Die High Heels weit von sich gepfeffert

Slampoetin Lisa Christ ärgerte und amüsierte sich zugleich in der Kammgarn am Freitagabend über die «verknorzten» Erfolge der Gleichstellung. Eine Theaterkritik von Hermann-Luc Hardmeier.

Foto: Lisa Christ wollte durchaus, dass dem Publikum das Lachen im Hals stecken blieb. (Bild: Michael Kessler, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier)

Pfui Teufel. Eigentlich beginnt das Problem der Gleichstellung von Mann und Frau schon in der Bibel. Lisa Christ erklärte dem Publikum, dass es frustrierend sei, dass schon im heiligen Buch die Frau an der Erbsünde schuld sei. Schliesslich habe sie den Apfel von Luzifer – in Form der Schlange – an Adam weitergereicht. Genervt wetterte sie über das vom Patriarchat dominierte Frauenbild und machte schnell klar, dass es so nicht weitergehen könne. Sie rief zwar nicht zur Revolution auf, aber streute mit Hochgenuss Salz, Pfeffer und Tabasco in die offene Wunde der geschlechterspezifischen Rollenverteilung. Die Zuschauer der Schauwerk-Veranstaltung in der Kammgarn merkten schnell: An diesem Abend war nichts mit «Schenkelklopfer-Humor» à la Peach Weber oder belanglosen Witzchen. Lisa Christ hat eine klare Botschaft und vertritt sie mit grosser Vehemenz. Eine Charaktereigenschaft dabei ist, dass sie sich gerne und schnell in Rage redet. Mehrmals musste sie sich selber wieder besänftigen, indem sie über eine Musikbox beruhigende Musik abspielte. Unterstrichen wurde ihre Kritik noch dadurch, dass sie entnervt ihre High Heels von sich pfefferte und meinte «Ich brauche wirklich neue Schuhe». Die Aktion war sinnbildlich, denn viele Kleidungsstücke lösen gewissen Rollenbilder aus. Zugleich war dies der Titel ihrer aktuellen Tour.

Anklage gemischt mit Humor

Lisa Christ seufzte ostentativ. Sie erzählte von einer Kollegin, die sich zwischen Karriere und Familie entscheiden musste. Diese verzichtete ihrem Mann zuliebe auf einen lukrativen Job in New York oder am Bundesgericht. «…obwohl es genau solche taffen Frauen wie sie in solchen Positionen bräuchte», sagte Christ. Nach wie vor sei die Lohnschere zwischen Mann und Frau enorm. Teilweise verdienten die Damen 20% weniger als die Männer für den gleichen Job. «Man stelle sich das vor», so Christ. «Sie arbeiten eigentlich bis Ende März gratis.» Anstatt dagegen anzukämpfen, scharren laut Lisa Christ junge Damen lieber Millionen von Followern um ihren Instagram-Account und geben Schminktipps. «Dort haben alle die gleichen künstlich hohen Wangenknochen, die gleiche Mono-Augenbraue und am Schluss kommt einem in der Bahnhofsunterführung eine Armee von Kylie Jenners entgegen.»

Ein Hauch von Dürrenmatt

Die Anklage von Lisa Christ wurde immer wieder mit Humor gemischt. Doch dieser wurde dosiert eingesetzt, um das Gesagte nicht zu verwässern. Ein wenig erinnert dies an das Konzept von Dürrenmatts Tragikomödie. Der Humor wird eingesetzt, um die schwere Kost verdaulich zu machen und an den Zuschauer heranzulassen. Doch ist es durchaus gewollt, dass dem Publikum zwischendurch das Lachen im Halse stecken bleibt. Dies geschah beispielsweise so: Im einen Moment mokierte sich Lisa Christ über Leute, die Fitness- und Ernährungstipps geben. «Wer hat sich schon einmal beim Fläzen auf dem Sofa eine Verletzung geholt? Richtig. Niemand. Aber beim Joggen, Yoga oder Crossfit? Bänderriss, Zerrung, Leistenbruch.» Sie forderte zu mehr Müssiggang auf und rief im Stile des Revolutionärs Che Quevara: «Lang lebe Cola und Zuckerwatte!» Im nächsten Moment jedoch sprach Lisa Christ über die «MeToo»-Bewegung. Über alltägliche und gesellschaftlich akzeptierte sexuelle Belästigungen von Freunden und Familienmitgliedern. «Stell dich nicht so an!» oder «Du übertreibst», seien die akzeptieren Ausreden. «Wenn eine Frau nicht geküsst oder begrabscht werden will, dann lass es gefälligst!», schrie sie in die Kammgarn. Lisa Christ hatte humorvoll verpackt auf viele Schwächen und Fehlverhalten in der Gesellschaft hingewiesen. Dies war ein anklagender, aber auch ein sehr wichtiger Aufritt.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am Montag, 16. November 2020.