Eine Lastwagenladung voll trockenem Humor

Julia Kubik und Manuel Stahlberger präsentierten im Theater «Alti Fabrik Flaach» am Freitagabend ihr neues Programm. Ein Eventbericht von Hermann-Luc Hardmeier.

Foto: Aussen ernst, innen kreativ. Julia Kubik und Manuel Stahlberger überzeugten am Freitag in Flaach. (Bericht: Hermann-Luc Hardmeier. Foto: Hermann-Luc Hardmeier)

«Wir wollten den Sprachraum und das Einzugsgebiet vergrössern. Aber weiter bis nach Flaach haben wirs nicht geschafft», begrüssten Manuel Stahlberger und Julia Kubik die knapp 60 Gäste zunächst auf Französisch. Offenherzig gestanden sie ein, dass ihr Französisch dazu etwas zu schlecht sei und wechselten auf Deutsch. Die Comiczeichnerin sowie Autorin Kubik arbeitete beim neuen Programm «Es wie die Sonnenuhr machen» erstmals mit dem Liedermacher und Zeichner Stahlberger zusammen. Beide leben in St. Gallen und beide haben denselben trockenen Humor, was eine spannende Ausgangslage für den Auftritt in Flaach bedeutete. Ihr erster Programmpunkt zeigte via Beamer auf einer grossen Leinwand Figuren mit Sprechblasen, welche optisch ans Französischlehrmittel «On y va» angelehnt waren. Die Dialoge wurden von den zwei auf Französisch gesprochen und waren so belanglos, dass sie wieder lustig waren. Die zwei tänzelten den ganzen Abend auf dem schmalen Grat zwischen Unterhaltung und skurriler Banalität. Der lakonische Humor, die extrem trockene Art und das emotionslose Erzählen sorgten dafür, dass sich das Publikum köstlich amüsierte. Die Show lebte genau davon, was nicht gesagt wurde. Und das Duo Stahlberger-Kubik hatte eine ganze Lastwagenladung voll trockenem Humor dabei. Sie zeigten skurrile Chatverläufe, Fotos von St. Gallen, Zeichnungen von grotesken Tieren wie beispielsweise einem angeschossenen Reh, das in den Ausgang wollte, und, und, und. Aufgemischt wurde das ganze durch Lieder von Manuel Stahlberger, bei welchen Julia Kubik abwechselnd bis zur Atemlosigkeit tanzte, Saxophon spielte oder mitsang. Die Texte nahmen gewöhnliche Alltagssituationen auf die Schippe, kritisierten, beobachteten und drifteten auch gerne ins Groteske ab. Würde man Ed Sheeran, einen Autounfall und eine St. Galler Bratwurst in einen Mixer stecken, käme dabei vielleicht der Sound des Duos am Freitagabend heraus. Das Ziel der Musik war nicht zu begeistern und musikalische Höchstleistungen zu zelebrieren, sondern lakonisch zu unterhalten, was aufs Beste gelungen war.

Foto: Hermann-Luc Hardmeier

Manuel Stahlbergers Spezialität bei den nicht-gesanglichen Elementen waren Erzählungen anhand von Fotos oder Zeichnungen, bei welchen anfänglich banale Elemente plötzlich absurde und amüsante Wendungen nahmen. So beispielsweise seine Idee, wie und wo in St. Gallen von ihm eine Statue gebaut werden müsste, wie er mit «Weihnachts-Guetsli» historische Ereignisse nachstellte oder welche Einträge er im gemeinsamen Poesie-Album aus seiner Jugendzeit entdeckt hatte. Julia Kubik überzeugte mit anfänglich trockenen Comics, welche beispielsweise eine aggressive Yoga-Lehrerin oder die helvetische Variante von «Emotional Support Animals» zeigte. Also jenen Tieren, welche ängstliche US-Amerikanerinnen und US-Amerikaner in Flugzeuge mitbringen dürfen. Highlights der Show waren sicherlich, als die zwei die Geschichte des Igels Serge erzählten, der in seinem Bau Holzskulpturen anfertigte oder die Serie von Werbeanzeigen, welche Julia Kubik entworfen hatte. Da fanden sich beispielsweise Kerzen mit Fleischgeruch, ein Kiesmäher anstatt Rasenmäher oder Weiterbildungsveranstaltungen wie BWL oder Politikwissenschaften für Haustiere. Hinter der trockenen Art von Stahlberger und Kubik versteckte sich jede Menge Kreativität und viel Humor. Dies überzeugte und beeindruckte.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 30. Sept. 2024

Müslüm will den Zaun am kleinen helvetischen „Gärtli“ einreissen

Der Musiker und Entertainer Müslüm befreit am Freitag Schaffhausen vom «Bünzlitum» und will uns den orientalischen Hüftschwung lehren. Eine Konzertvorschau von Hermann-Luc Hardmeier.

Von Hermann-Luc Hardmeier.

