Der erste Rap über das Credit Suisse – Debakel

Beim satirischen Jahresrückblick «Bundesordner 23» gab es am Mittwochabend im Stadttheater viel humorvolle Kritik an Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Eine Theaterkritik von Hermann-Luc Hardmeier.

Der Börsenkurs stieg nur kurzzeitig bei Jane Mumfords gerappter Kritik an der Bankenwelt. (Foto: Melanie Duchene, Text: Hermann-Luc Hardmeier)

Bunt, bunter, Bundesordner. Keine Frage, der satirische Jahresrückblick «Bundesordner» war farbenfroh und kreativ gestaltet. Die neun Künstler waren Musiker, Comedians und Poetryslammer zugleich. Der Event startete, indem ein verkleideter Robert Oppenheimer die Atombombe explodieren liess, während dazu «Simply the Best» gesungen wurde. Die verschiedenen Künstler drehten das Jahr 2023 danach kräftig durch die Mangel. Jess Jochimsen schaute nach Deutschland, wo er sich über die Augenklappe von Kanzler Olaf Scholz amüsierte und die erstarkte Ausländerfeindlichkeit kritisierte. Dominik Muheim versetzte sich danach in die Rolle eines Sportreporters, der enthusiastisch das Rennen um Alain Bersets frei gewordenen Bundesratssitz als 300-Meter-Lauf kommentierte. Den sportlichen Event beendete Beat Jans auf dem Podest, nachdem er sich auch nicht vom Querschläger Daniel Jositsch beirren liess. Zwischen den gesprochenen Darbietungen tauchten lustigerweise Ernie und Bert von der Sesamstrasse auf und als Figurentheater auch sogenannte Waldrappen. Während die Satire und Gesellschaftskritik sehr gut ankamen, empfanden einige Zuschauer Die Ernie und Bert – Episoden als etwas zu kindisch und repetitiv. Doch die übrigen Show-Elemente waren so amüsant, temporeich und tiefsinnig, dass die Auflockerung mit den Figuren eigentlich eine willkommene Abwechslung darstellte. Mit der Originalmusik und dem gleichen Erzählstil von Kommissar Philip Maloney berichtete anschliessend Anet Corti über die «haarsträubenden Fälle der Giorgia Meloni». Neben der italienischen Ministerpräsidentin hatten auch Elon Musk und Alain Berset einen Auftritt im Krimi. Der entgleiste Güterzug der SBB durfte beim Jahresrückblick natürlich nicht fehlen und auch der Klimagipfel in Dubai, die Schweizer Neutralitätsproblematik im Ukrainekrieg oder der kurzzeitig im Stadttheater wiederauferstandene Silvio Berlusconi bekamen ihr Fett weg. Das Highlight der Veranstaltung war jedoch ganz klar der Frontalangriff auf die Bankenwelt. Genüsslich wurde kiloweise Salz in die Wunde namens Credit Suisse gestreut. Nachdem eine Totenmesse inklusive Mini-Oper namens «Banka est Kollapsus» gehalten wurde, gab Jane Mumford den ersten Rap zum Credit Suisse- Debakel zum Besten. Natürlich durften verkleidete Banker als Backgroundsänger und Tänzer nicht fehlen. Und zum Schluss wurden kräftige Boni ausgezahlt. Stark war anschliessend auch die Pressekonferenz der Firma Mattel. Durch den Erfolg des Barbie-Films beflügelt, wurde eine Werbeoffensive beschlossen. Der Barbie-Fan-Boom sollte nun auch das Image der katholischen Kirche aufbessern und deshalb gibt es neu Papst- und Ministrantenfiguren im Barbie-Stil. Mit der humorvollen und kritischen Veranstaltung wurde das Jahr 2023 am Mittwoch gebührend verabschiedet.

Eine Theaterkritik von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen am 29. Januar 2024 in der Zeitung Schaffhauser Nachrichten.

Fussballer Granit Xhaka wird Handarbeitslehrer

Am 4. Provinz Slam in Andelfingen gab es humorvolle, gerappte aber auch tiefsinnige und traurige Texte.

