Fussballer Granit Xhaka wird Handarbeitslehrer

Am 4. Provinz Slam in Andelfingen gab es humorvolle, gerappte aber auch tiefsinnige und traurige Texte.

(Foto: Hermann-Luc Hardmeier)

«Ich fühle mich heute wie der Schriftsteller Franz Hohler bei einer Lesung», scherzte Rahel Fink, als sie als Moderatorin den Poetry-Slam-Abend eröffnete. Sie hatte sich vor einigen Wochen beim Skifahren das Kreuzband gerissen und musste deshalb sitzend durch den Abend leiten, fühlte sich jedoch je länger je wohler dabei. Am 4. Provinz Slam in Andelfingen wurde zum 2. Mal ein neuer Modus des Spoken-Word-Contests gewählt. Normalerweise treten die Sprachakrobaten gegeneinander im Wettkampfverfahren an. Das Publikum bestimmt mittels Zahlen oder Applaus, wer weiterkommt und wer ausscheidet. «Viele fanden es schade, dass man dadurch von einer Poetin oder eines Poeten nur einen Text hört», erklärte Rahel Fink. «Deshalb gibt es neu eine Poetry-Slam-Show, bei welcher nicht nach dem Knock-Out-System ausgesiebt wird, sondern jede und jeder gleich viel Zeit erhält und in zwei Runden insgesamt vier Texte vortragen darf.» Das Eis brach Rahel Fink mit einem eigenen Text über sich selbst, bei welchem sie preisgab, dass sie immer fünf Minuten zu spät komme, Norwegisch für sie eine extrem einfache Sprache zum Lernen war und sie sich über unnötiges Wissen ärgerte, welches sie im Gymnasium pauken musste. Es folgte Gregor Stäheli. Er hatte sich Gedanken zum Lehrermangel gemacht und entwickelte eine herrlich absurde Story, was passieren würde, wenn der Mangel an pädagogischen Fachkräften eskalieren würde. Zunächst einmal würden die Anforderungen so kräftig gesenkt, dass alle unterrichten dürften, die schon einmal hinter einem Schulhaus geraucht haben. Es gäbe neue Schulfächer wie Social-Media-Kurzvideos erstellen oder Schminktutorials. Den wenigen Lehrkräften würden die Fächer zufällig zugewiesen. So müsste Gregor selber Geschichte unterrichten, obwohl er nur etwas von den Römern versteht, ein Neunjähriger gäbe Wirtschaft und Recht und beim letzten Transferfenster hätte man den Fussballer Granit Xhaka verpflichtet, der nun Deutsch und Handarbeit gebe.

Verhinderte Finken-Schlägerei

Jonas Balmer las danach eine Vielzahl von Kurztexten. Er sinnierte, warum unser komplexer Körper ein Phänomen wie den Schluckauf erzeugen kann oder darüber, dass Babysprache durchaus nicht bedeutungslos sei. Im Haupttext ging es um die philosophische Frage, ob es etwas wie den richtigen Moment gäbe oder ob dies ein Mythos sei. Nach diesen tiefsinnigen Erzählungen kam Gina Walter, die über ihre Erfahrungen als Primarlehrerin berichtete. In einem einfühlsamen und herzigen Erlebnisbericht erzählte sie, was sie von Freundschaftsbüchern hält, welche Tiere die Schülerinnen und Schüler gerne wären und wie sie eine Finken-Schlägerei verhindert hatte. Die 4. Slammerin Joelle Leimer haute sodann alle vom Hocker. Ihr Text war gerappt, hatte einen Rhythmus mit unglaublichem Drive und einer mitreissenden Sprachmelodie. Sie beschwerte sich über falsche Rollenbilder, welche Märchen vermitteln und wie kriegerisch Schachspiele eigentlich sind, wenn man sich Bauern als Kanonenfutter, Türme als Panzer und den König als gnadenlosen Diktator vorstellt. Als Rahel Fink mitteilte, dass Joelle Leimer die amtierende U-20-Schweizermeisterin im Poetryslam sei, wunderte sich niemand. Der Event hatte schon in der ersten Runde die ganze Bandbreite aus Humor, Tiefsinnigkeit, Sprachwitz und vielem weiteren gezeigt. Nach der Pause schoss Gregor Stäheli den humoristischen Vogel ab: Er erzählte, wie er bei seiner Arbeitsstelle versuchte, eine einzigartige Person zu sein. Er wollte für etwas Spezielles bekannt sein. Doch egal ob er mit einem Hawaiihemd aufkreuzte, Longboard fahren wollte, einen Leguan mitbrachte oder mit Bierhelm und Inlineskates auftauchte, es wollte nicht gelingen. Die Zuhörer kugelten sich vor Lachen. Der Abend endete mit grossem Applaus und anstatt Knock-Out-Rauswurf wurden die Slammerinnen und Slammer gebührend mit Blumen, Schokolade und Prosecco verabschiedet.

Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 29. Januar 2024 von Hermann-Luc Hardmeier.

Poetryslam: Plötzlich rappte der ganze Löwensaal

Am 3. Provinzslam im Löwensaal in Andelfingen texteten, reimten, sangen und überraschten fünf Slammerinnen das Publikum am Laufmeter. Von Hermann-Luc Hardmeier.