Müslüm ist wieder da. Der «Süpervitamin»-Sänger erscheint auch diesmal im Gewand des subversiven Einwanderers mit maximalem Erleuchtungspotential. Mit seinen knallharten Texten lässt er regelmässig Vorurteile wie Schnee in der Sonne schmelzen. Er pulverisiert Spiessbürger, stürzt sich auf gesellschaftliche Tabus und bringt selbst gestandene Parteien ins Wanken, wenn er im Samichlaus-Kostüm gewissen Nationalräten die Leviten liest. Bald ein halbes Dutzend Mal besuchte Müslüm bereits die Munotstadt. Abwechselnd mit kompletter Band oder wie diesmal als musikalisches Duo. In Schaffhausen schätzt er die Offenheit für seine Musik und scheut sich auch nicht, ohne grosses Orchester anzureisen: «Ironischerweise nennt man es Klein-Kunst», sagt er, «doch Kunst lässt sich nie kleinkriegen.» Sein aktuelles Programm trägt den Titel «Helfetisch». Damit deutet er an, dass Helvetia nicht nur wunderbar Berge und leckeren Käse zu bieten hat, sondern um das «Schweizertum» auch ein Fetisch gemacht wird. Um 22 Uhr wird die Nachtruhe eingefordert, die Züge haben pünktlich zu sein und am 1. August wird die Schweizerfahne vor dem Haus gehisst. Müslüm liebt es, den eingefahrenen Traditionen gnadenlos den Spiegel vorzuhalten. «Ich bin der erste echte Helfetischt», erklärt er. Bei seinem neuen Programm wird der «Süperimmigrant» nicht müde zu erklären, warum Helvetia das beste Land aller Zeiten ist. Als Kunstfigur Müslüm trägt er Perücke, eine Mono-Augenbraue und ist stark geschminkt. Das ist sicherlich Teil seines Erfolgsrezepst. Die Sprache, das Kostüm, das Verhalten und die Übertreibungen helfen den Zuschauern, Vorurteile humorvoll zu hinterfragen und abzulegen. «Ich muss eine Maske tragen», erklärt Müslüm. «Ist das nicht tragisch-komisch?» In seiner Verkleidung muss er auf niemanden Rücksicht nehmen. Dass er sich als Türke verkleidet und auf Missstände und Vorurteile aufmerksam macht, kam nicht immer gut an. Früher gab es auch schon Drohungen von Menschen, die sich auf die Schippe genommen fühlten. Die Figur Müslüm polarisiert. Doch das stört den Künstler nicht. «Ich tue das ja nicht, um zu gefallen.» Das Spiel mit den Gegensätzen sei sehr reizvoll und produktiv. Zudem betont er: «Was die anderen denken, ist mir egal. Einzig, was ich bin, zählt.» Müslüm tritt in freundlicher Zusammenarbeit mit dem kongenialen Gitarristen Raphael Jakob auf. Dieser tanzt auf verschiedenen Hochzeiten und spielte auch schon als Gitarrenheld bei Baze, Seven, den Tequila-Boys oder bei seinem eigenen Projekt 2forSoul. Müslüm trat früher als Popstar mit mitreissender Band auf und brachte grosse Säle zum Kochen. Während den Konzerten gab es jedoch immer wieder Momente, in welchen er die Musik abdrehte und dem Publikum zurief: «Ich meine es ernst!» Ein Teil der Gäste verstand ihn falsch. Er ist nicht ein bunter Vogel, der «herumblödelt». Müslüm hat eine Botschaft und will die Welt zumindest zum Nachdenken bringen. Deshalb sind die Auftritte im Kleinkunst-Format eine logische Folge davon. Ohne Klamauk und Partybefehl kann er viel besser und direkter zu den Zuhörerinnen und Zuhörer sprechen. Es scheint fast so, als sei dies ein Befreiungsschlag für den Künstler. «Es ist nicht wichtig, wie etwas aussieht», so Müslüm. «Vielmehr was es bewirkt, ist von Belang.» Müslüm möchte am kommenden Freitag eine «Swissterie» auslösen. Der Zaun am kleinen Gärtli soll eingerissen werden, die Steuerverwaltung macht frei und in der Kehrichtverbrennungsanlage verrauchen böse Gedanken. Was genau auf der Bühne passieren wird, möchte er noch nicht verraten: «Man darf von der Kunst nichts erwarten, denn Erwartung tötet», so Müslüm. Der Künstler wird jedoch sicherlich viel zu erklären und humorvoll zu verpacken wissen. In Kombination mit seinem orientalischen Hüftschwung, werden die Besucherinnen und Besucher an diesem Abend nicht nur etwas lernen, sondern jede Menge erleben.

Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 23.9.2024 von Hermann-Luc Hardmeier.

Theaterkritik: Ein Kuss entlarvte die Lüge

Im Theaterstück «Shakespeare in Love» zeigte das Theater Kanton Zürich am Mittwoch auf der Freiluftbühne in Marthalen eine erfundene Liebesgeschichte um den legendären englischen Dichter. Eine Theaterkritik von Hermann-Luc Hardmeier.

Bild: Das Theater Kanton Zürich gastierte mit „Shakespeare in Love“ in Marthalen. Bericht: Hermann-Luc Hardmeier. Foto: Hermann-Luc Hardmeier.

