Theatersport: Hardrock-Song über zersägte Bänkli

Beim Theatersport in der Kammgarn führt einmal im Jahr das Publikum Regie. Eine Theaterkritik von Hermann-Luc Hardmeier.

Bild: „Bühnenpolka“ duellierte sich mit „TS Winterthur“. (Foto: Michael Kessler, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier)

Man nehme einen Schiedsrichter, eine Band und zwei zweiköpfige Schauspielerteams. Und schon war die perfekte Backmischung für den Theatersportkuchen kredenzt. Am Freitag und Samstag fand der jährliche Theatersportwettkampf vom Schauwerk in der Kammgarn statt. Diesmal trat das Team «Bühnen Polka» aus München gegen die «TS Winterthur» an. Moderiert wurde das Ganze von einem Schiedsrichter, der Spiele für die zwei Mannschaften auswählte. Sie mussten sodann jeweils ein Kurztheater improvisieren, bei welchem aus dem Publikum Vorgaben wie der Ort, eine Stimmung oder beispielsweise ein Beruf aufgenommen wurden. Zum Schluss der Darbietung durften die Gäste Punkte vergeben und ein Siegerteam bestimmen. Im ersten Stop-and-Go-Spiel brauchte er für die gemeinsame Szene der Schauspieler einen Beruf. «Maurer», «Präsident» und «Archäologin» wurde gerufen. Die Schauspieler entschieden sich für die dritte Möglichkeit. Das Stück startete mit der Suche nach Knochen und Smaragden und endete schliesslich in einem gesungenen Heiratsantrag, bei welchem sich die zwei männlichen Schauspieler küssten. Schon diese Runde gab Einblick in die Kreativität der Künstler. Sie konnten aus winzigen Zutaten und Inputs dramatische und kreative Stücke ins Leben rufen. Einfach faszinierend, wie spontan, offen und talentiert die Bühnenakrobaten das Publikum begeisterten. «Beim nächsten Spiel suche ich einen schönen Ort», sagte der Schiedsrichter und er konnte sich kaum noch beherrschen vor Lachen, als eine Besucherin «Recyclinghof» schrie. Der Input wurde aufgenommen und ein Stück mit pedantischen Entsorgungstagen, der Abfallpolizei und mafiösen Müllganoven nahm seinen Lauf. Beim Lieblingsspiel der Gruppen entschieden sich die Münchner für das «Genre-Spiel». Dabei durfte das Publikum zwei Spielarten auswählen, zwischen welchen die Mannschaft hin- und herspringen wollte. Man entschied sich für Horror und Tierdokumentation. Die Besucherinnen und Besucher kugelten sich vor Lachen, wie die deutschen Schauspieler dabei selbst ein leichtes Chaos bekamen. Die Winterthurer konterten mit dem Spiel «Tour de Suisse», bei welchem sich zum Thema «Hausputz», in verschiedene Kantone reisten und dort mit Dialekten und Klischees jonglierten. «Welches Thema bewegt derzeit Schaffhausen?», wollte der Schiedsrichter wissen und jemand sprach die zersägten Bänkli von der umstrittenen Kunstaktion an. Es folgte nun ein Hardrock-Song zu den zersägten Bänkli, der den Saal zum Kochen brachte. Nach der Pause folgte eine Reggae-Nummer zum Thema «Schaffhauser Züngli», ein Dolmetscher-Spiel und viele weitere amüsante Momente. Am Samstagabend kämpften die Münchner sodann gegen «Tsurigo» aus Zürich und beindruckten beispielsweise mit «Katzenyoga» vs. «Darkyoga». «Wir hatten zweimal eine geballte Ladung voller Improvisationskunst auf der Bühne», freute sich Katharina Furrer vom Schauwerk. Die Kammgarn war zweimal rappelvoll. «Für das Schauwerk ist der Theatersport eine Einstiegsdroge, um alle Generationen ins Theater zu locken», sagte Furrer weiter. Das Schauwerk minimiert das Suchtpotential, indem sie jeweils im Januar eine intensive Ladung an Theatersport freigibt und mit der Schnelligkeit und dem Erfindergeist die Kammgarn-Gäste restlos begeisterte.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 13. Januar 2025.

Wenn Geheimagenten Physiker jagen

Im Stadttheater wurde am Mittwoch eine etwas brave, aber auch anregende Inszenierung von Dürrenmatts Klassiker aufgeführt. Eine Theaterkritik von Hermann-Luc Hardmeier.