«Heute könnt ihr die Regeln in den Müll werfen», freute sich Moderatorin Rahel Fink. Den Gästen im Löwensaal hatte sie noch kurz zuvor die Regeln an einer typischen Poetryslam-Veranstaltung erklärt. Doch beim 3. Provinzslam in Andelfingen handelte es sich eher um eine Poetry-Show als um einen Slam. Unter dem Motto «Sisters of Slam» traten drei Poetinnen und eine Musikerin zusammen mit der Moderatorin auf. «Im Knock-Out-System bei Poetryslams fliegen immer wieder Kandidatinnen und Kandidaten hinaus, von welchen man gerne mehr gehört hätte», erklärte Rahel Fink die Idee der Veranstaltung. «Um dem entgegenzuwirken, werden wir deshalb heute von allen zwei Texte hören und niemand muss von der Bühne.»

Bildlegende:
Der Poetinnenrat mit Sarah Anna Fernbach, Annika Biedermann, Jessy James LaFleur, Rahel Fink und Eva Niedermeier (v.l.n.r.) rockte die Bühne in Andelfingen. (Foto: Hermann-Luc Hardmeier, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier)

Falten und Spinnen

Nachdem Eva Niedermeier den Anlass mit einem Song eröffnete hatte, startete Rahel Fink in ihrer Doppelfunktion als Moderatorin und Slammerin mit dem ersten Text. Ihre Zeilen trugen den Titel «Falten». Sie erklärte darin den Gästen, dass jedes Gesicht eine Geschichte erzählt. Egal ob vom Nachdenken über die Weltpolitik oder beim provokativen Anlächeln eines SUV-Fahrers, jedes Erlebnis ergibt eine Gesichtsfalte. «Inspiriert für diesen Text wurde ich übrigens dadurch, als ich mein erstes graues Haar fand», berichtete sie lachend. Im Anschluss verblüffte Sarah Anna Fernbach die Zuhörer. Ihr Tempo, ihre Reime, ihre Tiefsinnigkeit und das kreative Sprachspiel zog einem sofort in den Bann. «Wenn du heute sterben würdest, könntest du damit leben?», fragte sie rhetorisch. Sie amüsierte sich darüber, dass Frauen beim Duschen eine Vielzahl von Düften und Aromen benutzen, Männer hingegen einen Allzweckreiniger in einer Mischung aus Stahl, Beton und Natronlauge verwendeten. Seitenhiebe gab es auch gegen den Fitnesskult und man erfuhrt von ihrer Spinnenphobie. «Beim Workout sehe ich aus wie eine Süsskartoffel», gestand sie und beschwerte sich, dass Spinnen 10 Centimeter über ihrem Bett und über ihrem Kopf nichts verloren hätten.

Mehr Drachentöterinnen

Annika Biedermann nahm die Zuhörer mit auf eine philosophische aber auch amüsante Reise durch ihr unaufgeräumtes Wohnzimmer. «Wenn mein Zimmer für dich schon Chaos ist, dann warte, bis du in meinen Kopf schaust», konstatierte sie. «Hätte ich gewusst, dass du kommst, hätte ich aufgeräumt», sagte sie zuerst, verneinte es jedoch im Verlaufe des Textes. Ihr «Sturm-und-Drang»-Charakter müsse sich emotional und kreativ ausleben. Eine Ordnung wäre dabei hinderlich und anstrengend. Dennoch schlug sie zum Schluss versöhnlich vor, dass man doch gemeinsam aufräumen könnte. «Ich bin hier, um Stress zu machen», versprach schlussendlich Jessy James LaFleur. Sie kritisierte stereotype Rollenbilder im Märchen. Frauen hätten keine Lust darauf, gerettet und erlöst zu werden. «Ich will keinen Stalker, der im ganzen Land meine Füsse sucht, um mir Glasschuhe anzuziehen», nahm sie die Geschichte von Aschenputtel aufs Korn. Sie gestand jedoch ein, dass sie den 100-jährigen Schlaf von Dornröschen manchmal gut gebrauchen könnte. Für sie war klar, dass es in Märchen mehr Drachentöterinnen und mehr Piratinnen brauche. Zudem solle man weibliche Leserinnen dazu animieren, sich auf keinen Fall für einen Mann oder für die Gesellschaft zu verändern. «So wie du bist, ist es richtig», forderte die Slammerin und bilanzierte: «Die nächsten Märchen bestimmen wir selbst und sie sind noch längst nicht fertig geschrieben.» Es folgten weitere schöne, aber auch traurige Lieder von Eva Niedermeier. Die Slammerinnen kritisierten danach die Geheimnistuerei beim Thema Lohn, die Korruption im Fussball oder das Microsoftprogramm Excel. Der 3. Provinzslam war vielfältig und gelungen. Doch das Highlight des Abends war sicherlich der zweite Auftritt von Jessy James LaFleur. Sie inszeniert spontan zusammen mit der Gitarristin einen Rapsong namens «City of Soul». Sie brachte die Besucher dabei zum Mitsingen und Mitklatschen. Ihr Auftritt hatte Power und einen dickem Flow. Die Überraschung war gelungen und sie meinte zum Schluss: «Andelfingen, ich nehme euch mit auf Tour. Ich habe Tränen in den Augen.»

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am Montag, 30. Januar.

Ein fieser Klimasünder schnappte sich den Sieg am Poetryslam in Andelfingen

Beim 2. Provinzslam im Löwensaal wurde der ehemalige Schweizermeister am Samstagabend im Finale gestoppt. Von Hermann-Luc Hardmeier

Bildlegende: Sie brachten Wortwitz, Humor und Tiefgang in den Löwensaal: Joël Perrin, Milena Cavegn, Remo Zumstein, Annika Biedermann, Fine Degen, Claude Ziehbrunner, Jan Rutishauser und Rahel Fink. (v.l.n.r.) Foto: Hermann-Luc Hardmeier.

