Improvisationstheater trifft auf Unterwasser-Rugby

Von Hermann-Luc Hardmeier: Das Besucherinteresse am zweitägigen Theatersport vom Schauwerk in der Kammgarn Schaffhausen war riesig. Eine Theaterkritik von Hermann-Luc Hardmeier.

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Bild: Das Publikum ist der Regisseur beim Theatersport. (Foto: www.theatersportberlin.de, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier)

Keine Frage, die Schaffhauser sind grosse Fans des Formats Theatersport. Der Ansturm auf die Sitzplätze am Freitag und Samstag in der Kammgarn war enorm. Beim sportlichen Improvisationstheater musste das Team Gorillas aus Berlin gegen die Gruppe Improphil aus Luzern antreten. Eine Schiedsrichterin gab Aufgaben vor und das Publikum nannte Thema der jeweiligen Theaterszenen, Genre oder Stimmungen. So mussten die Teams etwa einen Vortrag zum Thema Unterwasser-Rugby halten, reimen oder am Turnerchränzli teilnehmen. Wie immer lösten die Schauspieler die Aufgaben mit viel Humor und Kreativität. Der Höhepunkt des Freitagabends war, als die Berliner ein Kurztheater mit fünf ihnen unbekannten schweizerdeutschen Ausdrücken ausführen mussten. So kam ein Kunde zum Hufschmied, weil sein Pferd sich die Krankheit „Gigampfi“ eingefangen habe. Später bekam der Hufschmied dann das Kompliment, dass er ein bekanntes „AB-Bäseli“ sei. Das Publikum kugelte sich vor Lachen. Später auch die Schauspieler, als sie erfuhren, dass die Begriffe Schaukel und Klobürste bedeuteten. Am Samstagabend sodann wurde ein neues Format aufgeführt: „Das grosse 7“. Dabei spielten die Gruppen nicht mehr gegeneinander. Zuerst wurden vier verschiedene Theaterszenen vorgeführt. Das Publikum wählte daraus die spannendste Hauptfigur aus. Die Geschichte um diese Hauptfigur wurde dann in einem längeren Theater in der Hauptrunde dargestellt. Die humorvolle Inszenierung um den Bestatter-Lehrling Fridolin Petersen zeigte erneut das grosse Können der Schauspieler. Im Vergleich zum Freitag fehlte dem Samstag jedoch ein wenig der Biss. Der Wettkampfcharakter und die Konkurrenz zwischen beiden Teams sind ein Herzstück des Theatersports. Da dieses Element am Samstag wegfiel, gab es auch einige langatmige Szenen. Als Gesamtpaket überzeugten die zwei Abende jedoch gut und zeigten wunderschön die Vielfältigkeit des Improvisationstheaters.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung Schaffhauser Nachrichten am 12. Januar 2015.

Theaterkritk: Faust verstehen – leicht gemacht

Von Hermann-Luc Hardmeier: Das Theater Rigiblick wagt eine ungewohnte Herangehensweise an Goethes Faust. Das Projekt ist unglaublich faszinierend und verführt zum Mitsingen. Von Hermann-Luc Hardmeier.

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Bild: Daniel Rohr als Mephisto und Silvester von Hösslin als Faust überzeugen in der unkonventionellen Faust-Inszenierung. (Foto: www.theater-rigiblick.ch, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier)

Goethes Faust gilt als wichtigstes und bekanntestes Werk des deutschen Schriftstellers. Das Theaterstück von 1808 ist der Klassiker schlechthin in der Literatur.

