Das grosse Duell der Improvisationskünstler

Wenn aus dem staubtrockenen Zivilgesetzbuch urspontan eine spannende Krimikomödie wird – am Freitag und Samstag duellierten sich die kreativen Theaterköpfe beim Improvisationstheater in der Kammgarn Schaffhausen. Eine Theatertkritik von Hermann-Luc Hardmeier.

Bild: Voller Körpereinsatz: Die vier Theatersportler verblüfften das Publikum
mit ihren kreativen Ideen. (Bericht: Hermann-Luc Hardmeier. Foto: Michael Kessler)

„Drei, zwei, eins, los!“ Das Publikum zählte am Freitagabend jede Szene ein, welche die Schauspieler auf der Bühne aufführten. Doch was im Drehbuch stand, wussten weder Besucher noch Schauspieler. Beim Theatersport stehen sich jeweils zwei Mannschaften gegenüber. Ein Schiedsrichter moderiert den Anlass und fragt beim Publikum nach Orten der Handlung, nach Gefühlen, Sätzen, Berufen und weiteren Zutaten für die Szenen. Kurzum: Das Publikum ist der Regisseur und die Schauspieler sind zu 200% in ihrer Kreativität gefordert. Am Freitagabend trafen Kirsten Sprick (Hamburg) und Birgit Linner (München) auf Reto Bernhard und Randulf Lindt von Improphil Luzern. Am Samstag duellierten sich Martina Schütze und Birgit Linner (beide Improtheater Tsurigo) mit der gegnerischen Seite Kirsten Sprick und Nicole Erichsen (Bremen). Organisiert wurde der Anlass vom Schauwerk in der Kammgarn. Schon die Aufwärmrunde am Freitag war vielversprechend. Die Szene begann auf dem Klo eines Warenhauses, wechselte dann in den Windkanal, mutierte zum Märchen rund um Rumpelstilzchen und schlussendlich wurde geheiratet. Die Zuschauer konnten herzhaft lachen und mitfiebern. Beim nächsten Spiel wollte der Moderator Gefühle aus dem Publikum haben. Leidenschaft und Rache kamen als Vorschläge. Die zwei Damen aus Deutschland entwickelten nun eine Liebesgeschichte rund um einen Flokatiteppich. Doch kaum war die wollige Lovestory vorbei, holte das Schweizer Team zum Gegenschlag aus. Sie wollten nur in Reimen sprechen und suchten dafür eine Epoche. Es kamen als Vorschläge Zukunft, Rokoko, Steinzeit und Mittelalter. Sie entschieden sich für Letzteres und fragten: Was zeichnete denn die damalige Zeit aus? Als Antwort riefen die Gäste Begriffe wie Aberglaube, Läuse und Pest. Lachend wurden die Vorschläge aufgenommen. Eine Geschichte rund um einen dicken Schlossherrn und eine holde Maid wurde im Turbotakt gereimt und aufgeführt. „Wahnsinn, das könnte ich nie“, meinte ein Zuschauer. Sein Sitznachbar bemerkte trocken: „Ich denke, da ist sicher ein Teil vorbereitet. So spontan kann niemand sein.“ Das Geheimrezept liegt aber ganz woanders begraben: Die Schauspieler üben, üben, üben. Kreativität ist zum einen Teil eine Trainingssache, zum anderen Teil gibt es bei den Proben sicherlich immer wieder Szenen, die ähnlich sind und man je nach Stichworten adaptieren und verändern kann. Doch die Realität kann gnadenlos zuschlagen. Als zusammen mit der Pocketband ein Lied gesungen werden musste, verlangte ein Gast, dass man es in einer Pink Floyd – Version spiele. Solche Inputs sind auch beim besten Training nicht vorhersehbar und dies bewies, dass auf der Bühne unheimliche kreative Menschen am Werk waren. Nun waren die Schauspieler erst richtig in Fahrt gekommen. Auf der Bühne war ein Bohrmaschinen-Tanz zu sehen, ein Rentnerpaar, das zu Fuss nach Kuba wollte, und ein Schreiner, der einen Schrank zimmerte, der gleichzeitig ein Sarg war. Nach der Pause änderte sodann der Modus des Abends. Es gab nicht mehr mehrere Spiele, sondern eine einzige lange Szene, bei welcher die Schauspieler das Publikum fragten, ob jemand ein Buch dabei habe. Der erste und der letzte Satz des Werkes bildeten den Rahmen des Mini-Theaters. Lustigerweise wählten die Künstler nicht Hemingway oder den Steppenwolf, sondern das ZGB – Zivilgesetzbuch, welches jemand zum Lernen dabei hatte. Es gab tote Pferde im Moor, eine eklige Aal-Suppe und der Sensenmann, welcher eine Verschwörung plante. So viel gelacht hat wohl noch niemand über das ZGB. Der Abend war grossartig kreativ und zum Schluss siegte keine Mannschaft, sondern das Publikum.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen am 20. Januar 2020 in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten„.

