Am Dienstagabend überzeugte im Stadttheater die Aufführung von Friedrich Dürrenmatts «Der Richter und sein Henker» mit Witz, Charme und einem Bühnenbild, das nur auf den ersten Blick langweilig erschien. Eine Theaterkritik von Hermann-Luc Hardmeier.
Gibt es das perfekte Verbrechen? Wenn es nach Gastmann geht, dann ist diese Frage mit «Ja» zu beantworten. Der finstere Bösewicht des Stückes in «Der Richter und sein Henker» wettete einst mit Kommissär Bärlach darum, dass er vor den Augen des Polizisten einen Mord begehen könne, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Er sollte recht behalten, doch Bärlach sann nach Rache. 40 Jahre später geschah ein Mord am Polizisten Ulrich Schmied, der offenbar als verdeckter Ermittler bei Gastmann eingeschleust war. Zusammen mit dem ehrgeizigen Polizisten Tschanz startete Bärlach seine Untersuchungen. Dabei wurde der Protagonist vom Wachhund, einem schwierig zu beschreibenden Ungeheuer, angegriffen. Tschanz rettete ihm das Leben, indem er das Tier tötete. Das Buch von Dürrenmatt ist eine Persiflage auf den Kriminalroman und nahm deshalb immer wieder unerwartete Wendungen. Schmieds Mörder war offenbar Polizist Tschanz selber. Sein Motiv: Eifersucht auf den beruflichen Erfolg von Schmied. Um seine Spuren zu verwischen und jemand anderes den Mord anzuhängen, tötete er sodann Gastmann. Aber: Bärlach hatte insgeheim als vermeintlicher Richter alles so geplant und Tschanz als Henker für seine Pläne benutzt. Kein Wunder freute sich der Kommissär zum Schluss riesig über seinen Sieg in der Wette. Doch diese erinnert stark an den Pakt zwischen Gott und dem Teufel in Goethes Klassiker «Faust», bei welchem auch das Gute gegen das Böse antrat. Nur hatte Dürrenmatt das Ganze umgedreht: Bärlach erschuf keine Gerechtigkeit, sondern übte Rache. Der Ermittler ist eigentlich kein «Guter», sondern hat sich auf die finstere Seite des Gesetzes geschlagen. Passend dafür war auch das Bühnenbild, welches die undefinierbare Bestie darstellte, welche Bärlach angegriffen hatte. Zunächst war man als Zuschauer enttäuscht, weil nach dem Tod des Tieres das Bühnenbild nutzlos und etwas langweilig erschien. Doch bei genauerem Betrachten erkannte man im mehrköpfigen Wuschelknäuel eine literarische Parabel auf das ganze Stück. So unfassbar wie das Äussere des Tieres waren in der Geschichte auch die Begriffe gut, böse, Wahrheit oder Gerechtigkeit. Das Altonaer Theater hatte die Inszenierung mit viel Witz und Charme sowie gutem Tempo umgesetzt. Man durfte gespannt den Ermittlungen folgen oder über Dürrenmatts groteske Ironie lachen. Tschanz als Henker und Bärlach als Chefplaner und Richter blieben zum Schluss ungestraft. Das sorgte für hitzige Diskussionen und einen gelungenen Theaterabend.
Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 16. März 2023.