Von Hermann-Luc Hardmeier. Am Freestyle.ch präsentierten in Zürich die besten Skateboarder, Snowboarder, Freeski- und FMX-Fahrer ihr Können. Ein Eventbericht von Hermann-Luc Hardmeier.
Bild: Mat Rebaud beim „Superman-Backflip“. (Foto: zvg. Bericht: Hermann-Luc Hardmeier)
Unter lauten Jubelschreien rast ein Skifahrer die 36 Meter grosse Schneeschanze auf der Landiwiese hinab. Er wird mit hohem Tempo in die Luft katapultiert und zeigt dem Publikum mit überkreuzten Skis eine imposante Mehrfachdachdrehung. Bei seiner Landung jedoch stockt den Zuschauern der Atem. Der Skifahrer gerät ins Straucheln und stürzt. Der eine Skistock liegt oben am steilen Hang, die Helfer schippen mit Schaufeln den Schnee zur Seite und der Berliner steht auf, als hätte er schon tausend solcher Stürze erlebt. „Nichts passiert. War aber ein geiler Sprung“, kommentiert ein Zuschauer die Szene. Soeben hat in Zürich das Freestyle.ch begonnen, der grösste Event in Europa für verrückte Sportarten und noch viel verrücktere Athleten. „Die Sportler zeigen auf dem Skateboard, dem Snowboard, den Skis und dem Freestyle Motocross-Töff genannt FMX ihre neusten Kunststücke und Tricks“, erklärt Maurus Strobel vom Freestyle.ch. Der Anlass findet seit 1995 jährlich statt und geladen sind die weltweit besten Athleten der Freestyle-Szene. Laut Strobel winkt während den drei Tagen des Freestyles ein Preisgeld von über 110 000 Dollar. Zudem: Für die rund 46 000 Besucher hat der Event Festivalcharakter. Denn es geht nicht nur um die Sportler, sondern auch um den Lifestyle der gezeigten Sportarten. Es gibt Konzerte und Partys am Abend. In einer Zeltstadt namens Labelworld kann man sich mit den neusten Burton Brillen oder Skateboarderkleider eindecken. Aber auch auf einer kleinen Halfpipe selber Skateboard fahren. Soeben haben die FMX-Motorradfahrer ihre Maschinen gestartet. Was die Teufelskerle auf ihren Töffs zeigen, ist wirklich erste Sahne. Sie springen Saltos, steigen während dem Sprung vom Motorrad ab, klettern im Flug auf die Lenkstange um einen Handstand zu machen oder verdrehen sich in die unmöglichsten Positionen. Jedes Kunststück wird mit lautem Gegröle des Publikums quittiert. Die Zuschauer sind im Schnitt etwa 18 Jahre alt. Sie tragen Baggyjeans, Snowboardmützen und bunte verspiegelte Porno-Sonnenbrillen. Ein lustiger Haufen voller fröhlicher Menschen. „Ich bin eigentlich in erster Linie wegen der Snowboarder hier“, sagt etwa der 16-jährige Lars. „Da die verschiedenen Showbühnen so nahe aneinander liegen, schaue ich mir aber auch gerne die anderen Sportarten an. Die FMX-Piloten sind echt unglaublich.“
Bild: Vivian Gantner kurz vor seinem Auftritt. (Foto: Hermann-Luc Hardmeier, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier)
Einer der talentiertesten Töffspringer ist Vivian Gantner. Er ist FMX-Schweizermeister und erst 25. Wir treffen ihn kurz nach seinem Auftritt im V.I.P-Bereich. Er sitzt bei seiner Maschine, wischt sich den Schweiss von der Stirn und tankt Energie in Form von mehreren Dosen Redbull. „Klar habe ich bei den Aktionen auch ab und zu Angst“, gesteht der Wädenswiler. „Meist aber nur bei dem ersten Sprung auf einer neuen Schanze. Der Rest gibt sich, da ich gut trainiert bin.“ Gantner übt drei bis viermal pro Woche etwa zwei Stunden mit seinem Motorrad. Sprünge wie der „Nac Nac“ (Der Pilot nimmt ein Bein über den hinteren Kotflügel auf die andere Seite des Motorrades) oder der Heelcklicker (Der Pilot „klickt“ seine Fersen vor dem Lenker zusammen, wobei die Beine aussen um die Arme geschwungen werden) beherrscht er im Schlaf. Respekt hat er hingegen vor dem „Backflip“, bei welchem der Pilot samt Motorrad eine Rückwärtsdrehung macht. „Bei diesem Sprung kann schnell etwas schief gehen, und man hat wenig Möglichkeiten ihn abzubrechen, wie andere Sprünge“, so Gantner. Er beschwichtigt jedoch, dass nur sehr selten etwas passiere: „Je mehr man trainiert, desto sicherer wird man. Zudem wissen die Fahrer, wie man kontrolliert stürzt und sind durch Rückenpanzer, Helm und Schulterpanzer geschützt.“ Trotzdem: Viele Piloten verzichten etwa auf den Rückenpanzer, um in der Luft beweglicher zu sein. Und auch Vivian Gantner hatte schon einmal Pech: „Vor drei Jahren hatte ich einen Schädelbruch“, erklärt er. „Ich flog beim Sprung zu weit und prallte mit dem Kopf an den Lenker.“ Ans Aufgeben hat er trotz allem jedoch nie gedacht: „Ich wollte nur möglichst schnell gesund werden, um wieder aufs FMX sitzen zu können. Das Motorrad ist mein Leben. Darauf kann ich nicht verzichten.“
Bild: Skateboardtalent Sandro Dias in der Halfpipe. (Foto: Hermann-Luc Hardmeier, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier).