Wer nicht Germanistik studiert hat und sich nicht gewohnt ist, die Zähne an schwieriger Literatur zu wetzen, der hat jedoch ein Problem: Faust ist nicht nur das bekannteste Stück, sondern auch das zähste. Es ist nicht nur zäh, sondern teilweise so richtig garstig. Das Vorwort (der Prolog im Himmel) ist in einer so gestelzten Sprache geschrieben, dass viele Leser bereits nach wenigen Seiten des Prologs aufgeben. Und somit sind sie noch nicht mal Ansatzweise in die Geschichte des Doktor Faustus mit seinem Teufelspakt eingetaucht. Natürlich hat Goethe absichtlich eine sehr gewählt Sprache gesucht. Das Buch gilt als Kernstück seines Schaffens und er hat es nicht nur über Jahre, sondern über Jahrzehnte bearbeitet. Die gesamte Geschichte mit Faust 1, 2 und dem Urfaust wurde fast 40 Jahre lang von Goethe ausgebessert. Er wollte oft aufgeben, wurde von seinen Bekannten und allen voran von Schiller jedoch immer wieder angehalten, das Buch fertigzustellen. Es sollte ein Meisterwerk werden. Nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich. Diese wichtige Geschichte ist darum in so eine, je nach Betrachtungsweise, bedeutungsvolle oder mühsame Verpackung gesteckt.

Das Theater Rigiblick ist sich dieser Thematik vollends bewusst und hat für diese verzwickte Lage eine Lösung gefunden:

Sie erzählen Goethes Faust neu, untermalt mit Rock- und Popsongs. Das Schauspieler-Duo wird bei ihrem Auftritt von einer Band unterstützt, die Goethes Text mächtig Feuer unter dem Allerwertesten macht.

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Bild: Das Cover des Klassikers von Goethe. (Foto: www.reclam.de, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier)

Der Klassiker ist zeitlos und wurde immer wieder neu entdeckt. Warum deshalb nicht eine moderne Annäherung mittels der Musik versuchen? Wenn Faust mit Mephisto auf das Motorrad steigt, ertönt „Highway to Hell“. Wenn sich Mephisto vom Pudel in Luzifer verwandelt, erklingt „Devil in Disguise“ von den Rolling Stones. Beim Stück Daniel Rohr und Silvester von Hösslin wird schnell klar: Dass die Themen von Faust auch Themen der aktuellen Rock- und Popmusik sind.

Der Pakt mit dem Teufel, der Genuss des Augenblicks, die Bewusstseinserweiterung, das Nirgends-Zuhause-Sein, die Rebellion gegen das Althergebrachte und nicht zuletzt natürlich die Liebe. Deshalb sind in der Inszenierung auch Songs von AC/DC, den Beatles bis zu den Rolling Stones und Frank Zappa zu hören. Gesungen von den zwei Schauspielern. Die Dialoge sind vereinfacht, und dennoch alle wichtigen Szenen des Buches berücksichtigt. Die wichtigsten Faust-Zitate dürfen ebenfalls nicht fehlen; sie werden mit einer Zitat-Hupe jeweils deutlich gemacht.

Wer Faust verstehen will, der darf sich diese Vorstellung nicht entgehen lassen. So hat man Faust noch nie erlebt: Lustig, dynamisch, schnell und zum Mitsingen. Wüsste Goethe von dieser modernen Inszenierung, er würde ohne Frage einen Purzelbaum schlagen und mit Schiller ein Tanzduell veranstalten.

Von Hermann-Luc Hardmeier

Wenn Atombomben auf Relativsätze treffen

Buchkritik und Buchtipp von Hermann-Luc Hardmeier: „Die Analphabetin, die rechnen konnte.“

Nein. Nicht gut. Nein. Früher hätte man Bücher mit solch schwerfälligen Titeln von Anfang an bei jedem Verlag abgelehnt. „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand.“ Oder: „Die Analphabetin, die rechnen konnte.“ Was sind denn das für seltsame Konstruktionen im Grammatik-Folterzirkus der Relativsätze?

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Bild: Das Buch des Erfolgsautors Jonas Jonasson. (Foto: Amazon.ch, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier)

Nun, sie gehören zu den Eigenheiten des Erfolgsautors Jonas Jonasson. Allein im deutschen Sprachraum gingen seine Bücher millionenfach über den Ladentisch, und das zu Recht.

