Erfolg trotz Stolpersteinen

2014 hat der Schaffhauser Onlinehändler PCP.ch den drei Mal grösseren Steg Electronics gekauft. Das Abenteuer hätte auch schiefgehen können. Von Hermann-Luc Hardmeier.

„Der Goldfisch hat den Hai geschluckt“, titelte die Schaffhauser Nachrichten am 29. Oktober 2014. PCP.ch, neben Migros, Coop und Brack der mittlerweile 4. grösste Schweizer Onlinehändler für Elektronik, hatte einen Coup gelandet. Die Schaffhauser Firma kaufte den drei Mal grösseren Konkurrenten Steg Electronics. Damals war der PCP-Geschäftsführer Lorenz Weber guter Dinge und prophezeite, dass die bevorstehenden Stolpersteine in absehbarer Zeit aus dem Weg geräumt werden können. Auch Entlassungen waren keine geplant.

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Foto: Ein Teil des PCP.ch-Team (Leiter Kundendienst Marco Winzeler, Geschäftsführer Lorenz Weber und Peter Keller, Leiter Finanzen (v. l.).

 Eine Gefahr für PCP?

„Innerhalb von zwei Jahren wollten wir in die schwarzen Zahlen kommen“, so Lorenz Weber Doch es lief ein wenig anders, als vorgesehen. Steg Electronics schrieb bei der Übernahme dicke Minuszahlen und sollte mit den laufenden Kosten für Mitarbeiter, Filialen, einem zu grossen Lager mit veralteter Software, teuren IT-Kosten und teureren Extras wie etwa eine Standleitung für jede Filiale (Kosten pro Filiale pro Monat: 1000.-) für Kopfzerbrechen sorgen. Der Bankkredit konnte nicht so schnell zurückbezahlt werden wie geplant. Es gab Parallelstrukturen und, und, und. Kein Wunder waren auch viele Kunden unzufrieden. „Ich erhielt zeitenweise jede Woche eingeschriebene Briefe von zornigen Kunden“, so Lorenz Weber. Ein Kenner der Szene äusserte sogar die Befürchtung, die Übernahme von Steg könnte PCP.ch in der Existenz gefährden. Um bei der Metapher vom Aquarium zu bleiben: Hatte sich der Goldfisch am Hai verschluckt?

Faktor Zeit und Eurokurs

„Das ist stark übertrieben“, relativiert Lorenz Weber. „Wir haben uns nicht übernommen. Wir sind sehr genaue Rechner und wussten, wo wir finanziell stehen. Die Existenz von PCP.ch war zu keinem Zeitpunkt bedroht.“ Er gesteht aber doch auch einige Rückschritte ein: „Anstatt zwei brauchten wir drei Jahre. Und ja: Wir mussten auch Mitarbeiter entlassen.“ Der Hauptgrund, warum es nicht so rund lief, waren nicht nur die Altlasten der Firma, sondern auch der 2015 gestürzte Eurokurs (PCP verlor 20% des Gewinns) und der Zeitdruck (Stichwort: Parallelstrukturen).

Innovative Lösungen

Doch der Reihe nach: Lorenz Weber hatte mit seinem Team die Schwachstellen von Steg erkannt: Die IT-Software für die Onlinebestellungen wurde extern betreut und kostete 600 000.- im Jahr. Zudem waren das Lager und die Filialen nicht modern gemanagt und hatte zu Höhe Bestände. PCP.ch verfügt über eine selber programmierte Shop-Lager-Software, welche flink, agil und modern ist. Da sie aus dem eigenen Haus stammt, konnte man die externen Kosten einsparen. Das Lager von PCP und Steg wurden zusammengelegt und am Standort Schaffhausen ausgebaut. Neun Monate lang hiess es arbeiten und sanieren, sanieren und nochmals sanieren. „Ich bin dieser Zeit zum Sparweltmeister geworden“, erklärt Lorenz Weber. Er entdeckte auch immer wieder Leichen im Keller. Der Geschäftsführer von PCP und Steg ist kein Unmensch, aber er musste handeln, wollte er nicht mit dem Projekt eine Bruchlandung hinlegen. „Es macht keinen Spass, Mitarbeitern lieb gewonnene Privilegien wegzunehmen oder jemanden zu entlassen, weil wir Überkapazitäten in den Filialen und dem Lager hatten. Aber es ging nicht anders.“ Seit Sommer 2017 schreibt Steg wieder schwarze Zahlen. Und das macht Lorenz Weber sehr stolz. PCP.ch verzeichnet 100 Mio Umsatz pro Jahr. Der Goldfisch hat den Haifisch verdaut, wenn auch mit Bauchschmerzen. Nun fletscht er wieder die Zähne und hat mittlerweile einen weiten Onlineshop namens Techmania eingekauft. Die Erfolgsgeschichte von PCP.ch geht weiter.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 24. Januar 2018.