Mittlerweile haben sich die Skateboarder auf der Halfpipe versammelt, und die Leute strömen dorthin, um die Show zu sehen. Auf der Halfpipe zeigen die Freestyler nun, was ihre rollenden Bretter hergeben. Aus den Boxen dröhnte laute Rockmusik und sie springen durch die Lüfte. Auch hier haben die Luftkunststücke ausgefallene Namen. Der „Mc Twist“ beschreibt etwa einen Rückwärtssalto mit 540-Grad-Drehung. Der „Flip“ ist eine komplette Drehung des Bretts um die Längsachse mit anschliessender Landung auf den Rädern. Die Skater zeigen hier so ausgefallene Bewegungen, dass manchen die Kinnlade nach unten klappt. Sie wirbeln wie Kunstturner über die Halfpipe, während das Brett an ihren Füssen klebt. „Yeah, yeah, er ist ein kleiner Tony Hawk“, hört man den Moderator immer wieder durch die Boxen jubeln. Er meint dabei den Brasilianer Sandro Dias, der sich am so genannten „Master Move Backside 900“ versucht. Es handelt sich dabei um eine zweieinhalbfache Drehung in der Luft. Der Sprung wurde vom Guru der Skaterszene Tony Hawk erfunden und ist bisher nur wenigen gelungen. Ein donnernder Applaus erklingt, als Dias das Kunststück schafft. Er ist fünffacher Weltmeister und hat das Freestyle schon einmal gewonnen. Er bewegt sich so locker auf seinem Brett, dass es scheint der Brasilianer tanze Samba auf der Halfpipe. Nach dem Auftritt nimmt sich der 33-jährige Zeit für die Journalisten. Wir treffen ihn ganz entspannt Kaffee trinkend. Er gönnt sich zwei Stück Zucker, von Adrenalinkick keine Spur. Er erzählt, dass er bereits mit elf Jahren zum ersten Mal auf dem Skateboard stand. Er übt täglich mehrere Stunden und kann vom Skateboarden leben. Lukrativen Sponsorverträgen sei dank. „Brasilien ist eher ein Fussballland. Viele meiner Freunde halten mich für verrückt, dass ich mit dem Brett und nicht mit dem Ball mein Glück versuchte“, lacht Sandro Dias. Der Schlüssel zu seinem Erfolg sind seine ausgefallenen Tricks auf dem Skateboard. Er verrät, dass er die meisten von anderen Sportarten abguckt. „Ich sehe andere Athleten und versuche ihre Kunststücke für das Skateboard zu adaptieren. Natürlich muss man sie danach noch ein wenig verändern und einen Schuss Sandro-Dias-Style dazugeben.“ Auf die Frage, ob er sich oft verletze, lässt der Skater einen Seufzer fahren und nimmt einen grossen Schluck von seinem Kaffee. „Ich brach meine Finger, beide Füsse zugleich, beide Füsse einzeln, meine Schulter, meine Rippen und hatte etliche Zerrungen und Bänderrisse. Ich glaube zurzeit ist mein kleiner Finger wieder gebrochen, ich war aber noch nicht beim Arzt.“
Bild: Sandro Dias nach seinem Sieg beim Bad in der Menge. (Foto: Freestyle.ch, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier).
Seine Krankenkasse hat wahrscheinlich keine Freude an Sandro Dias. Dafür umso mehr die Nachwuchsskater. Sie eifern ihm nach und einige seiner härtesten Konkurrenten am Freestyle sind ursprünglich nur durch ihn aufs Skateboarden aufmerksam geworden. „Die junge Konkurrenz macht mir Sorgen“, so Dias. „Sie lernen die Tricks einfach viel schneller als wir.“ Dias erklärt, dass er sich am Freestyle den Titel mit einem ganz speziellen Sprung holen will, verraten möchte er jedoch noch nicht, was er genau im Schilde führt. Die Skater fertigen für ihre Auftritte jeweils eine Art Drehbuch an. Sie planen die Abfolge der Tricks und am Schluss folgt sodann ein furioses Final. Am Samstagabend liess Sandro Dias auf der Halfpipe die Katze aus dem Sack: Mit einem „Judo 540 Grad“, einer Abwandlung des „Master Moves 900 Backside“ begeisterte er die Jury und katapultierte sich auf das Siegerpodest. Auf einem kleinen Freestyle.ch – Thron wurde er quer durch die tobende Menge getragen. Er holte sich damit bereits zum zweiten Mal den Titel am Freestyle. Nicht ganz soviel Glück hatte Vivian Gantner. Thomas Pagès aus Frankreich verwies die Konkurrenz mit Tricks wie „Underflip Nac Nac“ klar auf die hinteren Plätze. Noch während der Drehung um die eigene Achse liess sich Pagès auf dem Motorrad zu Verrenkungen hinreissen. Ein Teufelskerl. Keine Frage, am Freestyle.ch wurde stylischer Szenensport in seinen leckersten Qualitäten gezeigt. Man darf gespannt sein, wie die Athleten diese Leistungen nächstes Jahr noch toppen wollen.
Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen im Wochenendmagazin „Express“ der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“.