„Bei diesem Dichterinnen- und Dichterwettstreit dürfen weder Goethe noch Bushido zitiert werden“, scherzte Moderator Joël Perrin bei der Erklärung der Regeln. Die sieben Poeten des Abends mussten ihre Texte selbst geschrieben haben und bekamen 6 Minuten Bühnenzeit im Löwensaal in Andelfingen. Vor und nach der Pause stimmten die Showmaster Rahel Fink und Joël Perrin das Publikum mit einem fetzigen „Opferlamm“-Text ein. Danach begann der Wettbewerb, bei welchem das Publikum mittels Applaus im K.O.-System einen Kandidaten rauswerfen oder in die nächste Runde schicken konnte. Den Beginn machte Qeumars Hamie. Eigentlich sollte es eine Lovestory werden, doch er schrieb dann doch lieber eine Ode an sein Fahrrad. Mit viel Wortwitz schwärmte er von seinem Stahlross und vom „geilen“ Rahmen. Eine ungewöhnliche Zwei-Pedalen-Romanze mit Happy End.

Sprichwörter kreativ vertauscht

Fine Degen verarbeitete in ihrem Text ihren Namenskomplex und kritisierte dabei Eltern, welche aus egoistischen Gründen ihren Kindern mit seltsamen Vornamen eine Hypothek für’s Leben mit auf den Weg geben. Es folgte die erste Abstimmung: Die Gäste wollten mehr von der Tiefgründigkeit der Slampoetin hören und schickten den Veloromantiker zurück nachhause. Eine besonders üble Story erzählte anschliessend Annika Biedermann: Ihr Exfreund trennte sich von ihr am selben Abend, als sie an der Zürcher Slammeisterschaften teilgenommen hatte. In der Pause. „Dieser Text war akut und handelt vom Scheitern“, sagte sie mit Bitterkeit in ihrer Stimme. Sie wäre damit auf jeden Fall das Finale eingezogen, wenn nicht Remo Zumstein mit einem starken Kontrastprogramm pariert hätte. Er präsentierte eine „Mitmach-Rede“, bei welcher er Sprichwörter bis fast zur Unkenntlichkeit vertauschte. Sätze wie: „Es ist nie zu spät, um den Hals aus der Windel zu ziehen“ oder „Der Glauben kann Zwerge verletzen“, brachten das Publikum dazu, in schallendes Gelächter auszubrechen. Das „Mitsprechen“ an gewissen Stellen klappte erstaunlich gut und somit wurde er für die Originalität des Auftritts klar in die nächste Runde „geklatscht“. In der Pause brachte es ein Besucher auf den Punkt: „Eigentlich sehr schade, dass einige bereits disqualifiziert werden. Ich hätte gerne alle Texte von allen Poeten gehört.“

Geldsparen dank Glatze

„Stellen Sie sich vor, sie hätten vor dem nächsten Text gerade zweieinhalb Flaschen Rotwein auf ex getrunken“, leitete Claude Ziehbrunner seinen Auftritt nach der Unterbrechung ein. Er berichtete von einem Flirt und baute dabei die Namen von alkoholischen Getränken ein. „Ich werde dich RUM kriegen, du bist meine PASOA, dir bleibe ich auf ewig TROJKA und danach gehen wir in mein FELDSCHLÖSSCHEN.“ Milena Cavegn berichtete anschliessend von einem wilden Traum. Nach einem Unfall mit kaputter Bremse verkleidete sie sich als Pinzette, um an eine Technoparty zu gehen. Die absurde Odyssee hatte grossen Unterhaltungswert. Den Abschluss machte Jan Rutishauser, der sich selbst auf die Schippe nahm. Er berichtete über Haarausfall und zeigte dabei auf sein kurzgeschorenes Haupt. Er erklärte, warum weder ein Toupet noch eine „Resthaarfrisur“ für ihn in Frage kämen und freute sich, dass er nun viel Geld beim Frisör spare. Damit schaffte er den Sprung in die Finalrunde. Dort liess er sich weder von der gesellschaftskritischen Fine Degen noch vom Bücherfan und ehemaligem Schweizermeister Remo Zumstein stoppen. Jan Rutishauser warf beide raus, indem er seine fiese Ader zeigte: „Anstatt selbst etwas für die Klimapolitik zu tun, verkleinere ich den ökologischen Fussabdruck meiner Mitmenschen.“ Unter grossem Gelächter berichtete er, wie er beispielsweise dem Nachbarn die Luft aus dem Autoreifen lasse, damit er mit dem Velo zur Arbeit fahren müsse. Er sicherte sich damit den Siegerwhiskey, den er gefolgt von einer grossen La-Ola-Welle in Empfang nahm.

Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten am Montag, 31. Januar 2022. Von Hermann-Luc Hardmeier.

 

Wenn der NASA-Forscher am Poetryslamabend auftritt

Am Samstagabend standen keine DJs, sondern junge Wissenschaftler auf der Bühne im Chäller Schaffhusen und kämpften beim Science Slam um den Sieger-Whiskey. Von Hermann-Luc Hardmeier.