 

Theaterkritik: Russischer Angriff auf die Lachmuskulatur

Die russische Nationalmannschaft „Teatr 05“ errang einen Doppelsieg beim Theatersport am Freitag und Samstag in der „Kammgarn“ in Schaffhausen. Eine Theaterkritik von Hermann-Luc Hardmeier.

Es war wie ein Boxkampf zwischen Präsident Putin und Bundesrat Ueli Maurer. Allerdings ohne Fäuste und ohne diese zwei Politiker. Aber immerhin: Die Länder stimmten. Russland gegen die Schweiz. St. Petersburg gegen Bern und Winterthur. „Teatr 05“ gegen „Theater am Puls (TAP)“ und „Winterthur TS“. Gut 550 Besucher waren gekommen, um den jährlichen Theatersportwettkampf vom Schauwerk in der Kammgarn zu sehen. Am Freitag war sogar ausverkauft. „Wir organisieren den Theatersport nun zum 15. Mal und sind davon genauso begeistert wie das Publikum“, freute sich Katharina Furrer vom Schauwerk. Das Improvisationstheater mit den zwei Mannschaften und dem Schiedsrichter war in den ersten Jahren jeweils ein Duell von Schweizer Teams. Später kamen Künstler aus Berlin dazu. Und nun also aus Russland. Allerdings schon das zweite Jahr in Folge. „Wir suchen die Abwechslung bei unseren Events“, erklärte Katharina Furrer. „Sergey Sobolev und Eugen Gerein sind zwei geniale Schauspieler und können es gut mit den Schweizern aufnehmen.“ Und tatsächlich: Die Russen überzeugten.

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Foto: Michael Kessler, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier

Das Publikum als Regisseur

Doch der Reihe nach: Am Samstagabend eröffnete die „Pocketband“ mit einem Trommelwirbel und fetzigem Intro den Event. Schiedsrichtern Martina Schütze erklärte nochmals die Regeln: „Theatersport ist ein Improvisationstheater, bei dem das Publikum als Ideenlieferant gefragt ist.“ Spielorte, Themen der Stücke, Gefühle, Farben und, und, und wurden jeweils von den Zwei Mannschaften gefragt. Danach spielten sie damit kurze Szenen, die dann von der Publikumsjury mittels roter und blauer Karten bewertet werden mussten. Kurzum: Die Interaktion war wichtig und man staunte immer wieder, was die Schauspieler spontan für humorvolle und dramaturgisch geschickte Szenen auf die Beine stellten. Besonders schwierig dabei war, dass einer der Russen nur seine Landessprache beherrschte. Glücklicherweise sprach der zweite Russisch und Deutsch und konnte somit die wichtigsten Begriffe dolmetschen. Meistens war dies jedoch gar nicht notwendig. Im ersten Spiel trugen alle vier Schauspieler zusammen zum Gelingen des Stückes bei. Durch Klatschen konnten sie jeweils die Rolle eines anderen übernehmen und sprangen in eine thematisch andere Szene. So entwickelte sich ein Stück vom Gespräch zwischen Schuhputzer und seinem Kunden zum Ritterkampf, zum Flirt in einer Bar und endete im Streit zwischen einem russischen Ehepaar um die Vaterschaft von ihrem Baby.

Millionäre und Gangster

Danach suchte die Schiedsrichterin im Publikum nach vier schweizerdeutschen Sätzen. Selbstverständlich solche, welche die Russen nicht verstanden. Mit diesen Sätzen mussten die ausländischen Gäste nun ein Theater spielen und die Ausdrücke einbauen. Die Zuschauer kugelten sich dabei vor Lachen, denn die Russen schlugen sich sehr gut. Im nächsten Stück musste das Publikum einen Wunsch für 2018 formulieren: „Bei den Euromillions gewinnen“, rief ein Gast und das Thema wurde aufgegriffen. Nun spielten die Schauspieler also ein Stück rund um zwei frische Lottomillionäre, die plötzlich von zwei Gangstern überfallen wurden. Es folgten weitere Runden mit spontanen Liedern und den Lieblingsspielen der zwei Mannschaften. Während die Berner ein superlustiges Fragetheater beim Hundecoiffeur spielten, bereiteten die Russen ihren Favoriten vor: Ein Tanzsprechtheater. Dabei nahm der erste Schauspieler die Rolle des Tänzers ein, während der anderen den Regisseur spielte und dem Publikum erklärte, was nun aufgeführt werde. Da der russische Tänzer die deutschen Erklärungen natürlich nicht verstand, mussten die zwei gegenseitig vermuten und interpretieren, was der anderer nun tanzte beziehungsweise erklärte. Die Russen spielten sich damit in die Herzen der Schaffhauser.