Auch ohne Pudel konnte Mephisto Faust umgarnen

Im Theaterstück „Faust“ fehlten dem Stadttheater Schaffhausen am Dienstagabend einige wichtige Elemente. Dafür gab’s eine Überraschung. Eine Theaterkritik von Hermann-Luc Hardmeier.

Bild: Gretchen und der «Kneipenfaust» in einer verkürzten Fassung: «Heinrich! Mir graut’s vor dir.» (Bericht: Hermann-Luc Hardmeier, Foto: Selwyn Hoffmann)

Halbnackt sitzt er auf dem Tisch. Er isst Wiener Würstchen und trinkt den Wein direkt aus der Flasche. Am Dienstagabend präsentierte sich im Stadttheater den Besuchern ein Faust, der auf den ersten Blick wenig mit dem Protagonisten von Goethes berühmtem Drama zu tun zu haben schien. Das Publikum sah nicht einen Universalgelehrten, der nach dem Sinn des Lebens suchte, sondern einen „Kneipenfaust“, der abgewetzte Manchesterhosen trug. Das Landestheater Tübingen hatte sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Sie wollten den über 200 Jahre alten Klassiker ansprechend umsetzen und die tragische Liebesgeschichte zwischen Faust und Gretchen ins Zentrum stellen. Um es vorweg zu nehmen: Das Ziel wurde erreicht. Das Stück hatte Tempo, beeindruckte durch die Schauspieler und war kurzweilig und unterhaltsam gestaltet. Beim zweiten Blick gab es aber auch eine kleine Enttäuschung: Den Kürzungen waren Elemente zum Opfer gefallen, die für die Interpretation der Geschichte sehr wichtig sind. Komplett fehlte beispielsweise der Prolog im Himmel. Der Teufel wettet dort mit Gott, dass er Faust vom rechten Weg abbringen kann.  Zum Schluss des Theaters ist Fausts Schwarm Gretchen im Kerker und schickt ihn mit den Worten fort: „Heinrich! Mir graut‘s vor dir.“ So endete allerdings nur die Vorstellung im Stadttheater. In der Originalversion ergänzt der Teufel „Sie ist gerichtet“, worauf Gott anfügt „Ist gerettet.“ In der Tübinger Version endet somit die Geschichte traurig und weltlich, bei Goethe hingegen ist Raum für Interpretation vorhanden und der Grundstein für „Faust II“ bereits vorbereitet.

Geniale Änderung

Dass eins der drei Vorworte namens „Zueignung“ oder die Kapitel „Auerbachs Keller“ und „Walpurgisnacht“ den Kürzungen zum Opfer gefallen waren, mag verkraftbar sein. Doch nur zu gern hätte man die Verwandlung eines süssen Pudels in Mephisto erlebt. So fehlte am Dienstag auch die Erkenntnis: „Das also war des Pudels Kern“. Trotz dieser Kürzungen hatte das Stück viele Stärken. Genial war die Idee, dass Faust nach dem Teufelspakt nicht mit einer Perücke verjüngt wurde, sondern begleitet von Donner und Blitzlicht mit Mephisto die Rolle tauschte. Diese Erzählart hatte Tiefgang und Klasse. Denn nun lag eine ganz neue Leseart der Story nahe: Wird Faust durch den Teufelspakt selber zu Luzifer? Sein Verhalten spricht dafür: Vier Leichen, eine geschändete Frau und ein hedonistisches, selbstgefälliges Streben nach Glück. Derzeit läuft im Schauspielhaus Zürich eine fast achtstündige „Vollversion“ von Faust 1 und 2. Ein spannendes, aber echt hartes Stück Arbeit. Fürs Theater sollte das Drama gekürzt werden. Die Tübinger Version von Christoph Roos hat dafür einen interessanten Weg gewählt. Gretchens fehlende Erlösung und den Verzicht auf den süssen Pudel schmerzten Goethe-Fans dennoch ein wenig.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 23. Januar 2020.

Theaterbesuch in St. Gallen

Am vergangenen Mittwoch (15. Januar 2020) besuchte ich mit zwei Klassen die Aufführung „Der Prozess“ von Franz Kafka im Theater St. Gallen. Dabei ist folgender Schnapschuss mit den Schülern entstanden.

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