«Es war der Wunsch der Vereinsmitglieder, wieder einmal ein Openair-Theater zu veranstalten», erklärte Martin Eggenschwyler, Präsident des Vereins Dorfläbe Marthalen. Vor sechs Jahren spielte vor der Mehrzweckhalle im Dorf schon einmal das Theater Kanton Zürich ein Stück. Zufälligerweise ebenfalls im Zusammenhang mit Shakespeare: Ein Sommernachtstraum. «Wir wollen mit dem Theater direkt zu den Leuten gehen, damit sie Kultur im Dorf erleben können», sagte auch Saskia Kehl vom Theater Kanton Zürich. Pro Jahr spielen sie 150 bis 200 Veranstaltungen und haben mit den verschiedenen Veranstaltungsorten in den Gemeinden und der Abhängigkeit vom Wetter viele Herausforderungen zu meistern. Für Mittwoch war ursprünglich Regen angesagt, doch Saskia Kehl entschloss nach Rücksprache mit dem Wetterdienst die Veranstaltung Openair und nicht in der Mehrzweckhalle durchzuführen. Das Stück «Shakespeare in Love» ist eine erfundene Liebesgeschichte nach dem gleichnamigen Hollywoodfilm von John Madden mit unter anderem Joseph Fiennes und Gwyneth Paltrow in den Hauptrollen. In der Bühnefassung von Lee Hall standen Axel Julius Fündeling und Eva Maropoulos in Marthalen mit dem Ensemble des Theater Kanton Zürich vor knapp 100 Besucherinnen und Besuchern. Der junge William Shakespeare litt unter einer Schreibblockade und hatte von seinem berühmten Werk «Romeo und Julia» erst einen Anfangssatz und einen rudimentären Titel gefunden. Zudem sassen ihm zwei Theaterdirektoren im Nacken. Auch die Suche nach geeigneten Schauspielern entwickelte sich zum Desaster. Ein Stotterer, ein aufdringlicher Bühnenschreck, ein Trunkenbold und ähnliche illustre Gestalten brachten William Shakespeare an den Rande der Verzweiflung. Passend zum Inhalt des Stücks weinte just in dem Moment ein Mädchen auf dem nahegelegenen Marthaler Spielplatz herzzerreissend. Offenbar hatte sie sich auf der Rutschbahn den Ellbogen angeschlagen und untermalte mit ihrem Wehklagen die Dramatik auf der Bühne. Doch plötzlich tauchte der Schauspieler Thomas Kent in den Theaterproben auf und begeisterte alle. Er schien die Idealbesetzung zu sein. Wenig später verliebte sich William Shakespeare auf einem Ball in die attraktive Viola und wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass sie und Thomas Kent ein und dieselbe Person waren. Der Schwindel flog erst auf, als sich bei den Proben die Kussszene nicht nach dem Geschmack des Maestros entwickelte und er den Schauspielern demonstrieren wollte, wie man richtig küsse. Wie ein Blitz durchfuhr es ihn, als er die Lippen von Thomas Kent alias Viola berührte. Dank diesem Kuss und der Hilfe des Theaterdichters Christopher Marlowe gewann Shakespeare seine Inspiration zurück und konnte das Stück zu Ende schreiben. In der Version von «Shakespeare in Love» verarbeitete er darin viele Aspekte seiner eigenen tragischen Liebesgeschichte zu Viola, die noch viele Wendungen nahm und schlussendlich unglücklich für ihn, aber glücklich für zukünftige Theaterstücke endete. Das Theaterstück in Marthalen war sehr humorvoll, kurzweilig und unterhaltsam. Da spielt es auch keine Rolle, dass nicht nur das Liebesleben von Shakespeare erfunden war, sondern auch der komplette Kern der Handlung. Shakespeare erfand die Geschichte nicht, sondern adaptierte sie lediglich fürs Theater, basierend auf dem Versbuch von Arthur Brookes «The Tragicall Historye of Romeus and Juliet», welches 40 Jahre vor Shakespeares Version geschrieben wurde. Und auch dieses Buch basiert auf einer italienischen Vorlage und auch jene kann bis zur griechischen Mythologie auf Sagen wie z.B. Hero und Leander oder auf die mittelalterliche Erzählung Tristan und Isolde zurückgeführt werden. Doch gerade diese fiktive Erzählung gefiel dem Publikum in Marthalen enorm. «Es war perfekt», bilanzierte Saskia Kehl und genau fünf Minuten nach Vorstellungsende setzte doch noch der Regen ein.

Erschienen am Freitag, 12. Juli 2024 in der Zeitung Schaffhauser Nachrichten von Hermann-Luc Hardmeier.

Mehr als „nur“ eine Partymeile

Am Wochenende findet zum 6. Mal das Lindli Fäscht statt. Die Veranstaltung hat sich gewandelt vom Partyevent zum Kulturanlass mit Bands und Tanzgruppen mit über 200 Tänzerinnen und Tänzern. Von Hermann-Luc Hardmeier.