Wenn man Poetryslam und universitäre Forschung in den Mixer steckt, so erhält man das kreative Format Science Slam. Sechs junge Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen traten am Samstagabend im Chäller gegeneinander an. Sie erklärten humorvoll, ironisch und entstaubt ihre Forschungsthemen. Die meisten von ihnen trugen Doktortitel und sind normalerweise nicht in Tanzlokalen, sondern an der Uni zu finden. Jeder von ihnen hatte zehn Minuten Zeit, um das Publikum zu überzeugen und damit den Sieger-Whiskey zu gewinnen. Den Start machte Altgermanist Simon Hauser. Er hatte das 600 Jahre alte „Buch des Gehorsams“ untersucht, welche eine Klosterreform zum Ziel hatte. Man erfuhr von ihm beispielsweise, dass vor der Reform Nonnen oft von einem „Spaziergang“ schwanger zurückkehrten. Verständlicherweise wurde das in den konservativen Kreisen nicht gerne gesehen und man wollte dies mit „geeigneten Massnahmen“ verhindern. Biologin Gabriela Schenker richtete danach ihr Augenmerk auf das Thema Liebe und erklärte mit trockenem Humor, warum beispielsweise Seitensprünge aus evolutiver Sicht sinnvoll sind. Neurowissenschaftlerin Wiebke Schick verglich ihr Forschungsgebiet mit einer Dating-App und Statistiker Mehmet Akzösen eröffnete seine Präsentation zur Geschlechterfrage mit James Bond-Musik und Sonnenbrille. Beinahe holte sich der Astrophysiker Daniel Angerhausen den Sieg, als er über seine Zeit bei der Nasa und der Suche nach Leben im Weltall erzählte. Das Rennen entschied jedoch Mathematikerin Judith Alcock-Zeilinger mit „Symmetrie von Objekten“. Sie erklärte dies anhand von Biergläsern und dem Spiel „Schiffe versenken“ so anschaulich, sodass sie wahrscheinlich der Wunschtraum jedes verzweifelten Schülers im Matheunterricht wäre. Egal auf welcher Schulstufe. „Es war nicht nur spannend, sondern auch humorvoll“, bilanzierte Organisatorin Simone Hörtner von der Naturforschenden Gesellschaft erfreut und passend den gelungenen Abend.

Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am Montag, 15. November 2021. Von Hermann-Luc Hardmeier.

Mit dem Bulldozer den Duden überfahren

Am Freitagabend erklärte der Satiriker Renato Kaiser in der Kammgarn, warum öffentliche Toiletten magisch sind und Velofahrer wie Cervelats aussehen. Von Hermann-Luc Hardmeier.

Bild: Das Schauwerk-Team und der Satiriker Renato Kaiser. (Foto: Hermann-Luc Hardmeier, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier)

Schaffhausen erhält nicht oft royalen Besuch. In Neuhausen soll einst ein russischer Zar übernachtet haben. Am Bahnhof steht ein Stand seiner Durchlaucht, dem Brezelkönig. Und das war’s bereits. Doch dann kam am Freitagabend Kaiser Renato. Der Satiriker und Poetryslammeister trägt seine Krone allerdings nicht auf dem Kopf, sondern auf der Zunge. Er fuhr bei seinem Auftritt in der Kammgarn nicht mit der Königskutsche vor, sondern bearbeitete den Duden mit dem Bulldozer. Seine Worte hatten Sprengkraft, waren gefeilt, gepfeffert und zwischendurch auf giftig. Der Wortakrobat ist ein genauer Beobachter, der humorvoll und lakonisch das Alltagsgeschehen kommentiert. Yogamatten findet er mindestens so schlimm wie Liegevelos. Influencer würde er am liebsten auf den Mond schiessen und er gestand ganz offenherzig seine Liebe zu öffentlichen Toiletten. „WCs sind Oasen. WCs sind magisch. Es sind die letzten Rückzugsorte in stürmischen Zeiten.“ Für ihn ist auch klar, warum das stille Örtchen einen wertvollen Beitrag zur Genderdebatte leisten können: „Auf dem WC sind alle gleich!“ Der 36-jährige führte seinen verbalen Boxkampf auch gegen die Kirchen, Sauerteig und Medien, welche am liebsten über das Herkunftsland von Gewalttätern berichten und damit Stereotypen bedienen. Zum Schluss gab er sich selbstkritisch. Seine Leidenschaft Rennvelo fahren sei alles andere als sexy. „Ich fühle mich in meinem Velodress wie ein neonfarbener zu eng vakuumierter Cervelat.“ Als wäre das noch nicht genug, beschrieb er daraufhin Sekunde für Sekunde, wie er dank seiner Klickpedalen beim Anhalten am Rotlicht verunfallte. Das Publikum kugelte sich vor Lachen und das Schauwerk war mit Renato Kaisers Auftritt erfolgreich in die neue Saison gestartet. Es gab viel Applaus und der Kaiser schien seine Audienz in der Munotstadt in vollen Zügen genossen zu haben.

Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am Montag, 6. September 2021. Von Hermann-Luc Hardmeier.

Der Gipfel des absurden Humors

Slam-Poetin Lara Stoll erklärte am Freitagabend, warum sie Staubsauger und Pizzaboten zur Weissglut treiben. Zudem ging sie auf der Kammgarnterrasse Schaffhausen den „blöden Schesen“ an den Kragen. Von Hermann-Luc Hardmeier.

