Sturm und Drang in Schaffhausen

Am Konzert von „Palko!Musik“ im Konzertlokal „TapTab“ in Schaffhausen brannte die Luft. Eine Konzertkritik von Hermann-Luc Hardmeier.

Ach, hurra und ojemine. Hätte Baptiste Beleffi, der Sänger von Palko!Muski, in der Zeit von 1767 bis 1785 gelebt, wären vielleicht diese Worte aus seinem Mikrophon gekommen. Damals beherrschten die jungen Genies wie Schiller und Goethe die Kulturszene der Sturm und Drang-Epoche. Es war eine Zeit, in welcher man seinen Gefühlen freien Lauf liess. Man lebte im Moment, kostete ihn aus und genoss ihn mit jedem Atemzug. Genau diese Einstellung legten auch die Musiker von Palko!Muski am Freitagabend im TapTab auf das Parket. Der Saal war ausverkauft, die Stimmung aufgeheizt und die Musiker verloren keine Zeit mit Begrüssung oder einer Vorstellungsrunde. Die Schaffhauser Band existiert seit zehn Jahren und ist bekannt für ihren einzigartigen Powersound namens Gypsy-Disco-Polka-Rock. Eine Mischung, die jedes noch so müde Tanzbein zu Höchstleistungen animiert. Die Refrains sind so konzipiert, dass man meint, ein russischer Matrose hätte sie geschrieben. Und zwar erst, nachdem er zwei Flaschen Vodka auf ex getrunken hatte. Es durfte mitgegrölt und mitgejohlt werden. Die Schlagzeugrhythmen peitschten durch den Raum, das Akkordeon liess die Seele hüpfen und der Sänger sprang von einer Ekstase in die nächste. Goethes Werther schrieb seiner Lotte die feurigsten Liebesbriefe. Schillers Räuberhauptmann Karl Moor genoss das Banditenleben in vollen Zügen. Mit einem ähnlichen Tatendrang, stets den Moment zelebrierend, agierte auch Baptiste Beleffi auf der Bühne. Er riss sich das T-Shirt vom Leib und präsentierte sich dem Publikum mit nacktem Oberkörper sowie einer unmöglichen Kombination von Turnhose, Stiefeln und langen Strumpfhosen aus rotem Samt. Er sprang auf seinen Keyboardstuhl, rannte durch das Publikum auf die Treppe und im nächsten Augenblick surfte er auf den Händen der Gäste als Stagediver durch den Saal. Der Höhepunkt des Abends war erreicht, als er auf die Säule mitten auf der Tanzfläche geklettert war und von dort oben mit seinen Songs die Besucher zum Feiern antrieb. Palko!Muski sorgten im proppenvollen TapTab einmal mehr für eine euphorische Partystimmung und Schweiss, der von der Decke tropfte. Wären Goethe und Schiller unter den Gästen gewesen, hätten auch sie kompromisslos bis in die frühen Morgenstunden mitgefeiert.

Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 19. Februar 2018.

Ein Krawallbengel, den sich so mancher wünscht

Am Samstagabend wurde das Theater zum Kultbuch „Tschick“ in der Mehrzweckhalle Trüllikon aufgeführt. Eine Theater- und Buchkritik von Hermann-Luc Hardmeier.

Rattatatam, Rattatatam. Die Bildschirme auf der Bühne zuckten und man hörte ein Maschinengewehr laut knattern. Der 14-Jährige Maik spielte ein Ballergame, während sich seine Eltern im Hintergrund stritten. Maik ist ein ganz normaler Teenager. Er hat die üblichen Probleme. Die Schule interessiert ihn nicht. Er ist verliebt in ein Mädchen seiner Klasse. Aber er traut sich nicht, es ihr zu sagen. Und plötzlich taucht Tschick auf. Der neue russische Mitschüler ist ein Rebell. Er ist Ausländer, erscheint betrunken im Unterricht und schert sich einen Deut darum, was der Lehrer sagt. In den Sommerferien muss Maiks Mutter in die Entzugsklinik für Alkoholiker. Der Vater nutzt die Zeit für eine Affäre mit seiner Sekretärin. Maik hat sturmfrei und genau da klingelt Tschick an der Tür. Er schlägt vor, mit einem gestohlenen, äh Pardon, geliehenen Lada einen Roadtrip zu unternehmen. Maik ist zunächst skeptisch, doch diese Reise wird sein Leben auf den Kopf stellen.

Hardmeier + Buch + Kritik

Bild: Das Kultbuch von Wolfgang Herrndorf. (Foto: Hermann-Luc Hardmeier. Bericht: Hermann-Luc Hardmeier)

Nebenfiguren als Herausforderung
Der Kultroman „Tschick“ von Wolfgang Herrndorf ist eines der meistgespielten Stücke in Deutschland. Durch die Coproduktion des Theater Kanton Zürich und dem Theater Winterthur ist das Schauspiel nun auch in der Schweiz angekommen. Am Samstagabend fand die 14. Vorstellung der Bühnenfassung von Robert Koall statt. Diesmal in der Mehrzweckhalle Trüllikon. Es ist eine humorvolle und warmherzige Inszenierung, die von der starken Leistung der Schauspieler lebte. Allen voran stand Andreas Storm, der fünf Rollen gleichzeitig spielte. Vom Lehrer Wagenbach über das Kind Friedemann bis zur Sprachtherapeutin bot er eine breite Palette. Ob das nicht anstrengend sei, wollte die Schaffhauser Nachrichten von ihm nach dem Ende des Theaters wissen. „Die Personen auseinanderzuhalten ist nicht schwer“, so Storm. „Viel schwieriger ist das Management der Kleider, welche zu jedem Charakter gehören. Ich muss mir Backstage immer genau überlegen, was ich wohin hänge und in welcher Reihenfolge.“

Nicht pädagogisch-peinlich
Beeindruckend war auch die schauspielerische Leistung von Tschick und Maik. Sie sprangen, tanzten, schrien und turnten auf der Bühne, sodass man kaum genug davon kriegen konnte. Doch die Frage drängt sich auf: Warum fasziniert das Stück die Menschen? „Es ist eine zeitlose Geschichte über zwei Teenager“, erklärte Nikolaij Janocha alias Maik nach dem Auftritt. „Der Zuschauer wird nicht einfach unterhalten, sondern erinnert sich an die eigene Jugendzeit.“ Auf ihrer Reise beziehungsweise auf ihrer Odyssee treffen Maik und Tschick nicht auf lauter schlechte Leute, wie sie es erwarten. Im Gegenteil: Sie erleben einen Glücksmoment nach dem anderen und entdecken, was das Leben alles zu bieten hat. Sie philosophieren und Maik entwickelt sich zu einer starken Persönlichkeit, der sich selber zu schätzen weiss und die wahre Liebe findet. „Mir gefällt, dass es nicht so pädagogisch-peinlich ist“, unterstreicht Janocha. „Man kann sich in die Jugendlichen hineinversetzen.“ Zum Schluss wird Tschick noch mit einer faustdicken Überraschung aufwarten, die aber an dieser Stelle nicht verraten werden soll. Doch auch in dieser Situation wird sich zeigen, wie warmherzig und reif Maik mit diesen Breaking News umgehen wird. Wolfang Herrndorf hat mit Tschick eine Figur erfunden, die das Beste in Maik erwecken konnte. Obwohl er auf den ersten Blick wie ein asozialer Krawallbengel wirkt, hätte sich den Lausbub mit dem gestohlenen Auto wahrscheinlich noch so mancher Zuschauer in seiner Teenagerzeit als Freund gewünscht.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 5. Februar 2018.