Das Lindli Fäscht ist mittlerweile einer der wichtigsten Events des Schaffhauser Kulturangebots. Die Veranstaltung startete 2017 mit rund 20 000 Besucherinnen und Besuchern und ist bis zum letzten Jahr auf 50 000 gewachsen. Das Programm ist sehr vielfältig und reicht vom Kinderspielbereich mit Hüpfburgen, vielen Bars, ausgedehntem Foodbereich bis hin zu einer kleinen Chilbi, einem Balkan-Kultur-District und zwei Stages für Livebands und natürlich einer ausgedehnten Partyzone. Vom Beginn der Unterstadt bis hin zum Lindli erstreckt sich eine einzige riesige Festmeile. Ein wichtiger Aspekt sind auch die Tanzgruppen, welche im Verlaufe der Jahre immer präsenter im Nachmittagsprogramm geworden sind. Dieses Jahr werden über 200 Tänzerinnen und Tänzer auf den Bühnen am Salzstadel und im Mosergarten ihr Bestes geben. Das Angebot reicht von Hiphop über Contemporary bis zu Rock’n’Roll. „Wir haben auch dieses Jahr ein bunt gemischtes Angebot für Kinder, Familien und Partygänger“, sagt Aline Gysel, welche am Lindli Fäscht die Tanzgruppen und Bands koordiniert. „Wir hatten 2019 erstmals Tanzgruppen und das Feedback der Gäste war so super positiv und begeistert, dass wir das Angebot stetig ausgebaut haben.“ Aline Gysel wird ebenfalls bei einem Team mittanzen und freut sich über die Doppelrolle auf der Bühne und hinter den Kulissen. „Tanzen ist meine Leidenschaft. Die Kombination von Musik und Sport begeistert mich und ersetzt für mich die Hantelbank.“ Warum die Tanzshows am Lindli Fäscht auf so viel Zuspruch stossen, erklärt sich Sebastian „Seba“ Waldmeider vom OK folgendermassen: „Auf Social Media ist das Tanzen zum grossen Hype geworden und viele freuen sich, das auch „live“ zu sehen.“ Er würde sich vom Publikum wünschen, dass sie sich nicht nur die Shows ansehen, sondern auch den einen oder anderen Tanzschritt gleich selbst am Event ausprobieren. 2024 wartet das Lindli Fäscht zusätzlich zu den vielen Tanzgruppen mit zahlreichen weiteren Neuerungen auf. Es gibt neben der neuen Stage im Mosergarten auch ein EM-Public-Viewing an der Goldstein und weitere Überraschungen. „Neben der Unterhaltung ist für uns auch Sicherheit ein grosses Thema“, erklärt Tobias Hunziker vom OK. „Erfreulicherweise hat sich das Lärmthema sehr beruhigt. Wir haben gute Kompromisse und ein gutes Einvernehmen mit den Anwohnerinnen und Anwohnern gefunden. Sie wissen, dass wir unser Wort halten und wir viel gemacht haben wie die Bühnen zu drehen, Patrouillen, die regelmässig in den Quartieren Präsenz markieren, und wir halten uns strikt an die Auflagen und Grenzwerte.“ Das Team umfasst mittlerweile mehrere Hundert Personen. Selbst den Abend zu geniessen, ist für die Macher des Lindli Fäscht aber nur zeitweise möglich. „Wenn das Wetter mitspielt, es keine Zwischenfälle gibt und alle Zahnräder ineinander greifen, dann freuen wir uns“, sagte Sebastian Waldmeier. „Wir sind am Abend selber aber so stark mit Arbeit und Organisation absorbiert, dass wir oft erst nach dem Fest realisieren, wie toll es war.“ Aline Gysel sieht das ähnlich und unterstreicht: „Wenn die Gäste feiern und zufrieden und inspiriert den Event geniessen, ist das für uns das Schönste am Lindli Fäscht.“

Erschienen am 1. Juli 2024 in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“. Von Hermann-Luc Hardmeier.