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Das ist der Gipfel! Lara Stoll mit dem „Ehrengast“ in der Hand, der später noch Flugstunden nehmen würde. (Foto: Melanie Duchene, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier)

„Unser Ehrengast ist auch schon hier“, sagte Lara Stoll zur Eröffnung ihres Auftritts auf der Kammgarnterrasse. Gemeint war ein Laugengipfel, der zum Schluss des Abends ins Publikum geworfen werden sollte. „Ich hoffe, ich vergesse es nicht. Ansonsten bricht das Unheil dieser Welt über uns ein.“ Die 34-Jährige tourt derzeit mit ihrem Programm „Gipfel der Freude“ durch die Schweiz. Sie nennt es nicht Comedy oder Poetryslam, sondern „Ich halte eine energetische Lesung“. Ein Auftritt mit vollem Körpereinsatz, der unglaublich lustig und abwechslungsreich ist. Zunächst liess die Ex-Schaffhauserin die Coronazeit Revue passieren. Leider mussten viele Veranstaltungen abgesagt werden. Lara Stoll nannte beispielsweise die Geissenexpo, das Weinfelder Autofest, das grosse Luganeser Risotto-Tauchen und weitere legendäre Veranstaltungen. „Wir sind unterfestet!“, stellte sie besorgt fest. Nun nahm sie Alltagsthemen ins Visier, die wohl jeder schon erlebt hat. Päärli-Kochen, das mit einem gemeinsamen „passiv-aggressivem“ Einkaufen beginnt und in einem Pak-Choi-Massaker endet. „Man muss ein gutes, eingespieltes Team sein, um sich beim gemeinsamen Kochen nicht umzubringen“, so ihr Fazit. Besonders grosse Feindseligkeiten brachte sie den Staubsaugern entgegen. Entweder sehen sie einem HR-Gyger-Alien ähnlich oder das Rohr knallt einem ständig auf den Kopf, wenn man den Schrank öffnet. Sie forderte indirekt eine Staubsauger-Helmpflicht oder eine architektonische Lösung. Daraufhin gab es ein Intermezzo mit Gitarre. „Jetzt kommt ein kurzes Lied.“ Sie nestelte am Seiteninstrument. Es erklang ein einziger Akkord und das dramatisch gesungene Wort „kurz“. Es war so absurd, dass man nicht anders konnte, als herzlich loszulachen. Lara Stoll war mittlerweile zur Höchstform aufgelaufen und steigerte sich völlig entnervt in „das schlimmste, was mir je passiert ist“, hinein. „Die Pizza, die nicht kam“, wurde zu einer Horrorstory, bei welchem schlussendlich „der tote Leib der wehrlosen Pizza gierig“ verschlungen wurde. Selten hat man sich so köstlich über etwas amüsiert, das im Alltag so ärgerlich ist wie ein verspäteter oder nicht informierte Pizzabote. Die Reise ging weiter über eine Magendarmgrippe: „Das uneheliche Kind des Teufels und einer in der Sonne vergessenen Mayonnaise“. Das kleine „Tête au Toilette“ wurde anschliessend mit einer kleinen Tuba vertont. Notabene ein Instrument, das laut Lara Stoll selber ein bisschen wie ein Verdauungstrakt aussieht. Sie entlockte dem Gerät mysteriöse Töne, die man tatsächlich auf einer Toilette hören könnt. „Sorry, ihr wart noch am Essen“, entschuldigte sie sich amüsiert bei einem Pärchen. Der Abend endete mit zwei Zugaben, einem Märchen über die kleinen Parmelins (ihrem Lieblingsbundesrat) und einer wüsten Prügelei in einem asiatischen Ramen-Restaurant. Inklusive einer „blöden Schese“, einer „Thurgauer-Rasensprenger-Attacke“ und einem Waterboarding mit Sake-Reiswein. Und natürlich wurde zum Schluss der Gipfel ins Publikum geworfen; prallte an der Bühnenbeleuchtung ab und traf die Fotografin. Ein passendes Ende für einen grossartigen Abend mit der Meisterin des absurden Humors.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen am 9. August 2021 in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“.

 

„Poetryslam hat mir das Leben gerettet“

Am 1. Provinz-Slam in Andelfingen kämpften am Samstag sechs Poeten um den Siegerwhiskey. Von Hermann-Luc Hardmeier.

Bild: Der Sieger Jachen Wehrli mit dem Siegerwhiskey. Umringt von allen Teilnehmern und Moderatoren des Provinzslams. (Foto: Hermann-Luc Hardmeier. Bericht: Hermann-Luc Hardmeier)

„Es geht tatsächlich wieder los! Wir haben wieder Kultur in unserem Leben“, freute sich Moderatorin Rahel Fink. Zusammen mit Joël Perrin führte sie humorvoll durch den Abend. Sechs Künstler traten gegeneinander zum Poetryslam an. Beim Dichterwettstreit im Löwensaal in Andelfingen entschied das Publikum jeweils mit Applaus, wer eine Runde weiterkam. Das K.O.-System ähnelt jenem an einer Fussball-WM. Nur dass beim Poetenduell nicht mit Steilpässen, sondern mit gepfefferten Worten und verbalen Dribblings gegeneinander angetreten wurde.