Bild: Die drei Physiker Newton, Möbius und Einstein werden nach ihren Morden neu von Pflegern bewacht. (Foto: Jeanette Vogel, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier)

Mord im Stadttheater Schaffhausen. Das Stück «Die Physiker» von Friedrich Dürrenmatt begann am Mittwochabend damit, dass eine tote Krankenschwester auf der Bühne lag. Für den Tod verantwortlich war ein Patient der psychiatrischen Klinik «Les Cerisiers», der sich für den berühmten Physiker Albert Einstein hielt. Auch ein zweiter Bewohner des Sanatoriums hatte eine Krankenschwester ermordet: Er hielt sich für den Physiker Newton. Die zwei waren jedoch keineswegs mentale Pflegefälle, sondern in Wirklichkeit vom Geheimdienst der USA und der Sowjetunion. Sie jagten den Physiker Möbius, der ebenfalls Patient im Sanatorium war. Dieser hatte die Weltformel entdeckt, welche im Wettrüsten zwischen den zwei Grossmächten fürchterlich Waffen und entscheidende Vorteile hervorbringen könnte. Damit seine Erfindungen nicht missbraucht werden können, spielte Möbius den Verrückten und versteckte sich in der «Irrenanstalt». Ihm erscheine der König Salomo, behauptete er.

Missbrauch der Wissenschaft

Das Stück aus dem Jahre 1961 ist eine Parabel für den Kalten Krieg. Möbius spielte in diesem Gleichnis den Wissenschaftler, der die Gefährlichkeit seiner Erfindung erkannte und zum Schutze der Menschheit ins Irrenhaus flüchtete. Ganz anders als Robert Oppenheimer, der Vater der Atombombe, nahm er seine Verantwortung als Wissenschaftler wahr. Dürrenmatt konzipierte das Stück als Tragikomödie, welche humorvoll beginnt, danach aber eine grässliche Wendung nimmt, weil die Anstaltsleiterin Mathilde von Zahnd die Weltformel von Möbius missbraucht. In der Parabel steht sie stellvertretend für die Politiker des Kalten Krieges. Ihr «Spiel» mit dem Atomkrieg ist «irre» und brandgefährlich. Das Theater Kanton Zürich inszenierte unter der Regie von Niklaus Helbling eine Version des Stücks, welche sehr nahe am Text war. Im Vergleich zur Version von Herbert Fritsch im Schauspielhaus Zürich war dies eine sehr «brave» Auslegung. Interessant war das Bühnenbild mit den doppelten Türen und doppelten Stühlen. Es unterstrich die Botschaft, dass niemand auf der Bühne die Person war, die er vorgab zu sein. Gut umgesetzt waren Mordszene und der Besuch von Möbius’ Familie, welche im Original etwas langatmig sind, in der Version des Theater Kanton Zürich jedoch actionreich und humorvoll. Zum Schluss erschien im Gegensatz zum Originaltext König Salomo, der Möbius wie in einem Horrorfilm als Marionette benutzte. Hätte dies Dürrenmatt gefallen? Einerseits nein, da es seine Botschaft veränderte. Anderseits ja, da es grotesk war und eine Verfremdung erzeugte, die zum Nachdenken anregte. Der sogenannte V-Effekt war eins von Dürrenmatts Lieblingsstilmitteln. Insofern war das Stück gelungen inszeniert: Man lachte, aber erinnerte sich auch an die Gefahren des Kalten Kriegs. Leider wieder ein sehr aktuelles Thema.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 15. November 2024.

Deville teilte genüsslich gegen alle Seiten aus

Ex SRF-Moderator und Satiriker Dominic Deville schockierte und begeisterte im Stadttheater. Eine Theaterkritik von Hermann-Luc Hardmeier.

«Momentan wäre es ein guter Moment, um Kokain zu konsumieren», war einer der derben Sprüche von Dominic Deville. Der Satiriker trat am Donnerstagabend im Stadttheater Schaffhausen auf. Er galt als designierte Erbe der sonntäglichen Satiresendung Giacobbo-Müller auf SRF und hat sieben Jahre und 153 Sendungen lang das politische und gesellschaftliche Geschehen durch den Kakao gezogen. Wer einmal «live» im Publikum sass, weiss, dass Deville immer wieder Sprüche servierte, die zu heftig für SRF waren und sodann rausgeschnitten wurden. Gesendet wurde eine gezähmte Version des ehemaligen Punkrockers und ausgebildetem Kindergartenpädagogen. Bei seinem Bühnenprogramm «Off» scheint es nun, als müsste er keine Rücksicht mehr nehmen und kann sich von allen Fesseln lösen. Im Stadttheater sorgte das zuweilen auch dafür, dass man manchmal leer schluckte. Einige der Scherze waren köstlich, einige tanzten auf dem schmalen Grat des guten Geschmacks und einige überschritten die Grenze auch deutlich. Dominic Deville teilte beispielsweise kräftige gegen Abtreibungsgegner aus und bezeichnete die «Marsch für s’Läbe»-Teilnehmer als Gebärmutter-Taliban. Er fand, die Hamas hätte den Gotthardtunnel besser als die Schweizer bauen können und schimpfte über Ex-Nationalrat Christoph Mörgeli. Besonders hart ging er mit den SBB ins Gericht, weil sie auch nach 20 Jahren es nicht geschafft haben, alle Bahnhöfe barrierefrei zu gestalten und körperlich beeinträchtigte Personen nach wie vor Probleme beim Nutzen des ÖVs dadurch haben. Keine Frage: Dominic Deville ist kein Peach Weber, der einfach amüsieren und unterhalten will. Der Satiriker hat viel zu sagen und will es explizit auch in derben und eindeutigen Worten ausdrücken. Dass er dazwischen Scherze einbaut und dabei weder Menschen mit Beeinträchtigung, Politiker oder Drogenkonsumenten schont, gehört für ihn klar zum Programm. Als der deutsche Satiriker Jan Böhmermann 2016 sein Schmähgedicht gegen den türkischen Präsidenten Erdogan veröffentlichte und dabei von fast allen Seiten dafür Schelte kassierte, hörte man als Rechtfertigung immer wieder folgenden Satz: Satire darf alles, solange sie als Satire erkenntlich ist. Diesen Freipass nutzt Dominic Deville ausgiebig und geniesst es sichtlich. Er kennt keine Tabus und keine Grenzen. Das ist erfrischend, unterhaltsam, humorvoll aber auch immer wieder erschreckend. Fazit: Zum Glück kein Abend für oberflächliches Gefasel und belanglose Witzchen. Aber auch kein Abend für politische Korrektheit und schwache Nerven.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 2. Nov. 2024.