Der Schwede hat eine aberwitzige Fantasie, liebt absurde und komplexe Situationen und verbindet dies mit liebenswerten Figuren, die völlig naiv, jedoch erfolgreich durch die Weltgeschichte stampfen. Nachdem der hundertjährige Allan Karlson im ersten Erfolgsbuch, der so ganz nebenbei den Amerikanern und Russen dabei half, die Atombombe zu erfinden, ist beim zweiten Buch mit der Analphabetin alles neu.
Die junge Afrikanerin Nombeko kann nicht lesen, dafür aber rechnen, und das verdammt gut. Zuerst revolutioniert sie im südafrikanischen Slum den Latrinenreinigungsbetrieb. Dann steigt sie in die Regierung auf und hilft mit ihren genialen grauen Zellen bei der Konstruktion von nuklearen Sprengköpfen. Ach ja: Nebenbei lernt sie natürlich perfekt Chinesisch und das mit dem Analphabeten-Dasein ist auch schnell erledigt. Moment mal…: Nukleare Sprengköpfe? Atombomben? Schon wieder?

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Bild: Das wäre bestimmt auch noch ein flotter Titel für Jonassons nächstes Buch. Relativsatz-Monster der BVG-Berlin. (Foto: bvg.de, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier)

Leider ja: Der grosse Clou des ersten Buches wird auch für das zweite Buch verwendet und kommt auf den ersten Blick ziemlich billig und kopiert daher. Offenbar scheint die Todeswaffe, mit welcher man die Welt – je nach Zählung vierzehn oder eben nur zwei Mal – völlig vernichten kann, eine grosse Faszination für Jonas Jonasson auszuüben. Doch was auf den ersten Blick abgehalftert und abgeschrieben klingt, ist schon beim zweiten Blick ziemlich egal.

Einmal mehr gelingt es dem Autor herrlich schöne verwirrende, dreiste und geniale Situationen und Charaktere zu komponieren, die immer wieder aufs Neue für Spannung und Abenteuer garantieren. Sobald man denkt, ok, jetzt haben wir die Spitze des Spassberges und der Politparodien erreicht, legt Jonasson erst richtig los. Da ist ein trotteliger Ingenieur, der lieber Cognac trinkt, anstatt die Übersicht über das südafrikanische Atombombenprogramm behält. Da sind zwei eiskalte israelische Agenten, die aus einer Mischung aus Überlistung und Versehen eine der Nuklearwaffen in die Hände von Nombeko spielen. Da ist ein Amerikanischer Töpfermeister mit Verfolgungswahn, eine Gräfin, die keine ist. Zwei Zwillingsbrüder, die eigentlich gar nicht existieren dürften, und, und, und.

Es macht einen unglaublichen Spass, das Buch zu lesen und wird nie langweilig. Wer wissen will, warum der schwedische Premierminister plötzlich mit einem Lastwagen voller Kartoffeln inklusive einer Atombombe durch die Strassen kurvt, warum man Diamanten niemals im Gebiss eines Toten verstecken sollte und welche Abenteuer die sympathische Nombeko erlebt, der hat mit dem Buch „Die Analphabetin, die rechnen konnte.“ garantiert ins Schwarze getroffen.

Hier wird die Weltpolitik kräftig durcheinander gewirbelt. Fiktive Handlungen mit echten politischen Ereignissen verknüpft und wie gesagt aufs Beste mit Charme, Satire und absurden Erzählungen der Leser unterhalten. Angesichts dieser Qualität des Buches sei dem Autor verziehen, dass er es sich etwas gar einfach machte, erneut mit der nuklearen Gefahr zu spielen und erneut einen unmöglich sperrigen Relativsatz zum Titel machte. Wir sind gespannt, ob Jonas Jonasson beim nächsten Buch diese zwei Schönheitsfehler beseitigen wird.

Von Hermann-Luc Hardmeier