Pinkelnder Hund

Im ersten Kampf trat der Langenthaler Valerio Moser gegen den Liestaler Dominik Muheim an. Valerio erzählte eine Story über einen Hund, der ihm scheinbar stundenlang ans Bein pinkelte. Während sich seine Hose mit Hunde-Urin füllte, sinnierte er über den besten Freund des Menschen. „Wie gemein es doch ist, dass die Menschen den Hunden Namen geben, welche diese selbst gar nicht aussprechen können.“ So beschloss der Poet kurzerhand, dem Vierbeiner einen eigenen Namen zu  geben. Bello, 500 Gramm Maroni oder Revolution standen zur Auswahl. Bei letztgenanntem Namen könnte man durch das Rufen nach dem Hund einen Staatstreich auslösen. Beim „500 Gramm Maroni“ hingegen gleichzeitig bestellen und das Tier zurückbeordern. Eine definitive Antwort blieb Valerio schuldig.

Dominik hatte ein ganz anderes Problem. Beim spontanen Babysitten wurde er mit der Aufgabe konfrontiert, die Kinder aufklären zu müssen. Er erinnerte sich zurück, dass seine eigene Aufklärung dank einem Schmudelheft während dem Altpapiersammeln passiert war. Das Publikum konnte sich nicht zwischen den zwei entscheiden. Und so schickte man sie als Zweiterteam zusammen ins Finale.

Kindergeschrei und Spaghetti-Sünden

Mia Ackermann aus St.Gallen trat nun gegen Gina Walter aus Basel an. Mia begeisterte mit einer absurden Story über ein Tram, dass sich bei starkem Regen plötzlich und unaufhörlich mit Wasser füllte. Gina hingegen konterte mit einer Liebeserklärung an ihr Leibgericht Spaghetti. Für die Halbitalienerin war klar: Wer Spaghetti schneidet, mit Ketchup isst oder sie als Nudeln bezeichnet, der ist ein „Sündenkevin“ oder ein „ehrenloser Sonnenstuhl-in-Mallorca-Reservierer“. Der Hunger der Gäste war geweckt und sie schickten Gina ins Finale. Die letzte Begegnung fand zwischen Jachen Wehrli aus dem Bündnerland und Martina Hügi aus Winterthur statt. Jachen setzte sich mit einem Text über die täglichen Familienfights mit seinen Kindern gegen das Arzttrauma von Martina durch. Sie gestand, dass sie sich heimlich in Arztpraxen schleiche, um im Warteraum zu schlafen. Neuerdings ist sie „polydoktorös“. Sie geht nun in eine Gemeinschaftspraxis. Jachen hingegen gab einen Tipp, wie man die gesamte Familie endlich wieder einmal zusammenbringt: „Einfach einmal den W-Lan-Stecker ziehen.“ Vor dem grossen Finale kam es sodann zu einer Überraschung: Der Andelfinger Musiker und Texter Urs Späti wurde auf die Bühne gebeten. Mit Badmintonschläger und viel Schwung erklärte er, dass ein Poetryslam ein reizvolles Kräftemessen sei. Allerdings auch ambivalent, denn der Spass und nicht der Wunsch auf einen Sieg solle im Zentrum stehen.

Poetryslam als Ausweg

Die Finaltexte waren allesamt stark. Gina breitete die Gefühlwelt der Riesenschildkröte „Lonesome George“ aus. Das Duo Valerio und Dominik berichteten über ihren Besuch an einer Weinmesse. Der Erlebnisbericht sowie der Slam endeten feuchtfröhlich. Da sie die Zeit überzogen hatten, wurden sie von den Moderatoren von der Bühne „weggekitzelt“. Jachen wählte nicht die humorvolle Schiene. Er berichtete über einen persönlichen Schicksalsschlag. Er hatte drei beruflich bedingte Burnouts. Klinikaufenthalte und dunkelste Gedanken inklusive. Erst seine Familien und das Texteschreiben konnten ihm helfen. „Poetryslam hat mir buchstäblich das Leben gerettet“, erklärte er nach seinem Auftritt. Er hatte damit die Besucher berührt und durfte den Siegerwhiskey zum Schluss in die Höhe stemmen. Der Abend zeigte die gesamte Bandbreite des Poetryslams und war ein grosser Erfolg. „Wir möchten diese Veranstaltung unbedingt wiederholen“, bilanzierte Rahel Fink. „Es wäre schön, wenn wir vielleicht drei Mal jährlich einen Provinzslam veranstalten könnten.“

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 31.05.2021

Lara Stoll hat nicht Schmetterlinge, sondern Zahnärzte im Bauch

Die Poetryslammerin Lara Stoll eröffnete am Freitag die Schauwerk-Saison in der Kammgarn mit humorvollen und teilweise grotesken Geschichten. Von Hermann-Luc Hardmeier.

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Foto: Evelyn Kutschera. Bericht: Hermann-Luc Hardmeier.