Eine Lastwagenladung voll trockenem Humor

Julia Kubik und Manuel Stahlberger präsentierten im Theater «Alti Fabrik Flaach» am Freitagabend ihr neues Programm. Ein Eventbericht von Hermann-Luc Hardmeier.

Foto: Aussen ernst, innen kreativ. Julia Kubik und Manuel Stahlberger überzeugten am Freitag in Flaach. (Bericht: Hermann-Luc Hardmeier. Foto: Hermann-Luc Hardmeier)

«Wir wollten den Sprachraum und das Einzugsgebiet vergrössern. Aber weiter bis nach Flaach haben wirs nicht geschafft», begrüssten Manuel Stahlberger und Julia Kubik die knapp 60 Gäste zunächst auf Französisch. Offenherzig gestanden sie ein, dass ihr Französisch dazu etwas zu schlecht sei und wechselten auf Deutsch. Die Comiczeichnerin sowie Autorin Kubik arbeitete beim neuen Programm «Es wie die Sonnenuhr machen» erstmals mit dem Liedermacher und Zeichner Stahlberger zusammen. Beide leben in St. Gallen und beide haben denselben trockenen Humor, was eine spannende Ausgangslage für den Auftritt in Flaach bedeutete. Ihr erster Programmpunkt zeigte via Beamer auf einer grossen Leinwand Figuren mit Sprechblasen, welche optisch ans Französischlehrmittel «On y va» angelehnt waren. Die Dialoge wurden von den zwei auf Französisch gesprochen und waren so belanglos, dass sie wieder lustig waren. Die zwei tänzelten den ganzen Abend auf dem schmalen Grat zwischen Unterhaltung und skurriler Banalität. Der lakonische Humor, die extrem trockene Art und das emotionslose Erzählen sorgten dafür, dass sich das Publikum köstlich amüsierte. Die Show lebte genau davon, was nicht gesagt wurde. Und das Duo Stahlberger-Kubik hatte eine ganze Lastwagenladung voll trockenem Humor dabei. Sie zeigten skurrile Chatverläufe, Fotos von St. Gallen, Zeichnungen von grotesken Tieren wie beispielsweise einem angeschossenen Reh, das in den Ausgang wollte, und, und, und. Aufgemischt wurde das ganze durch Lieder von Manuel Stahlberger, bei welchen Julia Kubik abwechselnd bis zur Atemlosigkeit tanzte, Saxophon spielte oder mitsang. Die Texte nahmen gewöhnliche Alltagssituationen auf die Schippe, kritisierten, beobachteten und drifteten auch gerne ins Groteske ab. Würde man Ed Sheeran, einen Autounfall und eine St. Galler Bratwurst in einen Mixer stecken, käme dabei vielleicht der Sound des Duos am Freitagabend heraus. Das Ziel der Musik war nicht zu begeistern und musikalische Höchstleistungen zu zelebrieren, sondern lakonisch zu unterhalten, was aufs Beste gelungen war.