(Foto: Hermann-Luc Hardmeier)

«Ich fühle mich heute wie der Schriftsteller Franz Hohler bei einer Lesung», scherzte Rahel Fink, als sie als Moderatorin den Poetry-Slam-Abend eröffnete. Sie hatte sich vor einigen Wochen beim Skifahren das Kreuzband gerissen und musste deshalb sitzend durch den Abend leiten, fühlte sich jedoch je länger je wohler dabei. Am 4. Provinz Slam in Andelfingen wurde zum 2. Mal ein neuer Modus des Spoken-Word-Contests gewählt. Normalerweise treten die Sprachakrobaten gegeneinander im Wettkampfverfahren an. Das Publikum bestimmt mittels Zahlen oder Applaus, wer weiterkommt und wer ausscheidet. «Viele fanden es schade, dass man dadurch von einer Poetin oder eines Poeten nur einen Text hört», erklärte Rahel Fink. «Deshalb gibt es neu eine Poetry-Slam-Show, bei welcher nicht nach dem Knock-Out-System ausgesiebt wird, sondern jede und jeder gleich viel Zeit erhält und in zwei Runden insgesamt vier Texte vortragen darf.» Das Eis brach Rahel Fink mit einem eigenen Text über sich selbst, bei welchem sie preisgab, dass sie immer fünf Minuten zu spät komme, Norwegisch für sie eine extrem einfache Sprache zum Lernen war und sie sich über unnötiges Wissen ärgerte, welches sie im Gymnasium pauken musste. Es folgte Gregor Stäheli. Er hatte sich Gedanken zum Lehrermangel gemacht und entwickelte eine herrlich absurde Story, was passieren würde, wenn der Mangel an pädagogischen Fachkräften eskalieren würde. Zunächst einmal würden die Anforderungen so kräftig gesenkt, dass alle unterrichten dürften, die schon einmal hinter einem Schulhaus geraucht haben. Es gäbe neue Schulfächer wie Social-Media-Kurzvideos erstellen oder Schminktutorials. Den wenigen Lehrkräften würden die Fächer zufällig zugewiesen. So müsste Gregor selber Geschichte unterrichten, obwohl er nur etwas von den Römern versteht, ein Neunjähriger gäbe Wirtschaft und Recht und beim letzten Transferfenster hätte man den Fussballer Granit Xhaka verpflichtet, der nun Deutsch und Handarbeit gebe.

Verhinderte Finken-Schlägerei

Jonas Balmer las danach eine Vielzahl von Kurztexten. Er sinnierte, warum unser komplexer Körper ein Phänomen wie den Schluckauf erzeugen kann oder darüber, dass Babysprache durchaus nicht bedeutungslos sei. Im Haupttext ging es um die philosophische Frage, ob es etwas wie den richtigen Moment gäbe oder ob dies ein Mythos sei. Nach diesen tiefsinnigen Erzählungen kam Gina Walter, die über ihre Erfahrungen als Primarlehrerin berichtete. In einem einfühlsamen und herzigen Erlebnisbericht erzählte sie, was sie von Freundschaftsbüchern hält, welche Tiere die Schülerinnen und Schüler gerne wären und wie sie eine Finken-Schlägerei verhindert hatte. Die 4. Slammerin Joelle Leimer haute sodann alle vom Hocker. Ihr Text war gerappt, hatte einen Rhythmus mit unglaublichem Drive und einer mitreissenden Sprachmelodie. Sie beschwerte sich über falsche Rollenbilder, welche Märchen vermitteln und wie kriegerisch Schachspiele eigentlich sind, wenn man sich Bauern als Kanonenfutter, Türme als Panzer und den König als gnadenlosen Diktator vorstellt. Als Rahel Fink mitteilte, dass Joelle Leimer die amtierende U-20-Schweizermeisterin im Poetryslam sei, wunderte sich niemand. Der Event hatte schon in der ersten Runde die ganze Bandbreite aus Humor, Tiefsinnigkeit, Sprachwitz und vielem weiteren gezeigt. Nach der Pause schoss Gregor Stäheli den humoristischen Vogel ab: Er erzählte, wie er bei seiner Arbeitsstelle versuchte, eine einzigartige Person zu sein. Er wollte für etwas Spezielles bekannt sein. Doch egal ob er mit einem Hawaiihemd aufkreuzte, Longboard fahren wollte, einen Leguan mitbrachte oder mit Bierhelm und Inlineskates auftauchte, es wollte nicht gelingen. Die Zuhörer kugelten sich vor Lachen. Der Abend endete mit grossem Applaus und anstatt Knock-Out-Rauswurf wurden die Slammerinnen und Slammer gebührend mit Blumen, Schokolade und Prosecco verabschiedet.

Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 29. Januar 2024 von Hermann-Luc Hardmeier.