestling-Kampfsport betreiben. Die Szenen nahmen überraschende Wendungen mit Schwangerschaftsgymnastik, einem Reggae-Song, Hantelstemmen im Fitnesscenter und schlussendlich endete die Darbietung mit einem «Ave Maria» in der Kirche.

Barzheim als Highlight
«Für die nächste Szene brauchen wir einen Ort, den man in Schaffhausen kennen müsste», fragte der Moderator. «Rheinfall», «Lindli» und «Barzheim» wurde gerufen. Die Theatertruppe entschied sich für das kleine Dorf Barzheim und musste unter grossem Gelächter der Gäste zunächst eine gewöhnliche Alltagssituation in Barzheim spielen. Diese sollte dann von Hollywood neu verfilmt werden. Das Publikum wünschte sich dafür ein Remake als Horrorfilm, als Bollywood-Tanzfilm und einen Western. Es folgte nun Szenen, wie es sie wohl in Barzheim noch nie gegeben hatte. Eine blutrünstige Kuh zog eine Schneise der Verwüstung durch die Stadt, eine fröhliche Bollywoodtruppe sang auf dem Marktplatz so mitreissend, dass sogar das Rindvieh die Hüften kreisen liess und zum Schluss lehrte ein Revolverheld die kleine 174-Seelen-Gemeinde das Fürchten. Die Darbietung war so gelungen, dass es viel Zwischenapplaus gab und bereits die erste La-Ola-Welle des Abends. Barzheim entwickelte sich sodann zum Running-Gag und wurde immer wieder einmal humorvoll in die Aufführungen eingebaut.

Laser-Schwert im Kindergarten
Das Highlight am Freitagabend war sicherlich die Runde mit dem Titel «Lieblingsspiel». Luzern brauchte einen Protagonisten für ein Märchen. Komplett in Versform gereimt spielten sie sodann eine romantische Komödie mit einem verwirrten Zwerg und einem zweiköpfigen Drachen, bei welcher ein Burg-Fräulein befreit werden musste. Konstanz hingegen teilte das Team. Roberto erfand zusammen mit dem Publikum eine Story. Britta wartete vor der Türe und musste danach erraten, wie ein Kindergartenlehrer mit einem Laser-Schwert bewaffnet zur Arbeit ging, das ertrinkende Kind im Aquarium jedoch von einer Kaulquappe gerettet wurde. Der Clou dabei, Roberto erzählte ihr die ganze Geschichte auf Kauderwelsch-Russisch und in Zeichensprache. Der Saal kugelte sich vor Lachen und staunte mit offenen Mündern, als Britta tatsächlich die ganze Geschichte erraten konnte. Viele weitere kreative Spiele und sogar eine Zugabe folgten. «Wir hatten zwei hochkarätige Abende und eine super Stimmung», bilanzierte Katharina Furrer vom Schauwerk zum Schluss erfreut.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am Montag, 16. Januar 2023.

Der Liftboy verblüffte die Kafka-Fans

Am Dienstag überraschte das Stadttheater Schaffhausen das Publikum, indem der sonst so düstere und traurige Franz Kafka humorvoll inszeniert wurde. Eine Theaterkritik von Hermann-Luc Hardmeier.

«Mein Dienst ist lächerlich und kläglich leicht (…), ich weiss nicht, wofür ich Geld bekomme.» Franz Kafkas Klage über seine Anstellung bei der «Arbeiter-Unfallversicherungs-Anstalt» konnte man immer auch humorvoll verstehen. Er bezeichnete seinen Beruf als «Brotjob» und fand seine wahre Passion im literarischen Schreiben. Werke wie «Die Verwandlung», bei welchem ein Handelsreisender sich in einen Käfer verwandelt oder «Der Process», bei welchem ein unbekanntes Gericht einen Herrn einer unbekannten Tat beschuldigt, machten den Autor berühmt. Weniger oft auf den Bühnen gespielt wird hingegen das Buch «Amerika (Der Verschollene)», welches am Dienstag im Stadttheater von der Württembergische Landesbühne Esslingen (WLE) aufgeführt wurde. «Bei Kafka leidet man oft als Zuschauer», erklärte Knut Spangenberg beim Theatergespräch vor Vorstellungsbeginn. «Uns gefiel, dass das Buch Amerika für einmal zum Schmunzeln einlädt und ein wenig an Charlie Chaplins Film «Modern Times» mit der Zahnradszene erinnert.» Am Dienstagabend schlitterte der Protagonist Karl Rossmann von einer vertrackten Situation in die nächste. Chaplins Zahnräder waren jedoch nicht aus Metall, sondern zeigten sich als Metapher bei den Mitmenschen von Rossmann. Er schien gefangen in einem Labyrinth von äusseren Zwängen, die er nicht beeinflussen konnte. Die perfekte Beschreibung für die kafkaesken Situationen, in welche Kafkas Figuren immer wieder hineingeraten. Der Protagonist Karl Rossmann hatte eine Affäre mit seinem Kindermädchen und nach ihrer Schwangerschaft flüchtete er nach Amerika. Einerseits aus Angst vor der familiären Schande, andererseits, um keine Alimente zahlen zu müssen. Nur zu gerne hätte er dort einen bürgerlichen Beruf angenommen, doch es wird ihm ein Knüppel nach dem anderen zwischen die Beine geworfen.