Foto: Hermann-Luc Hardmeier

Manuel Stahlbergers Spezialität bei den nicht-gesanglichen Elementen waren Erzählungen anhand von Fotos oder Zeichnungen, bei welchen anfänglich banale Elemente plötzlich absurde und amüsante Wendungen nahmen. So beispielsweise seine Idee, wie und wo in St. Gallen von ihm eine Statue gebaut werden müsste, wie er mit «Weihnachts-Guetsli» historische Ereignisse nachstellte oder welche Einträge er im gemeinsamen Poesie-Album aus seiner Jugendzeit entdeckt hatte. Julia Kubik überzeugte mit anfänglich trockenen Comics, welche beispielsweise eine aggressive Yoga-Lehrerin oder die helvetische Variante von «Emotional Support Animals» zeigte. Also jenen Tieren, welche ängstliche US-Amerikanerinnen und US-Amerikaner in Flugzeuge mitbringen dürfen. Highlights der Show waren sicherlich, als die zwei die Geschichte des Igels Serge erzählten, der in seinem Bau Holzskulpturen anfertigte oder die Serie von Werbeanzeigen, welche Julia Kubik entworfen hatte. Da fanden sich beispielsweise Kerzen mit Fleischgeruch, ein Kiesmäher anstatt Rasenmäher oder Weiterbildungsveranstaltungen wie BWL oder Politikwissenschaften für Haustiere. Hinter der trockenen Art von Stahlberger und Kubik versteckte sich jede Menge Kreativität und viel Humor. Dies überzeugte und beeindruckte.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 30. Sept. 2024

Theaterkritik: Ein Kuss entlarvte die Lüge

Im Theaterstück «Shakespeare in Love» zeigte das Theater Kanton Zürich am Mittwoch auf der Freiluftbühne in Marthalen eine erfundene Liebesgeschichte um den legendären englischen Dichter. Eine Theaterkritik von Hermann-Luc Hardmeier.

Bild: Das Theater Kanton Zürich gastierte mit „Shakespeare in Love“ in Marthalen. Bericht: Hermann-Luc Hardmeier. Foto: Hermann-Luc Hardmeier.

«Es war der Wunsch der Vereinsmitglieder, wieder einmal ein Openair-Theater zu veranstalten», erklärte Martin Eggenschwyler, Präsident des Vereins Dorfläbe Marthalen. Vor sechs Jahren spielte vor der Mehrzweckhalle im Dorf schon einmal das Theater Kanton Zürich ein Stück. Zufälligerweise ebenfalls im Zusammenhang mit Shakespeare: Ein Sommernachtstraum. «Wir wollen mit dem Theater direkt zu den Leuten gehen, damit sie Kultur im Dorf erleben können», sagte auch Saskia Kehl vom Theater Kanton Zürich. Pro Jahr spielen sie 150 bis 200 Veranstaltungen und haben mit den verschiedenen Veranstaltungsorten in den Gemeinden und der Abhängigkeit vom Wetter viele Herausforderungen zu meistern. Für Mittwoch war ursprünglich Regen angesagt, doch Saskia Kehl entschloss nach Rücksprache mit dem Wetterdienst die Veranstaltung Openair und nicht in der Mehrzweckhalle durchzuführen. Das Stück «Shakespeare in Love» ist eine erfundene Liebesgeschichte nach dem gleichnamigen Hollywoodfilm von John Madden mit unter anderem Joseph Fiennes und Gwyneth Paltrow in den Hauptrollen. In der Bühnefassung von Lee Hall standen Axel Julius Fündeling und Eva Maropoulos in Marthalen mit dem Ensemble des Theater Kanton Zürich vor knapp 100 Besucherinnen und Besuchern. Der junge William Shakespeare litt unter einer Schreibblockade und hatte von seinem berühmten Werk «Romeo und Julia» erst einen Anfangssatz und einen rudimentären Titel gefunden. Zudem sassen ihm zwei Theaterdirektoren im Nacken. Auch die Suche nach geeigneten Schauspielern entwickelte sich zum Desaster. Ein Stotterer, ein aufdringlicher Bühnenschreck, ein Trunkenbold und ähnliche illustre Gestalten brachten William Shakespeare an den Rande der Verzweiflung. Passend zum Inhalt des Stücks weinte just in dem Moment ein Mädchen auf dem nahegelegenen Marthaler Spielplatz herzzerreissend. Offenbar hatte sie sich auf der Rutschbahn den Ellbogen angeschlagen und untermalte mit ihrem Wehklagen die Dramatik auf der Bühne. Doch plötzlich tauchte der Schauspieler Thomas Kent in den Theaterproben auf und begeisterte alle. Er schien die Idealbesetzung zu sein. Wenig später verliebte sich William Shakespeare auf einem Ball in die attraktive Viola und wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass sie und Thomas Kent ein und dieselbe Person waren. Der Schwindel flog erst auf, als sich bei den Proben die Kussszene nicht nach dem Geschmack des Maestros entwickelte und er den Schauspielern demonstrieren wollte, wie man richtig küsse. Wie ein Blitz durchfuhr es ihn, als er die Lippen von Thomas Kent alias Viola berührte. Dank diesem Kuss und der Hilfe des Theaterdichters Christopher Marlowe gewann Shakespeare seine Inspiration zurück und konnte das Stück zu Ende schreiben. In der Version von «Shakespeare in Love» verarbeitete er darin viele Aspekte seiner eigenen tragischen Liebesgeschichte zu Viola, die noch viele Wendungen nahm und schlussendlich unglücklich für ihn, aber glücklich für zukünftige Theaterstücke endete. Das Theaterstück in Marthalen war sehr humorvoll, kurzweilig und unterhaltsam. Da spielt es auch keine Rolle, dass nicht nur das Liebesleben von Shakespeare erfunden war, sondern auch der komplette Kern der Handlung. Shakespeare erfand die Geschichte nicht, sondern adaptierte sie lediglich fürs Theater, basierend auf dem Versbuch von Arthur Brookes «The Tragicall Historye of Romeus and Juliet», welches 40 Jahre vor Shakespeares Version geschrieben wurde. Und auch dieses Buch basiert auf einer italienischen Vorlage und auch jene kann bis zur griechischen Mythologie auf Sagen wie z.B. Hero und Leander oder auf die mittelalterliche Erzählung Tristan und Isolde zurückgeführt werden. Doch gerade diese fiktive Erzählung gefiel dem Publikum in Marthalen enorm. «Es war perfekt», bilanzierte Saskia Kehl und genau fünf Minuten nach Vorstellungsende setzte doch noch der Regen ein.

