Eskalation in der Polka-Sauna

Die Schaffhauser Band Palko!Muski liess die Kammgarn am Freitag an ihrem Heimspiel kochen. Ein Konzertbericht von Hermann-Luc Hardmeier.

Foto: Michael Kessler, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier.

«I want to go crazy with you”, rief Sänger Baptiste Beleffi ins Publikum, als seine Band loslegte. Die Kammgarn war am Freitagabend proppenvoll und die Stimmung schon vor dem Aufritt ein Pulverfass. Palko!Muski musste mit ihrem Mix aus Polka, Gipsypunk, Klezmer und Folk nur noch das Streichholz entzünden, damit es zur Partyexplosion kam. Das Inferno brannte zwei Stunden mit Höchsttemperaturen. Die osteuropäischen Powerklänge der fünfköpfigen Band in Kombination mit den kratzigen englischen Texten kamen beim Publikum sehr gut an. «Kammgarn, you are my Mothership», freute sich der Frontmann, zog sich sein Hemd aus und Stand auf den Hocker des Keyboards im Zentrum der Bühne. Wie ein Anführer einer Revolution heizte er die Menge an. Nach seinen Worten wären die Gäste vielleicht nicht gerade bereit gewesen, nochmals die Bastille zu stürmen wie in der Französischen Revolution, aber für eine Attacke auf den Munot, um dort weiterzufeiern, hätte es allemal gereicht. Auf der Tanzfläche wurde wilder Pogo getanzt. Ein wahrer Hexenkessel. Baptiste Beleffi brachte die Besucherinnen und Besucher dazu, mitzuklatschen, mitzusingen, kollektiv in die Hocke zu gehen und auf Kommando hochzuspringen und auszuflippen. «We don’t stop tonight», rief er und erhielt begeistertes Johlen als Antwort. Die Eskalation in der Polka-Sauna war perfekt. Für die Band war dieser Abend ein Heimspiel, das sie sichtlich genossen. Christoph Craviolini (Akkordeon), Matthias Honegger (Bass und Saxophon), Nadav Bergfreund (Gitarre) und Tiffany Meyer (Drums) spielten ohne Unterbruch Hit um Hit. Ein besonderes Highlight war der Song «Remedy», welcher die 70. Single der Band ist und brandneu aus der Presse kommt. Aber auch als kollektiv «Bella Ciao» angestimmt wurde, brannte der Saal. Baptiste Beleffi übergoss sich enthusiastisch mit einer Vodka-Flasche und setzte zum Stagediving der Extraklasse an. Er sprang nicht einfach in die Menge, sondern «spazierte» auf den Händen der Besucherinnen und Besucher über die Köpfe hinweg durch die Kammgarn. Das Spektakel endete damit, dass er auf den Händen zurück auf die Bühne getragen wurde und gleich wieder ins Publikum sprang. Egal ob singend in der Menschenmenge, zuckend auf dem Boden der Bühne oder auf dem Stuhl des Keyobards stehend: Baptiste Beleffi verstand es, die Menge immer wieder aufs Neue anzuheizen. Das Publikum verlangte lautstark eine Zugabe, um welche sich Palko!Muski nicht lange bitten liess. Am Ende des Songs wollte Baptiste Beleffi rhetorisch wissen: «Is this enough?» Der Proteststurm war ohrenbetäubend und sodann liess die Band den Bär nochmals so deftig steppen, bis beinahe das Kreuzband riss. «You are the craziest crowd in Switzerland», lobte der Sänger die kochende Meute zum Abschluss.

Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am Montag, 11. Dezember 2023.

Eine Zigarette führte beinahe zu einer Revolution

Im Stück „Corpus Delicti“ von Juli Zeh ging es am Dienstagabend im Stadttheater Schaffhausen um den Machtmissbrauch in einer Gesundheitsdiktatur. Eine Theaterkritik von Hermann-Luc Hardmeier.