Foto: Jeannette Vogel. Bericht: Hermann-Luc Hardmeier.

Die Peripetie erreicht das Stück, als seine Karriere als Liftboy in einem Edelhotel scheiterte. Es stellte nicht nur der Wendepunkt in seinem möglichen bürgerlichen Aufstieg dar, sondern war auch ein humoristisches Highlight für Kafka-Kenner. Das telefonische Streitgespräch zwischen der Oberköchin und Rossmanns Vorgesetzten sorgte für ungewohnte hochgezogene Mundwinkel. Das Esslinger Ensemble warf zudem spannende Interpretations-Scheinwerfer auf die Figur des Randständigen Robinson: Vom Saboteur zur moralischen Stütze für Rossmann. Aber auch auf die Schlusszene im «Oklahoma Theater». Kafkas Fragment lässt den Ausgang offen. Auch der Tod Rossmanns scheint denkbar. Am Dienstag jedoch wurde er vom neuen Arbeitgeber endlich mit Respekt und Wertschätzung behandelt. Humor und Happy End? Absolut untypisch für Franz Kafka. Für den Theaterbesucher jedoch ein überraschendes und spannendes Erlebnis.

Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten am 19. Januar 2023. Von Hermann-Luc Hardmeier.

Mit Emil ist sogar die Steuererklärung ein Gaudi

Comedy-Urgestein Emil Steinberger zeigte am Montagabend in Dachsen, dass er auch noch mit 89 Jahren das Publikum zum Lachen bringen kann. Von Hermann-Luc Hardmeier.

Alle wollten ihn sehen. Die Mehrzweckhalle in Dachsen war am Montagabend restlos ausverkauft. 270 Gäste waren für den Auftritt des Urgesteins der Schweizer Comedyszene gekommen. Steinberger ist nicht nur bekannt durch seine zahlreichen, jahrzehntelange Bühnenshows, sondern auch durch seine Rolle im Film «Schweizermacher» oder sein einjähriges Gastspiel im Zirkus Knie. Mit seinem Programm «Emil schnädered», tourt er derzeit durchs Land und gibt nochmals einen vielfältigen Einblick in sein Können. «Sie werden mir nicht glauben, was mir heute in Dachsen passiert ist», begann Emil seine Erzählungen. Als er im hiesigen Café bei einer Zeitungslektüre und einem koffeinhaltigen Getränk entspannen wollte, setzte sich eine Frau zu ihm und prellte zum Schluss die Zeche. Als er sie vor der Tür zur Rede stellen wollte, wurde er prompt verhaftet, da ihn die Dame angezeigt hatte. Die unglaubliche Geschichte war humorvoll erzählt und Emil löste zum Schluss auf: «Ich habe Ihnen einen Bären aufgebunden.» Der Mix aus echten Begebenheiten und erfundenen Geschichten, die durchsetzt mit lustig nachgespielten Alltagsbeobachtungen waren, sind eine Stärke von Emil. Egal ob er ein neuzeitliches Märchen erzählt, in welchem Aschenbrödel zusammen mit Schneewittchen ein Nailstudio eröffnet und zum Schluss der Schweizer Post der Nobelpreis verliehen wird, oder ob er sich über das Wort Kohlensäure aufregt. Emil ist auch mit 89 Jahren eine Wucht. Immer wieder lässt er durchblicken, dass er trotz weissen Haaren im Herzen ein schelmischer Lausbube geblieben ist. Er zieht den Abbau des Service Public durch den Kakao oder macht sich über Weinkenner lustig, die mit Ausdrücken wie «Der Wein schmeckt nach Karamell, Schokolade, aber auch Liebstöckel und Essigstich», wichtig und mondän auftreten. «Wer will schon einen Wein mit Essigstich?», mokierte er sich. Einer der stärksten Momente der Show war, als Emil einen genervten Ehemann spielte, der eine Hochzeitskarte für ein befreundetes Paar verfassen sollte. Er dachte sich die lustigsten Kombinationen aus, welche sich reimen könnten. Zwischendurch stritt er sich mit der imaginären Ehefrau, welches Hochzeitsgeschenk gekaufte werden soll und warum sie um Himmels Willen dieses Paar überhaupt kenne. «Wegen diesem Seich geht mein ganzer Samstag flöten», fluchte er. Danach setzte Emil an zu einer Mathematiklektion, bei welcher er anschaulich die Mengenlehre erklärte: «Ein Kreis sind Zürcher, ein Kreis ist Kalbfleisch. Was ist die Schnittmenge?» – «Züri Geschnetzeltes», rief das Publikum im Chor. Im zweiten Teil des Abends hatten einige Programmpunkte ein wenig an Schwung und Biss verloren. Vielleicht war die Aufführung mit zwei Stunden ohne Pause ein wenig zu lange geraten. Mit einem sehr amüsanten Rollenspiel, bei welchem ein Paar eine Steuererklärung ausfüllte, und mit einer Vielzahl von Zugaben schickte der Comedy-Meister jedoch alle Zuschauer beschwingt und vergnügt nach Hause.

Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 12.10.2022. Von Hermann-Luc Hardmeier.

Ein kreativer Mix aus Theater und Sport

Beim Format „Theatersport“ in der Kammgarn erfanden Teams aus Deutschland und der Schweiz Kurztheater mithilfe der Inputs des Publikum. Das Resultat war eine rasante Doppelvorstellung am Freitag und Samstag.

Bild: Teamplayer trotz Konkurrenzkampf. Team Berlin vs. Team Bremen. (Foto: Roberta Fele, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier)

Beim Format „Theatersport“ in der Kammgarn erfanden Teams aus Deutschland und der Schweiz kreative Kurztheater mithilfe der Inputs vom Publikum.
„Fünf, vier, drei, zwei, eins – los!“ Beim Theatersport am Freitag- und Samstagabend in der Kammgarn wurde jede Szene kollektiv eingezählt. Am Freitag duellierten sich zwei Teams aus Bremen und Berlin, am Samstag wurde Bremen durch Bern ersetzt. Wie immer bei diesem Format existieren für die vielen Kurztheater keine Drehbücher. Das Publikum ist der Regisseur und bringt Inputs für die improvisierenden Schauspieler. Ein Ort, ein Beruf, eine Eigenschaft oder ein Gefühl. Je nachdem, was der kreative Schiedsrichter und Moderator Sven für die Kurzszenen haben musste. Am Schluss jeder Runde wurde mittels roter oder blauer Karte bewertet, welches Team besser war. Der Moderator fragte eine Dame nach ihrem Namen und ihrem Beruf. Die Archäologin Isabelle bekam sodann den Auftrag, im Saal eine kollektive La-Ola-Welle zu initiieren. Ihr Beruf wurde im Verlaufe des Abends ein Running Gag. Die Berliner nahmen Bezug auf die Ausgrabungen beim Barfüsserkloster. Sie liessen die Geschichte in der Vergangenheit spielen und erfanden eine witzige Story, warum dort überhaupt Skelette zu finden waren. Die Bremer wünschten sich aus dem Publikum zwei Mäntel und eine Stofftasche. Zudem einen Ort. „Spielplatz“ erklang es von den Gästen. Zunächst begann die Szene mit einer harmlosen Begegnung zweier Elternteile. Sie suchten jedoch in den Taschen der Zuschauermäntel nach interessanten Gegenständen und hatten plötzlich Medikamente und Tabletten in der Hand. Unter herzhaftem Gelächter der Gäste nahm das Stück sodann eine frappante Wendung. Plötzlich wurden auf dem Spielplatz Drogen gedealt und eine Liebesbeziehung schien sich zwischen den Protagonisten anzubahnen. Bei einem weiteren Spiel gaben die Besucher das Thema des Stücks und drei verschiedene Genres vor. „Aufklärung“ rief jemand und der Schiedsrichter grinste. Die Bienchen-und-Blümchen-Story musste sodann zuerst am Königshof, dann in einer James-Bond-Version und zu guter Letzt als Musical aufgeführt werden. Diese Szenen waren nicht nur spannend und witzig, sondern auch sehr beeindruckend. Scheinbar aus dem Nichts und nur mit wenigen „Zutaten“ stellten die Theatersportler jeweils ein Kurztheater auf die Beine, das wirklich beeindruckte. Ein kreativer Moment des Abends war auch, als der Schiedsrichter eine Sitcom aufführen wollte. Durch ein Missverständnis hiess die Hauptperson dann plötzlich „Munot“ und musste sich mit einem Untermieter, einem gefrässigen Piranha und einem kuschelbedürftigen Mondfisch herumschlagen. Das Highlight daran war aber, dass man wie die Amerikaner in den Sitcoms jeweils laut klatschen musste, wenn jemand neues die Bühne betrat oder im Kollektiv halblustige Szenen mit lautem Herauslachen, Weinen oder auch mit bedauernden „Ouuu“-Lauten kommentieren sollte. Normalerweise sieht man bei Sitcoms diese Zuschauer ja nicht, aber nun sass man mittendrin und merkte: Das macht unglaublich viel Spass. Es folgten viele weitere witzige Spiele. Beispielsweise jenes, bei welchem der Schiedsrichter ein gelbes Reclam-Schulheft dabei hatte und einer der Schauspieler für seine Sprechrolle nur Sätze aus Wedekinds „Frühlings Erwachen“ vorlesen durfte. Als sich die 130 Jahre alten Zitate mit einem Sozialpädagogen und einem Vermieterehepaar nicht vereinen liessen, kam es zu einem aberwitzigen Streit. Das Publikum war enthusiastisch gestimmt von den kreativen Kurztheatern. Auch die Organisatoren Katharina Furrer vom Schauwerk meinte: „Wegen Corona haben wir halb so viele Leute, aber die genauso scharfe und coole Stimmung wie sonst. „Ich bin total begeistert.“

Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am Montag, 17. Januar 2022.