Erschienen am Freitag, 12. Juli 2024 in der Zeitung Schaffhauser Nachrichten von Hermann-Luc Hardmeier.

Der erste Rap über das Credit Suisse – Debakel

Beim satirischen Jahresrückblick «Bundesordner 23» gab es am Mittwochabend im Stadttheater viel humorvolle Kritik an Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Eine Theaterkritik von Hermann-Luc Hardmeier.

Der Börsenkurs stieg nur kurzzeitig bei Jane Mumfords gerappter Kritik an der Bankenwelt. (Foto: Melanie Duchene, Text: Hermann-Luc Hardmeier)

Bunt, bunter, Bundesordner. Keine Frage, der satirische Jahresrückblick «Bundesordner» war farbenfroh und kreativ gestaltet. Die neun Künstler waren Musiker, Comedians und Poetryslammer zugleich. Der Event startete, indem ein verkleideter Robert Oppenheimer die Atombombe explodieren liess, während dazu «Simply the Best» gesungen wurde. Die verschiedenen Künstler drehten das Jahr 2023 danach kräftig durch die Mangel. Jess Jochimsen schaute nach Deutschland, wo er sich über die Augenklappe von Kanzler Olaf Scholz amüsierte und die erstarkte Ausländerfeindlichkeit kritisierte. Dominik Muheim versetzte sich danach in die Rolle eines Sportreporters, der enthusiastisch das Rennen um Alain Bersets frei gewordenen Bundesratssitz als 300-Meter-Lauf kommentierte. Den sportlichen Event beendete Beat Jans auf dem Podest, nachdem er sich auch nicht vom Querschläger Daniel Jositsch beirren liess. Zwischen den gesprochenen Darbietungen tauchten lustigerweise Ernie und Bert von der Sesamstrasse auf und als Figurentheater auch sogenannte Waldrappen. Während die Satire und Gesellschaftskritik sehr gut ankamen, empfanden einige Zuschauer Die Ernie und Bert – Episoden als etwas zu kindisch und repetitiv. Doch die übrigen Show-Elemente waren so amüsant, temporeich und tiefsinnig, dass die Auflockerung mit den Figuren eigentlich eine willkommene Abwechslung darstellte. Mit der Originalmusik und dem gleichen Erzählstil von Kommissar Philip Maloney berichtete anschliessend Anet Corti über die «haarsträubenden Fälle der Giorgia Meloni». Neben der italienischen Ministerpräsidentin hatten auch Elon Musk und Alain Berset einen Auftritt im Krimi. Der entgleiste Güterzug der SBB durfte beim Jahresrückblick natürlich nicht fehlen und auch der Klimagipfel in Dubai, die Schweizer Neutralitätsproblematik im Ukrainekrieg oder der kurzzeitig im Stadttheater wiederauferstandene Silvio Berlusconi bekamen ihr Fett weg. Das Highlight der Veranstaltung war jedoch ganz klar der Frontalangriff auf die Bankenwelt. Genüsslich wurde kiloweise Salz in die Wunde namens Credit Suisse gestreut. Nachdem eine Totenmesse inklusive Mini-Oper namens «Banka est Kollapsus» gehalten wurde, gab Jane Mumford den ersten Rap zum Credit Suisse- Debakel zum Besten. Natürlich durften verkleidete Banker als Backgroundsänger und Tänzer nicht fehlen. Und zum Schluss wurden kräftige Boni ausgezahlt. Stark war anschliessend auch die Pressekonferenz der Firma Mattel. Durch den Erfolg des Barbie-Films beflügelt, wurde eine Werbeoffensive beschlossen. Der Barbie-Fan-Boom sollte nun auch das Image der katholischen Kirche aufbessern und deshalb gibt es neu Papst- und Ministrantenfiguren im Barbie-Stil. Mit der humorvollen und kritischen Veranstaltung wurde das Jahr 2023 am Mittwoch gebührend verabschiedet.