Foto: Patrick Pfeiffer, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier

Darf ein Staat seine Bürger zwingen, gesund zu leben? Im Stadttheater Schaffhausen wurde am Dienstagabend die Erzählung «Corpus Delicti» der Autorin Juli Zeh aufgeführt, welche genau dieser Frage nachgeht. Im Zentrum dabei stand «Die METHODE». Dies ist eine Gesundheitsdiktatur, welche wie bei George Orwells Roman «1984» oder bei der Dystopie «Brave New World» seine Bürger überwacht und zu einer konformen Lebensweise drängen will. Ins Visier des autoritären Staates gerät Protagonistin Mia Holl, weil sie ihre vorgeschriebenen Gesundheitsberichte nicht abgibt und später durch das Rauchen einer Zigarette vor Gericht gestellt wird. Die Methode startet mithilfe des Journalisten Heinrich Kramer eine moderne Hexenjagd. In der Inszenierung der Württembergischen Landesbühne Esslingen hatte man einiges gegenüber der Originalfassung verändert. Das Positive zuerst: Die vielen Gerichtsverhandlungen des Buches wurden bis auf zwei aus dem Bühnenstück geworfen, die eher trockenen Erzählungen wurden immer wieder durch Lieder aufgelockert. Bunte Kostüme und ein kreatives Bühnenbild sorgten für eine Modernisierung des Stoffes. Eine drehbare Wendeltreppe bildete das Herzstück der Inszenierung und konnte an den Rand, in die Mitte und in verschiedene Positionen gebracht werden. Viele kleine Veränderungen sorgten für gute Unterhaltung. Besonders gelungen war die Stärkung der Figur des Pflichtverteidigers Lutz Rosentreter, der eine zentrale Rolle bekam und mit dem Song «Freedom» von George Michael das Kernanliegen von Juli Zeh auf den Punkt brachte. Er entlarvte die Fehler der Methode und sorgte für den Beginn einer Revolution, die allerdings von der Methode verhindert werden konnte. Eher negativ war, dass Nicht-Kenner des Buches kaum eine Chance hatten, die Handlung zu verstehen. Eine Phantasiegestalt namens «Die ideale Geliebte» wurde nur spärlich erklärt und im Gegensatz zum Buch nicht in der Mitte des Stückes durch eine Katharsis der Hauptperson aufgelöst, sondern im Spiel gelassen. Heinrich Kramer, der Gegenspieler der Protagonistin, war ziemlich anders dargestellt als im Original. Er manipuliert Mia Holl so deftig, dass sie unter einer Art Stockholm-Syndrom leidet und sich unsicher ist, ob sie sich in ihren Peiniger sogar ein wenig verliebt hat. Im Stadttheater sah dies anders aus: Es wurde geküsst, gekuschelt und auch leidenschaftliche Liebesspiele wurden angedeutet. Zum Schluss wird Kramer von Bewaffneten abgeführt, anstatt triumphierend als Gewinner dazustehen. Eine verwirrende und unklare Veränderung im Vergleich zum Original. Die Hauptbotschaft des Buches blieb jedoch glasklar: Ein autoritärer Hygienestaat kann seine Bürger foltern, unterdrücken und einschüchtern, aber er wird niemals den Gedanken an Freiheit und Selbstbestimmung auslöschen können.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen am Donnerstag, 7. Demzember 2023.

«Ein Auftritt erspart mir den Psychiater»

Am Freitagabend sorgt die Schaffhauser Band Palko!Muski Einmal mehr für Saunatemperaturen in der Kammgarn. Im Gepäck dabei haben sie ihre 70. Single «Remedy». Von Hermann-Luc Hardmeier.