Punkinferno und Pogo-Stimmung

«Wollt ihr einen Donut haben?», fragten zwei fröhliche Kinder die Gäste vor der Kammgarn. Der Punkrock-Konzertabend war gleichzeitig das 30-jährige Jubiläum des einzigen Skate-Shops in Schaffhausen «Work4Donuts» und deshalb gab es das Markenzeichen des Ladens vor Konzertbeginn gratis zum Geniessen. «Ich habe früher selber Ska-, Punk- und Hiphopkonzerte wie Millencolin oder Sense Unique organisiert», erklärte «Work4Donuts»-Inhaber Claudio Biedermann. «Deshalb wollte ich zum Jubiläum bei einem Revival mit deftigem Sound mitwirken.» Als Vorband sauste ein Tornado namens «The Drowns» durch die Konzerthalle. Feuer und Flammen züngelten aus den Lautsprechern, als die vier Amerikaner aus Seattle loslegten. Das Publikum war noch etwas verhalten in der proppenvollen Tanzarena. Doch das sollte sich bald ändern. «No Fun At All» aus Schweden liessen den vorherigen Tornado wie ein laues Lüftchen aussehen. Die Stimme des Frontmanns Matthias «Micke» Olsson war ein wütender Sturm, der über die Menge hinwegfegte und sie mit roher Energie mitriss. Die Texte voller Wut und Leidenschaft brannten sich in die Trommelfelle der Zuhörerinnen und Zuhörer und sorgten für eine Eskalation auf der Tanzfläche. Es wurde nicht einfach mitgeschunkelt, sondern wilder Pogo getanzt. So wild, wie es die Kammgarn schon lange nicht mehr gesehen hat. Während Songs wie «Shine» und «Suicide Machine» erklangen, startete eine leidenschaftliche Fast-Prügelei mit Ellbogen und hohen Knien. Wer im Handgemenge zu Boden fiel, wurde sofort mit vereinten Kräften aufgehoben. Der Spassfaktor unter den Tanzenden war grandios, allerdings auch ein Wunder, dass sich dabei niemand verletzte. Während der Bizeps das Drummers zu platzen schien, seine Drumsticks glühten und der Bassist und die Gitarristen einen Blitz nach dem anderen in den Raum abfeuerten, spritzten immer wieder Bierfontänen in die feiernde Menge und duschten sie mit Gerstensaft. Was für eine Stimmung im Hexenkessel vor der Bühne. Immer wieder gab es Moshpits, bei welche die Tanzenden immer schneller im Kreis vor der Bühne rannten und alles mitrissen. Der Sänger genoss es und formte mit den Fingern zwei Teufelshörner. Plötzlich erschrak er, denn neben ihm stand ein splitterfasernackter Besucher, der die Bühne erklommen hatte. «Ihr seid doch alle verrückt», entfuhr es ihm lachend und der hüllenlose Mann sprang zurück ins Pogo-Höllenfeuer. «Von eurer Partylaune kriege ich Gänsehaut», freute sich Gitarrist Mikael Danielsson. Der Abend endete damit, dass die Bandmitglieder von «No Fun At All» zum Schluss unter grossem Applaus ihre Instrumente triumphierend in die Luft stemmten.

Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am Dienstag, 21. Mai 2024. Von Hermann-Luc Hardmeier.

Romantik pur mit dem Appenzeller Kuschelbären

Der Singer-Songwriter Marius Bear brachte am Samstagabend die Kammgarn zum Träumen. Ein Konzertbericht von Hermann-Luc Hardmeier.

Bericht: Hermann-Luc Hardmeier. Foto: Michael Kessler.

«Meine Lieben, es ist eine Freude, hier zu sein», begrüsste Marius Bear die Gäste am Samstagabend in der Kammgarn. Die Kulturhalle war nicht ausverkauft, aber mehrere Hundert Fans waren gekommen, um den sympathischen Appenzeller zu sehen und mit ihm den Abend zu geniessen. Zu Beginn stand er mit Sonnenbrille und Adidas-Trainerjacke vor den Zuhörerinnen und Zuhörern. Marius Bear ist derzeit mit der «Club Tour 2024» unterwegs und präsentiert dabei neben Klassikern auch seine aktuelle Single «Kiss You In The Morning». Er hat die Schweiz 2022 am Eurovision Song Contest mit dem Song «Boys Do Cry» vertreten. Er machte während seinem Auftritt ein paar humorvolle aber auch wertschätzende Andeutungen auf den Sänger Nemo, der den Contest just an jenem Abend für die Schweiz gewinnen konnte. In der Kammgarn spielte Marius Bear beispielsweise den Song «lonely Boy». Dieser begann ganz sanft mit der Akustikgitarre und erst nach einer Weile setze powervoll die gesamte Band ein. Die Stärke von Marius Bear ist nicht nur seine Musik, welche nicht einfach nur vibrierte, sondern flüsterte, weinte und lachte, sondern seine gefühlvolle Stimme. Sie ist rauchig, kraftvoll, sehnsüchtig und intensiv. Der Kuschelbär erzeugte damit eine romantische Stimmung, wie wenn man an einem kalten Wintertag vor dem Kaminfeuer sitzen und sich genussvoll bei einem warmen Getränk entspannen würde. Die Songzeilen flogen wie Funken aus dem Feuer und erhellten mit der Wärme die Gesichter des Publikums. Marius Bear erzählte zu jedem Lied eine kleine Geschichte. So widmete er ein Lied seiner Mutter, seinem Vater oder erwähnte, dass «Hemmigslos Liebe» ihn an seine erste Liebe in der 4. Klasse im Skilager erinnerte. Der genannte Song ist übrigens ein Cover von Fabienne Louves und Marc Sway aus der Sendung «Sing meinen Song». Auch einige weitere Bear-Versionen von bekannten Liedern wie etwa Whitney Houstons Klassiker «I Wanna Dance With Somebody» spielte er in der Kammgarn. Ein Highlight war sicherlich, als Marius Bear plötzlich auf einer kleinen Bühne inmitten der Kammgarn erschien und die Gäste dort mit einer Performance überraschte. Er sang zunächst nur mit der Gitarre bewaffnet und holte danach seine Band als Verstärkung dazu. Das Publikum leuchtete mit den Handys und schwenkten diese im Takt des Liedes. Wie eine verträumte, stürmische See wirkte die Kammgarn. Der Kapitän Marius Bear steuerte gemächlich und selbstbewusst durch die wirbelnden Gewässer. Danach drückte der zweimalige Gewinner des Swiss Music Awards etwas aufs Gaspedal und spielte Lieder wie «365» und «Hol de Rum». Der Sänger genoss den Auftritt sichtlich und verabschiedete sich mit den Worten: «Danke vielmals für heute. Ihr strahlt mich alle an wie gute Freunde. Das ist wunderschön.»

Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am Montag, 13. Mai 2024. Von Hermann-Luc Hardmeier.

Explosive Partystimmung im Bienenstock

«Öffnet eure Herzen und geniesst den Abend», forderte die Frontfrau des Balkan Paradise Orchestra am Freitagabend zum Konzertbeginn das Publikum in der Kammgarn auf. Zehn Frauen, bewaffnet mit Trompete, Klarinette, Tuba, Posaune und weiteren Blasinstrumenten, starteten mit unglaublich viel Freude und Energie in den Abend. Der Sound katapultierte die Gäste von Anfang an vom Hocker und sorgte für kräftige Tanzstimmung vor der Bühne. Zu hören gab es von der Band aus Barcelona Balkan Brass Musik gemixt mit Jazz, Funk, Latino, Ska und weiteren spannenden Zutaten. Fans von Boban Markovic sowie auch von Altmeistern wie Seeed kamen dabei vollumfänglich auf ihre Kosten. Das aktuelle Album der Combo namens «Nèctar» erzählt mit Metaphern, dass in der Natur die Bienen ihre Stärke in der Zusammenarbeit gefunden haben. Die explosive Stimmung im Bienenstock in der Kammgarn zeugte davon, dass nicht nur das gemeinsame Arbeiten, sondern vor allem das gemeinsame Feiern kräftige Endorphine ausschütten kann. Die Power-Ladys auf der Bühne hatten für jedes Lied eine eigene Choreographie mitgebracht, welche animierte, selber das Tanzbein zu schwingen. Mehrheitlich standen die Instrumente und nicht der Gesang im Zentrum der Show. Ein Lied wurde sodann jedoch gänzlich A cappella ohne Instrumente gesungen und sorgte für tosenden Applaus. Als weiteres Highlight erklang die Titelmelodie des Films «Pulp Fiction» und auch eine Rap-Einlage wurde zum Besten gegeben. Das Balkan Paradise Orchestra fegte wie ein erfrischender Sturm durch die Baumgartenstrasse und war viel zu schnell wieder vorbei. Doch für die Partylöwinnen und Partylöwen war noch längst nicht Zapfenstreich: Nach dem Konzert folgte die Afterparty mit dem «Trubači Soundsistema» bis in die frühen Morgenstunden.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 7. Mai 2024.

Eine stimmgewaltige Wundertüte

Mit Elektropop und vielen Überraschungen verzauberte Sänger Zian am Freitagabend die Kammgarn. Ein Konzertbericht von Hermann-Luc Hardmeier.

Bild: Zian begeisterte das Publikum. Bild: Roberta Fele. Bericht: Hermann-Luc Hardmeier.

«Das sind wirklich schöne Songs», freute sich eine Zuschauerin in der Kammgarn, als Jared Lembo als Ein-Mann-Vorband den Abend eröffnete. Der Schweizer mit kanadischen Wurzeln war nur mit einer Akustikgitarre bewaffnet und sang sich gefühlvoll in die Herzen der Zuhörer. Sein Auftritt war wie ein Tanz mit den Schmetterlingen. Leicht, locker, farbenfroh und faszinierend. Als er zu einem Lied über eine unglückliche Liebe anstimmte, brach er sogar kurz in Tränen aus und musste nochmals neu beginnen. Ein kollektives «oouuu»-Mitgefühl der Gäste sicherte ihm dabei Unterstützung. Unter lautem Applaus startete sodann der Protagonist des Abends seinen Auftritt. Der Basler Zian ist 2020 ins Bühnenlicht getreten und hat bereits den Swiss Music Award und einen Energy Award gewonnen. Im Gepäck hatte er seine neue Single «Life of Lies» dabei. «Schön seid ihr da und habt euch Zeit genommen», freute er sich und begann Songs zu spielen, die ein Mix aus Popmusik, treibenden Bässen, elektronischen Klängen und orchestralen Melodien darstellten. Die Hände der Besucherinnen und Besucher wurden im Takt von links nach rechts geschwenkt. Wie ein aufbrausendes Meer im Sturm. «Schaffhausen, das sieht so schön aus», sagte Zian, dem die Begeisterung der Gäste sichtlich behagte. Der Musiker ist ein Multiinstrumentalist, der immer wieder für Überraschungen sorgte. Er stellte eine Snare-Trommel mitten auf die Bühne und forderte die Gäste auf, seine Schlagkombinationen nachzuklatschen. Später stachelte er alle an, mit ihrem Handy den Saal zu erleuchten und machte damit den Lichttechniker arbeitslos. Schliesslich meinte er: «Meine Damen und Herren, jetzt wird’s ernst. Seid ihr bereit, mit mir zu singen?» Nachdem ein fröhliches «Jaaa», erklungen war, übte er mit dem 500-Stimmen-Chor in der Kammgarn die Refrainzeile «To The Things We ‘ve Done» ein. Er stand schliesslich in der Mitte der Kammgarnhalle, ganz ohne Mikrophon und nur von seinem Gitarristen ohne verstärkte Gitarre begleitet. Leise und kraftvoll sang er den Text, die Gäste brachten jeweils mit viel Power den Refrain ein. Ein bezaubernder Moment, der für viel Gänsehaut sorgte. Danach gab er mit seiner einzigartigen Soulstimme nochmals Vollgas. Sein Hit «Grateful» aber auch «Goes Up» und weitere Songs erklangen. «Das ist mal ein richtig geiler Abend», rief Zian in die Menge. Sein Auftritt war wie eine Massage im musikalischen Wellnesshotel. Die Klänge entspannten und liessen den ganzen Körper mit Energie durchströmen. Mit den Worten «Ihr seid der Wahnsinn, vielen Dank», verabschiedete sich Zian nach mehreren Zugaben von den begeisterten Gästen.

Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am Montag, 25. März 2024. Von Hermann-Luc Hardmeier.

Der erste Rap über das Credit Suisse – Debakel

Beim satirischen Jahresrückblick «Bundesordner 23» gab es am Mittwochabend im Stadttheater viel humorvolle Kritik an Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Eine Theaterkritik von Hermann-Luc Hardmeier.

Der Börsenkurs stieg nur kurzzeitig bei Jane Mumfords gerappter Kritik an der Bankenwelt. (Foto: Melanie Duchene, Text: Hermann-Luc Hardmeier)

Bunt, bunter, Bundesordner. Keine Frage, der satirische Jahresrückblick «Bundesordner» war farbenfroh und kreativ gestaltet. Die neun Künstler waren Musiker, Comedians und Poetryslammer zugleich. Der Event startete, indem ein verkleideter Robert Oppenheimer die Atombombe explodieren liess, während dazu «Simply the Best» gesungen wurde. Die verschiedenen Künstler drehten das Jahr 2023 danach kräftig durch die Mangel. Jess Jochimsen schaute nach Deutschland, wo er sich über die Augenklappe von Kanzler Olaf Scholz amüsierte und die erstarkte Ausländerfeindlichkeit kritisierte. Dominik Muheim versetzte sich danach in die Rolle eines Sportreporters, der enthusiastisch das Rennen um Alain Bersets frei gewordenen Bundesratssitz als 300-Meter-Lauf kommentierte. Den sportlichen Event beendete Beat Jans auf dem Podest, nachdem er sich auch nicht vom Querschläger Daniel Jositsch beirren liess. Zwischen den gesprochenen Darbietungen tauchten lustigerweise Ernie und Bert von der Sesamstrasse auf und als Figurentheater auch sogenannte Waldrappen. Während die Satire und Gesellschaftskritik sehr gut ankamen, empfanden einige Zuschauer Die Ernie und Bert – Episoden als etwas zu kindisch und repetitiv. Doch die übrigen Show-Elemente waren so amüsant, temporeich und tiefsinnig, dass die Auflockerung mit den Figuren eigentlich eine willkommene Abwechslung darstellte. Mit der Originalmusik und dem gleichen Erzählstil von Kommissar Philip Maloney berichtete anschliessend Anet Corti über die «haarsträubenden Fälle der Giorgia Meloni». Neben der italienischen Ministerpräsidentin hatten auch Elon Musk und Alain Berset einen Auftritt im Krimi. Der entgleiste Güterzug der SBB durfte beim Jahresrückblick natürlich nicht fehlen und auch der Klimagipfel in Dubai, die Schweizer Neutralitätsproblematik im Ukrainekrieg oder der kurzzeitig im Stadttheater wiederauferstandene Silvio Berlusconi bekamen ihr Fett weg. Das Highlight der Veranstaltung war jedoch ganz klar der Frontalangriff auf die Bankenwelt. Genüsslich wurde kiloweise Salz in die Wunde namens Credit Suisse gestreut. Nachdem eine Totenmesse inklusive Mini-Oper namens «Banka est Kollapsus» gehalten wurde, gab Jane Mumford den ersten Rap zum Credit Suisse- Debakel zum Besten. Natürlich durften verkleidete Banker als Backgroundsänger und Tänzer nicht fehlen. Und zum Schluss wurden kräftige Boni ausgezahlt. Stark war anschliessend auch die Pressekonferenz der Firma Mattel. Durch den Erfolg des Barbie-Films beflügelt, wurde eine Werbeoffensive beschlossen. Der Barbie-Fan-Boom sollte nun auch das Image der katholischen Kirche aufbessern und deshalb gibt es neu Papst- und Ministrantenfiguren im Barbie-Stil. Mit der humorvollen und kritischen Veranstaltung wurde das Jahr 2023 am Mittwoch gebührend verabschiedet.