Eine Theaterkritik von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen am 29. Januar 2024 in der Zeitung Schaffhauser Nachrichten.

Ein originalverpacktes «Chrüsimüsi»

Die Theatersportabende in der Kammgarn sind längst Kult und sorgten am Freitag- und Samstagabend gleich zweimal für ein proppenvolles Haus und viel Interaktion des Publikums mit den Schauspielern. Eine Theaterkritik von Hermann-Luc Hardmeier.

«Fünf, vier, drei, zwei, eins – und los!» Das Publikum zählte jeweils im Chor die Szenen ein, welche die Schauspieler auf der Bühne zu improvisieren hatten. Die Stimmung bei der Veranstaltung des Schauwerks war nicht nur gut, sondern voller ungeduldiger Vorfreude. Einmal im Jahr findet Theatersport an der Baumgartenstrasse statt. Der Startschuss erfolgte 2004 und somit war diesmal das 20-jährige Jubiläum angesagt. Die Veranstaltung ist mittlerweile Kult und das Konzept ist bewährt: Zwei Schauspieler-Teams treten gegeneinander im Improvisationstheater auf der Bühne an. Die Zweiergruppen werden von einem Schiedsrichter gebändigt und von der Pocketband musikalisch unterstützt. Die Inputs für die Kurztheater kommen vom Publikum. Die Gäste sind gleichzeitig die Regisseure der Stücke und geben Ort, Personen oder Emotionen vor. Am Schluss bewerten sie mit roten oder blauen Karten, wer besser war. Das Team mit den meisten Punkten gewinnt zum Schluss. Am Freitagabend duellierten sich die «Gorillas Berlin» mit «Tsurigo». Am Samstag wurden die Zürcher durch «Winterthur Theatersport» ersetzt. Die Veranstaltung startete mit einem «Stop and Go»-Spiel. Alle Schauspieler spielten mit, doch jeweils in unterschiedlichen Kombinationen zu unterschiedlichen Themen. Somit fanden auf der Bühne vier Theaterstücke gleichzeitig statt. Eine Pilotin startete, dann kamen eine Bibel und ein Curlingstein ins Spiel. Zum Schluss gab es einen Heiratsantrag und einen spontanen Song zum Thema «Pudding». Schon dieses erste Game zeigte, den Reiz der Veranstaltung. Die Schauspieler können zu jedem Thema eine witzige Szene improvisieren, die überraschende Wendungen nehmen kann und für beste Unterhaltung sorgt.

Es folgten Theaterstücke mit einem Balletttänzer, ein Song namens «Digital Detox» oder einer Kundin, welche beim Metzger heimlich Leberkäse gestohlen hatte. Das Highlight des Abends war aber das «Herausforderungs-Spiel», bei welchem das andere Team dem Gegner eine Aufgabe stellte. Die Zürcher bekamen zwei Personalausweise aus dem Publikum und mussten damit ein Stück spielen. Den Berlinern wurden vom Publikum fünf Schweizerdeutsche Ausdrücke vorgegeben, welche sie nicht verstanden. Damit mussten sie ihr Theaterstück rund um den Besuch eines Zeugen Jehovas bestreiten. Der Saal konnte kaum noch atmen vor Lachen, als sich Björn Harras von den «Gorillas» über den nervigen «Gigampfi»-Bibelfan ärgerte, ihm ein Originalverpacktes «Chrüsimüsi» schenkte und ihn anschliessend zu einem Glas «Füdli» einlud. Erst nach der Aufführung erfuhren die Berliner, was sich in Wirklichkeit hinter den Begriffen verbarg. Am Freitagabend endete der Wettbewerb überraschend mit einem Unentschieden. Am Samstag gewann Winterthur. «Der eigentliche Sieger ist beim Theatersport jedoch das Publikum», freute sich Katharina Furrer vom Schauwerk. «Wir haben einmal mehr einen rasanten, dynamischen Abend mit grenzenloser Kreativität erlebt.»

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am Montag, 15. Januar 2024.

Eine Zigarette führte beinahe zu einer Revolution

Im Stück „Corpus Delicti“ von Juli Zeh ging es am Dienstagabend im Stadttheater Schaffhausen um den Machtmissbrauch in einer Gesundheitsdiktatur. Eine Theaterkritik von Hermann-Luc Hardmeier.