„Nein, ich bin nicht diejenige mit dem Alphorn!“ Mit viel Selbstironie, Humor und geschliffenen Texten begrüsste Lara Stoll die Gäste. Die Spannung war gross, denn die Künstlerin hat auf dieser Bühne schon so einiges ausprobiert. Einmal donnerte sie mit einem Mini-Traktor eine Rampe hinunter und bei ihrer letzten Kammgarn-Show hatte sie sogar ein 30er-Töffli gesattelt, mit welchem sie unter lautem Lärm und nebliger Auspuffwolke vor den Gästen herumdüste. Gibt man auf Youtube ihren Namen ein, so erscheinen Slam-Texte mit Titeln wie „Furz“, „Deine Mutter“ oder „Weshalb ich manchmal gerne ein John Deere Traktor 7810 wäre“. Und auch diesmal liess sich die Dame mit den absurden Ideen und der lockeren Zunge so einiges einfallen. Bereits beim ersten ihrer Texte trafen Uriella, der Scheitel von Gilbert Gress und ein T-Shirt mit handbedruckten Doris-Leuthard-Gotthard-Tunnel-Löcher aufeinander. Die kurzen Slam-Texte waren amüsant, gut komponiert und immer wieder unglaublich temporeich. Lara Stoll liess die Besucher oft an ihrem Leben teilhaben. Man erfuhr, dass ihr Freund im Gegensatz zu ihr nicht Programmhefte von politischen Parteien lesen muss, um einschlafen zu können, dass sie 1999 ein Fleischkäse-Sandwich einen Sommer lang als unfreiwilliges Biologie-Langzeitprojekt in ihrem Schulrucksack dahinvegetieren liess und dass sie eine geradezu panische Angst vor Schmetterlingen habe. „Alleine schon der Ausdruck „Schmetterlinge im Bauch“ klingt für mich pervers“, erklärte sie. Da könnte man gerade so gut sagen „Spinnen im Bauch“ oder „Zahnärzte im Bauch“.

Mutter in der Cloud

In einer ihrer Geschichten hat sie ihre Mutter digital überflügelt. Während Lara Stoll sich noch erinnert, wie sie ihrer lieben Mama die Handytaschenlampe erklärte, hat sich ihre Mutter schon längst selber in die Cloud hochgeladen. Man erfuhr auch, warum Zahnärzte Eier legen, um sich fortzupflanzen. Danach gab es eine musikalische Einlage mit der Gitarre: Lara Stoll spielte zunächst ein „nettes Lied“, das aber nicht schön sei, und danach ein „schönes Lied“, das aber nicht nett sei. Während beim 1. Song alle Katzenmusiker der Welt Saltos in den Ohren der Zuhörer sprangen, dominierte im zweiten Lied das Wort „Kacke“. Und als wäre das noch nicht genug, ergänzte sie danach: „Ich möchte mich noch dafür entschuldigen, dass ich in den Song Tennisspielerin Martina Hingis nicht eingebaut habe.“ Zum Schluss gestand Lara Stoll mit einem Augenzwinkern: „Ich beneide Helene Fischer. Ich würde bei meinen Aufritten auch gerne mit BHs und Kafirahmdeckeli beworfen werden.“ Sie endete mit einem grässlich-schönen Lied mit dem Titel „Wasabi im Herdöpfelstock“. Lara Stoll hat das Publikum intelligent und witzig unterhalten. Damit ist den Organisatoren vom Schauwerk ein perfekter Einstieg in die neue Saison geglückt.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 3. September 2018.

Ritter besiegt laktoseintoleranten Drachen

Sechs Wortkünstler überboten sich am Donnerstag beim ersten Poetry-Slam in der Rhybadi Schaffhausen mit ihren assoziativen Spielereien. Der Klamauk streifte bisweilen den Ernst, und das Publikum fühlte sich bestens unterhalten. Ein Eventbericht von Hermann-Luc Hardmeier.

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Foto: Der Moderator heizt das Publikum auf dem schwimmenden Floss ein. (Bild: Hermann-Luc Hardmeier, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier)

«Wow!» So enthusiastisch begrüsste der Moderator die Gäste in der Rhybadi. Am Donnerstagabend bildete ein kleines Floss mitsamt Sofa, Mikrofon und Stehlampe die Bühne für sechs Slampoeten aus der ganzen Deutschschweiz. Die Gäste waren zahlreich, die Temperaturen perfekt.

Nachdem Lillemor Kausch als Opferlamm die Jury und das Publikum mit einer bizarren Story über eine Hochzeit im konservativen Appenzellerland eingestimmt hatte, trug der Zürcher Gregor Stäheli seinen ersten Text vor. Es war eine gekonnte Parodie auf alle Kinder, die von ihren Eltern zu stark behütet sind, und endete damit, wie er sich von seinem Jugendidol Meister Proper emanzipierte, mit Schleifpapier zwischen den Beinen einen Marathon lief und auf einer Giraffe in den Sonnenuntergang ritt. Darauf folgte Remo Zumstein aus Bern. Er hatte Reime und Wortspiele zum Thema Vaterschaftsurlaub im Gepäck. Er forderte mehr Anerkennung für Väter, denn auch er könne «görpsen» und Bauklötze mit seinen Fingerchen halten.