Ein Toter, der singt

Der stärkste Moment des ganzen Abends war sicherlich, als der Russe Sergey bei einem Stück auf dem Friedhof plötzlich aus dem Grab hüpfte und von den Toten auferstand. Dabei sang er einen zornigen Punksong, der davon handelt, dass ihn der Friedhofsgärtner Josef mit seinem lauten Rasenmäher beim Schlafen störte. Nach riesigem Applaus durch die Zuschauer wurden die Gäste aus St. Petersburg nach dem Freitag auch am Samstag zu den Siegern gekürt. Der Doppelsieg markierte einen schönen Abschluss des Theatersports dieses Jahres. Die Gäste freuten sich bereits auf dem Nachhauseweg auf die Fortsetzung im nächsten Jahr.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am Montag, 15. Januar 2018.

Die Tänzerin auf der Wundermaschine

Ania Losinger spielte am Donnerstagabend in der Kammgarn (SH) mit einem Instrument, das alles Bekannte in den Schatten stellte. Ein Konzertbericht von Hermann-Luc Hardmeier.

Manche Menschen können gut tanzen, manche Menschen gut musizieren. Ania Losinger kann beides, und zwar gleichzeitig. Dies ermöglich ihr ein spezielles Instrument, das man nicht spielt, nein, die Töne werden durch das Tanzen erzeugt. Der elektroakustische Klangkörper namens „Xala III“ ist eine richtige Wundermaschine. Er sieht unscheinbar aus. Wie eine kleine Holzpalette. Doch die Wirkung ist beeindruckend. Am Donnerstagabend machte Ania Losinger mit ihrer Band „NEN“ in der Kammgarn halt. Der Saal war mit Tischchen und Stühlen hergerichtet. Ein interessiertes Publikum hatte sich eingefunden. Auf der kleinen Holzplatte stehend, sorgte Losinger für Kinnladen, die erstaunt nach unter klappten. Mit zwei Klangstöcken und Flamenco-Schuhen bewaffnet, tanzte, stampfte, schlug und streichelte sie den musikalischen Fussboden. Die Musik klang wie in einem Spa-Bereich, in welchen ein iberischer Stier eingebrochen war. Teilweise Richtung Chillout und Jazz. Im nächsten Moment mischten sich Rock und Power in die Mixtur. Drei Klangkünstler am Bass, Schlagzeug und Keyboard begleiteten sie auf ihrem musikalischen Surfbrett. Die Band von Ania Losinger sind allesamt verdiente Virtuosen. Chrigel Bosshard an den Drums entlockte seiner Küche knackige Beats und akzentuierte Kicks. Björn Meyer zupfte den sechsseitigen sonoren Masseur der Seele. Und Seitlich angedockt, zwischen Fender Rhodes und Vibraphon, sorgte Mats Eser für einen melodischen Klangteppich. Der Auftritt war stimmig und mitreissend. Die Klangstöcke wurden manchmal zur Seite gelegt, damit Ania Losinger noch mehr Bewegungsfreiheit hatte. Der Tanz artete zuweilen zu ästhetischen Gymnastikübungen aus. Manchmal schnell, dann plötzlich wieder wie in Zeitlupe. Auch eine kleine Kritik sei angebracht Auf den Gesang wartete man leider vergeblich. Eine Band, die so stark, kreativ und frisch aufspielt, hätte sich mit einer singenden Person im Zentrum vielleicht noch die Krone aufgesetzt. Doch der Auftritt war so einmalig, dass dieser kleine Makel schnell vergessen ging. Die Band „NEN“ passt in keine Schublade, sie bewegen sich auf einem ganz anderen Level. Die Lieder gleichen einem Wellengang im Meer. Sanft und gemütlich tritt gegen stürmisch und wild in die Arena. Elegant, graziös und manchmal sportlich war die Darbietung der Frontfrau. Die Besucher waren begeistert und applaudierten laut. „Wir freuen uns unglaublich, dass wir heute hier spielen und den wunderschönen Raum mit unseren Klängen zu füllen“, richtete Ania Losinger zum Schluss das Wort an das Publikum. Der Applaus war „NEN“ sicher, denn dieser Auftritt ist mit nichts zu vergleichen. Das Konzert war, als hätte jemand musikalisch die Seele eines jeden Gastes persönlich massiert. Begeisterung pur, soviel stand definitiv fest.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen am 23. Dezember 2017 in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“.