Foto: Patrick Pfeiffer, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier

Darf ein Staat seine Bürger zwingen, gesund zu leben? Im Stadttheater Schaffhausen wurde am Dienstagabend die Erzählung «Corpus Delicti» der Autorin Juli Zeh aufgeführt, welche genau dieser Frage nachgeht. Im Zentrum dabei stand «Die METHODE». Dies ist eine Gesundheitsdiktatur, welche wie bei George Orwells Roman «1984» oder bei der Dystopie «Brave New World» seine Bürger überwacht und zu einer konformen Lebensweise drängen will. Ins Visier des autoritären Staates gerät Protagonistin Mia Holl, weil sie ihre vorgeschriebenen Gesundheitsberichte nicht abgibt und später durch das Rauchen einer Zigarette vor Gericht gestellt wird. Die Methode startet mithilfe des Journalisten Heinrich Kramer eine moderne Hexenjagd. In der Inszenierung der Württembergischen Landesbühne Esslingen hatte man einiges gegenüber der Originalfassung verändert. Das Positive zuerst: Die vielen Gerichtsverhandlungen des Buches wurden bis auf zwei aus dem Bühnenstück geworfen, die eher trockenen Erzählungen wurden immer wieder durch Lieder aufgelockert. Bunte Kostüme und ein kreatives Bühnenbild sorgten für eine Modernisierung des Stoffes. Eine drehbare Wendeltreppe bildete das Herzstück der Inszenierung und konnte an den Rand, in die Mitte und in verschiedene Positionen gebracht werden. Viele kleine Veränderungen sorgten für gute Unterhaltung. Besonders gelungen war die Stärkung der Figur des Pflichtverteidigers Lutz Rosentreter, der eine zentrale Rolle bekam und mit dem Song «Freedom» von George Michael das Kernanliegen von Juli Zeh auf den Punkt brachte. Er entlarvte die Fehler der Methode und sorgte für den Beginn einer Revolution, die allerdings von der Methode verhindert werden konnte. Eher negativ war, dass Nicht-Kenner des Buches kaum eine Chance hatten, die Handlung zu verstehen. Eine Phantasiegestalt namens «Die ideale Geliebte» wurde nur spärlich erklärt und im Gegensatz zum Buch nicht in der Mitte des Stückes durch eine Katharsis der Hauptperson aufgelöst, sondern im Spiel gelassen. Heinrich Kramer, der Gegenspieler der Protagonistin, war ziemlich anders dargestellt als im Original. Er manipuliert Mia Holl so deftig, dass sie unter einer Art Stockholm-Syndrom leidet und sich unsicher ist, ob sie sich in ihren Peiniger sogar ein wenig verliebt hat. Im Stadttheater sah dies anders aus: Es wurde geküsst, gekuschelt und auch leidenschaftliche Liebesspiele wurden angedeutet. Zum Schluss wird Kramer von Bewaffneten abgeführt, anstatt triumphierend als Gewinner dazustehen. Eine verwirrende und unklare Veränderung im Vergleich zum Original. Die Hauptbotschaft des Buches blieb jedoch glasklar: Ein autoritärer Hygienestaat kann seine Bürger foltern, unterdrücken und einschüchtern, aber er wird niemals den Gedanken an Freiheit und Selbstbestimmung auslöschen können.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen am Donnerstag, 7. Demzember 2023.

Wenn das Wohnzimmer zum verbalen Boxring wird

Im Theaterstück «Gott des Gemetzels» eskalierte ein Streit unter vermeintlich vernünftigen Erwachsenen. Eine Theaterkritik von Hermann-Luc Hardmeier.

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Eskalation: Gastgeberin Veronique stieg auf das Sofa, als Anwalt Alain sie bis zur Weissglut reizte. (Foto: Selwin Hoffmann. Bericht: Hermann-Luc Hardmeier)

Die Haupthandlung des Stücks «Gott des Gemetzels» wäre eigentlich schnell erzählt. In der Schule gab es Streit zwischen zwei Kindern. Zwei Elfjährige haben sich geprügelt, dabei schlug der eine dem anderen mit einer Stange zwei Zähne aus. Die beiden Elternpaare treffen sich zu einem klärenden Gespräch. Doch diese Unterhaltung eskalierte ziemlich schnell. Das Stück von Yasmina Reza wurde 2006 uraufgeführt und ist spätestens seit der Kino-Adaption aus dem Jahr 2011 von Roman Polanski weltbekannt. Am Dienstagabend wurde nun die Inszenierung von Tobias Maehler im Stadttheater Schaffhausen aufgeführt. «Der Kunstgriff bei dieser Aufführung ist, dass die Kinder selbst nicht da sind und die Eltern sich immer mehr ihr eigenes Loch schaufeln», sagte Jens Lampert vom Stadttheater Schaffhausen im «Talk im Theater» kurz vor der Aufführung. Zunächst geht im Wohnzimmer der Opfer-Familie alles sehr gesittet zu. Bei Gebäck und Kaffee versuchen die Eltern, sich zu einigen. Auf beiden Seiten herrscht viel Verständnis. Selbstverständlich werde die Versicherung für die Schäden an den Zähnen aufkommen und man fragt, ob es möglich sei, dass der Täter sich beim Opfer entschuldigen könnte. Die zwei Familien tauschen oberflächliche Nettigkeiten aus und scheinen gewillt, das Thema unbürokratisch lösen zu wollen. Während des Gesprächs wird jedoch klar, dass auch die Erwachsenen keine lumpenreine Weste haben. Michel, der Vater des Opfers, hat offenbar den Hamster der Tochter ermordet. Mutter Veronique hat ein Alkoholproblem und bei der Täterfamilie wird Vater Alain nonstop von Handyanrufen unterbrochen. Als Anwalt einer Pharmafirma versucht er, einen Medikamentenskandal zu vertuschen. Als die Mutter von Michel anruft und offenbar Opfer genau dieses Medikamentes geworden ist, eskaliert der Konflikt. Annette, die Mutter des Täters, beschuldigt Michel als Hamster-Mörder und übergibt sich über das Lieblingsbuch von Veronique. Weil Alain seine Handysucht nicht bändigen kann, versenkt sie sein Smartphone kurzerhand in der Blumenvase. Beide Paare beginnen sich gegenseitig und untereinander zu zerstreiten. Das Publikum kugelte sich dabei vor Lachen, weil das schwere Thema in eine so amüsante Komödie verpackt war. Im Visier war vor allem das Selbstbild der Figuren. Gegen aussen sahen sie sich als gebildet und kultiviert, letztendlich waren sie aber infantile und brutale Wesen. Zum Schluss schrien sie sich an, tranken hemmungslos Alkohol, prügelten sich, zerrissen das Blumengesteck leidenschaftlich und beschimpften sich mit wüsten Worten. Eigentlich hält das Stück der Gesellschaft den Spiegel vor Augen: Sind die Erwachsenen wirklich fähig, Konflikte kultiviert zu lösen? Das Wohnzimmer wurde zum verbalen Boxring, der Yasmina Rezas Gesellschaftskritik herrlich humorvoll aufzeigte.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 2. November 2023.