Eine Theaterkritik von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen am 29. Januar 2024 in der Zeitung Schaffhauser Nachrichten.

Fussballer Granit Xhaka wird Handarbeitslehrer

Am 4. Provinz Slam in Andelfingen gab es humorvolle, gerappte aber auch tiefsinnige und traurige Texte.

(Foto: Hermann-Luc Hardmeier)

«Ich fühle mich heute wie der Schriftsteller Franz Hohler bei einer Lesung», scherzte Rahel Fink, als sie als Moderatorin den Poetry-Slam-Abend eröffnete. Sie hatte sich vor einigen Wochen beim Skifahren das Kreuzband gerissen und musste deshalb sitzend durch den Abend leiten, fühlte sich jedoch je länger je wohler dabei. Am 4. Provinz Slam in Andelfingen wurde zum 2. Mal ein neuer Modus des Spoken-Word-Contests gewählt. Normalerweise treten die Sprachakrobaten gegeneinander im Wettkampfverfahren an. Das Publikum bestimmt mittels Zahlen oder Applaus, wer weiterkommt und wer ausscheidet. «Viele fanden es schade, dass man dadurch von einer Poetin oder eines Poeten nur einen Text hört», erklärte Rahel Fink. «Deshalb gibt es neu eine Poetry-Slam-Show, bei welcher nicht nach dem Knock-Out-System ausgesiebt wird, sondern jede und jeder gleich viel Zeit erhält und in zwei Runden insgesamt vier Texte vortragen darf.» Das Eis brach Rahel Fink mit einem eigenen Text über sich selbst, bei welchem sie preisgab, dass sie immer fünf Minuten zu spät komme, Norwegisch für sie eine extrem einfache Sprache zum Lernen war und sie sich über unnötiges Wissen ärgerte, welches sie im Gymnasium pauken musste. Es folgte Gregor Stäheli. Er hatte sich Gedanken zum Lehrermangel gemacht und entwickelte eine herrlich absurde Story, was passieren würde, wenn der Mangel an pädagogischen Fachkräften eskalieren würde. Zunächst einmal würden die Anforderungen so kräftig gesenkt, dass alle unterrichten dürften, die schon einmal hinter einem Schulhaus geraucht haben. Es gäbe neue Schulfächer wie Social-Media-Kurzvideos erstellen oder Schminktutorials. Den wenigen Lehrkräften würden die Fächer zufällig zugewiesen. So müsste Gregor selber Geschichte unterrichten, obwohl er nur etwas von den Römern versteht, ein Neunjähriger gäbe Wirtschaft und Recht und beim letzten Transferfenster hätte man den Fussballer Granit Xhaka verpflichtet, der nun Deutsch und Handarbeit gebe.

Verhinderte Finken-Schlägerei

Jonas Balmer las danach eine Vielzahl von Kurztexten. Er sinnierte, warum unser komplexer Körper ein Phänomen wie den Schluckauf erzeugen kann oder darüber, dass Babysprache durchaus nicht bedeutungslos sei. Im Haupttext ging es um die philosophische Frage, ob es etwas wie den richtigen Moment gäbe oder ob dies ein Mythos sei. Nach diesen tiefsinnigen Erzählungen kam Gina Walter, die über ihre Erfahrungen als Primarlehrerin berichtete. In einem einfühlsamen und herzigen Erlebnisbericht erzählte sie, was sie von Freundschaftsbüchern hält, welche Tiere die Schülerinnen und Schüler gerne wären und wie sie eine Finken-Schlägerei verhindert hatte. Die 4. Slammerin Joelle Leimer haute sodann alle vom Hocker. Ihr Text war gerappt, hatte einen Rhythmus mit unglaublichem Drive und einer mitreissenden Sprachmelodie. Sie beschwerte sich über falsche Rollenbilder, welche Märchen vermitteln und wie kriegerisch Schachspiele eigentlich sind, wenn man sich Bauern als Kanonenfutter, Türme als Panzer und den König als gnadenlosen Diktator vorstellt. Als Rahel Fink mitteilte, dass Joelle Leimer die amtierende U-20-Schweizermeisterin im Poetryslam sei, wunderte sich niemand. Der Event hatte schon in der ersten Runde die ganze Bandbreite aus Humor, Tiefsinnigkeit, Sprachwitz und vielem weiteren gezeigt. Nach der Pause schoss Gregor Stäheli den humoristischen Vogel ab: Er erzählte, wie er bei seiner Arbeitsstelle versuchte, eine einzigartige Person zu sein. Er wollte für etwas Spezielles bekannt sein. Doch egal ob er mit einem Hawaiihemd aufkreuzte, Longboard fahren wollte, einen Leguan mitbrachte oder mit Bierhelm und Inlineskates auftauchte, es wollte nicht gelingen. Die Zuhörer kugelten sich vor Lachen. Der Abend endete mit grossem Applaus und anstatt Knock-Out-Rauswurf wurden die Slammerinnen und Slammer gebührend mit Blumen, Schokolade und Prosecco verabschiedet.

Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 29. Januar 2024 von Hermann-Luc Hardmeier.