Wer jemals an einem Konzert von Palko!Muski war, der weiss, was ihn erwartet: Die Gäste flippen aus, es wird wild getanzt, gesungen, zugeprostet und die Hemden sind klatschnass vom Tanzfieber. Kaum ein Gast, der nicht glücklich das Konzertlokal verlässt. Doch woher kommt das Feuer und die Power der Schaffhauser Combo? «Das Leben ist voller Inspiration», erklärt Sänger Baptiste Beleffi. «Musik darf Körper und Seele gleichermassen berühren. Wir alle haben das Recht auszuflippen.» Zudem verrät er ein Geheimnis, warum er so gerne auf der Bühne steht: «Ich erspare mir so den Psychiater! Wenn das ansteckend ist und die Leute dafür Eintritt bezahlen, wehre ich mich selbstverständlich nicht dagegen.» Palko!Muski spielt einen wilden Mix aus Folk, Gipsypunk, Klezmer und Polka. Die Band ist nicht nur einfach eine wilde Partytruppe, sondern es sind wirklich gute Freunde. Die Gründungsmitglieder Christoph Craviolini (Akkordeon und Keyboards), Matthias Honegger (Bass und Saxophon) und Baptiste Beleffi kennen sich schon viel länger, als die 17-jährige Geschichte der Band vermuten lässt. Um das zu veranschaulichen erklärt Beleffi: «Unsere Perle am Schlagzeug Tiffany Meyer ist 26 Jahre alt. Ein grosses Talent! Sie ist gleich alt, wie Matthias Honegger und ich zusammen auf der Bühne stehen.» Neustes Mitglied im Freundschaftskollektiv ist übrigens Nadav Bergfreund an der Gitarre. Eine Bandkarriere gibt es laut dem Sänger nicht. Auffällig ist vielleicht, dass Palko!Muski kurz davor stand, einen Mastervertrag mit einer grossen Plattenfirma zu unterschreiben. Es kam aber nicht dazu. Unter anderem, weil seltsame Klauseln im Vertrag auftauchten, wonach der Sänger beispielsweise nicht mehr oben ohne spielen sollte. «Wenn wir den Vertrag dazumal gemacht hätten, gäbe es uns heute nicht mehr», erklärt der Baptiste Beleffi. Der Kommerz und Erfolg interessiert die Band weniger. «Der Motor war und ist die Freundschaft und die Liebe zu dem, was wir gemeinsam tun. Wenn wir uns morgen entscheiden würden, keine Musik zu machen, hätten wir vielleicht einen Angelklub oder ein Häkel-Grüppli namens Palko!Muski.» Die Band freut sich darauf, wieder in der Kammgarn zu spielen. «Die Kammgarn ist unser Mutterschiff», so Beleffi. «Wir hatten da als Teenager und später ein Probelokal. Die Leute von KiK haben uns gefördert und gefordert. Für das bin ich ihnen sehr dankbar und daher ist die Freude hier zu spielen besonders intensiv.» Ein besonderes Highlight ist es zudem, dass am Konzert in der Kammgarn die Première der 70. digitalen Veröffentlichung gefeiert wird: Der neue Song «Remedy» ist ein besonderer Leckerbissen für jeden Palko-Fan und hat den gewohnten mitreissenden Drive.  Ein Markenzeichen der Band sind nicht nur ihre Musik, sondern auch die Kleider der Truppe. Ob kurz vor dem Auftritt die Brockenhäuser der Stadt eine Razzia befürchten müssen, lässt sich nicht entlocken. Im Gegenteil, Baptiste Beleffi winkt mit einem Augenzwinkern ab: «Etwas muss ich hier mal klarstellen: Die Kleider hat uns damals eine berühmte Modedesignerin gemacht. Wir hatten in unseren goldenen Jahren sogar ein eigenes «Ministerium of Fashion». Leider sind sie durch das viele Waschen eingegangen.» Zu guter Letzt gilt es noch die Frage zu klären, ob in der Kammgarn nicht nur das T-Shirt, sondern auch andere Kleidungsstücke des Frontmanns fallen werden. Gerüchten zufolge passiert dies regelmässig. «Ich glaub wirklich nicht, dass jeder Mensch mein altes Sitzleder sehen will», so Beleffi. «Du kannst eine Topshow machen, aber am Schluss bleibt der Hintern im Kopf.» Geplant sei nichts, versichert er. Aber verweist auf die Textstelle im Palko!Muski-Lied: «…cause we are all born naked». Man darf gespannt sein.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 4. Dezember 2023.