Theaterkritik: „Der Richter und sein Henker“ – Die schmutzigen Tricks von Kommissär Bärlach

Am Dienstagabend überzeugte im Stadttheater die Aufführung von Friedrich Dürrenmatts «Der Richter und sein Henker» mit Witz, Charme und einem Bühnenbild, das nur auf den ersten Blick langweilig erschien. Eine Theaterkritik von Hermann-Luc Hardmeier.

Gibt es das perfekte Verbrechen? Wenn es nach Gastmann geht, dann ist diese Frage mit «Ja» zu beantworten. Der finstere Bösewicht des Stückes in «Der Richter und sein Henker» wettete einst mit Kommissär Bärlach darum, dass er vor den Augen des Polizisten einen Mord begehen könne, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Er sollte recht behalten, doch Bärlach sann nach Rache. 40 Jahre später geschah ein Mord am Polizisten Ulrich Schmied, der offenbar als verdeckter Ermittler bei Gastmann eingeschleust war. Zusammen mit dem ehrgeizigen Polizisten Tschanz startete Bärlach seine Untersuchungen. Dabei wurde der Protagonist vom Wachhund, einem schwierig zu beschreibenden Ungeheuer, angegriffen. Tschanz rettete ihm das Leben, indem er das Tier tötete. Das Buch von Dürrenmatt ist eine Persiflage auf den Kriminalroman und nahm deshalb immer wieder unerwartete Wendungen. Schmieds Mörder war offenbar Polizist Tschanz selber. Sein Motiv: Eifersucht auf den beruflichen Erfolg von Schmied. Um seine Spuren zu verwischen und jemand anderes den Mord anzuhängen, tötete er sodann Gastmann. Aber: Bärlach hatte insgeheim als vermeintlicher Richter alles so geplant und Tschanz als Henker für seine Pläne benutzt. Kein Wunder freute sich der Kommissär zum Schluss riesig über seinen Sieg in der Wette. Doch diese erinnert stark an den Pakt zwischen Gott und dem Teufel in Goethes Klassiker «Faust», bei welchem auch das Gute gegen das Böse antrat. Nur hatte Dürrenmatt das Ganze umgedreht: Bärlach erschuf keine Gerechtigkeit, sondern übte Rache. Der Ermittler ist eigentlich kein «Guter», sondern hat sich auf die finstere Seite des Gesetzes geschlagen. Passend dafür war auch das Bühnenbild, welches die undefinierbare Bestie darstellte, welche Bärlach angegriffen hatte. Zunächst war man als Zuschauer enttäuscht, weil nach dem Tod des Tieres das Bühnenbild nutzlos und etwas langweilig erschien. Doch bei genauerem Betrachten erkannte man im mehrköpfigen Wuschelknäuel eine literarische Parabel auf das ganze Stück. So unfassbar wie das Äussere des Tieres waren in der Geschichte auch die Begriffe gut, böse, Wahrheit oder Gerechtigkeit. Das Altonaer Theater hatte die Inszenierung mit viel Witz und Charme sowie gutem Tempo umgesetzt. Man durfte gespannt den Ermittlungen folgen oder über Dürrenmatts groteske Ironie lachen. Tschanz als Henker und Bärlach als Chefplaner und Richter blieben zum Schluss ungestraft. Das sorgte für hitzige Diskussionen und einen gelungenen Theaterabend.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 16. März 2023.