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Die Grenzen der Lachmuskeln

Nach diesen zwei extrem humorvollen Texten zeigte Sarah Altenaichinger, dass es auch ernsthaft ging. «Der Tag dehnt sich endlos wie Lakritze» und «Der Sommer stöhnt wie ein Tier unter der Hitze» sind nur zwei Leckerbissen ihrer poetischen Reise durch den heissesten Monat des Jahres. Pierre Lippuner aus St. Gallen liess die Besucher abstimmen, ob sie einen Text auf St. Galler Mundart, ein ernstes Thema oder einen «Extrem-Daneben»-Slam hören wollten. Natürlich entschieden sich die Zuhörer für die dritte Version und durften einen bitterbösen Brief an eine Exfreundin in voller Länge geniessen. Remo Rickenbacher aus Thun brachte die Lachmuskeln an ihre Grenzen, als er erzählte, wie er sich gegen Cybermobbing wehrte. Ein Video von seinem Absturz an einer WG-Party liess er verbal rückwärtslaufen und demonstrierte, wie schön er den Kühlschrank und den Teppich reinigte und – abgesehen von ein paar misslungenen Tanzschritten – sogar eine fremde Frau, ohne eine Ohrfeige einzufangen, küssen durfte. Rhea Seleger aus Zürich schliesslich zeigte in ihrer Niederschrift auf, dass man bei den Eltern vieles als selbstverständlich erachtet, was keinesfalls selbstverständlich ist.Eine zufällig ausgewählte Publikumsjury bewertete jeden Auftritt mit Noten. Vier Kandidaten schafften es ins Halbfinale. Im Finale landeten Gregor Stäheli und Remo Rickenbacher. Der Zürcher schlug mit seinem Rittertext über den furchtsamen Frederick, der mit einer Milchschnitte den laktoseintoleranten Drachen besiegte, den kreativen Mitmach-Text des Thuners. Verdient wurde Gregor Stäheli auf dem Floss zum ersten Sieger des Rhybadi-Slams gekürt. Doch der wahre Gewinner beim Poetry-Slam ist wie immer das geniessende Publikum.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 23. Juni 2018.

Poetryslam: Der rappende Mönch zeigte es allen

Am 2. Schaffhauser Science Slam stellten junge Wissenschaftler lustig und unterhaltsam ihre Forschungsthemen vor. Zum Schluss gab’s aber vom Sieger eine Publikumsschelte. Ein Bericht von Hermann-Luc Hardmeier.

scienceslam

Bild: Henry Wöhrnschimmel während seines Slams zum Thema „resistente Chemikalien“.

Spätestens seit der US-Comedyserie „The Big Bang Theory“ wissen wir, dass Wissenschaft auch Spass machen kann. Am Samstagabend blödelten Sheldon, Leonard und Howard nicht nur im TV, sondern quasi direkt vor unserer Haustüre. Am 2. Science Slam im Chäller stellten sieben junge Wissenschaftler ihre Forschungsthemen vor. Mit viel Ironie, Sarkasmus und eingängigen Beispielen hatten sie Texte und kreative Power-Point-Folien für das Publikum im Gepäck. Es war erfrischend, wie auf der Bühne die Studiumsinhalte entstaubt und in populäre Sprache umgesetzt wurden. Jeder Text wurde von einer zufällig ausgewählten Publikumsjury mit den Noten 1-3 einmal für den wissenschaftlichen Gehalt und einmal für die Qualität des Slams bewertet. Moderator Markus Berg brach das Eis. Mit seinem Text „Verdammt, wo ist der Ton? 2.0“ sprach er über die Probleme, wie man schnell und qualitativ hochwertig seit dem Ende der ISDN-Leitungen „Sprachpakete“ über weite Distanzen verschicken kann. Witzig nahm er dafür Liveschaltungen von Sportmoderatoren am WM-Finalspiel in Brasilien zwischen Deutschland und Argentinien als Beispiel.

Fussball und Verkleidung

„Winkeltreue zahlt sich aus“ war sodann das Thema des Mathematikers Felix Günther. Mit Computergrafiken und Weltkarten zeigte er sehr anschaulich, welche geometrischen Formen Einfluss auf unseren Alltag haben. Nicht mehr aus unserem Leben wegzudenken ist beispielsweise der Ikosaederstumpf. Auch genannt Fussball. Als er sich zum Schluss das EU-Gesetz zur Gurkenkrümmung vorknöpfte und der Lächerlichkeit preisgab, hatte er endgültig alle Herzen der Zuhörer gewonnen. Stark war auch der zweite Slammer: Simon Hauser. In einer Mönchskutte stellte der Germanist seine Magisterarbeit vor: Die Heilsspiegel-Handschrift A. Mit schnellem Tempo und viel Humor sprach er über die mittelalterliche Schrift, die er im Studium entschlüsseln musste. Man erfuhr nicht nur Spannendes über sein Handwerk, sondern auch allerlei Anekdoten über das Mittelalter. „Thomas von Aquin war so keusch, dass er sich sogar weigerte, von einem ausgezogenen Tisch zu essen“, sagte Simon Hauser augenzwinkernd. Als er schlussendlich den Rapsong „A-N-N-A“ von Freundeskreis mit neuem Text zu einem „Handschrift A“ – Hiphopsong vortrug, tobte das Publikum. Wie konnte man einen solchen kreativen Auftritt noch toppen? Weder Henry Wöhrnschimmel mit seinem bildreichen Text über persistente Chemikalien noch Elektrotechniker Robert Niebsch mit seinem Slam über „geplante Obsoleszenz“ – oder warum Handys und Computer genau nach Ablaufzeit der Garantie kaputt gehen – konnten Simon Hauser das Wasser reichen.

Unerwartet und mutig

Mutig und stark war der Auftritt von Wiebke Schick und Jasmin Barman. Sie verknüpften den Slam mit ihrem persönlichen Schicksal. Schick sprach über ihren Kampf mit der Epilepsie und Barman darüber, wie sie bei der Entwicklung eines Medikaments gegen ihre „Lichtkrankheit“ geholfen hat. Jasmin Barman leidet an einem seltenen Gendefekt, durch welchen sie starke Verbrennungen bei normalem Sonnenlicht erleidet.

Schelte fürs Publikum

Das Publikum kürte schliesslich den rappenden Mönch Simon Hauser zum Gewinner. Dieser freute sich zwar über den Sieg, las dem Publikum aber auch die Leviten: „Ich verstehe nicht, warum Jasmin Barman bei der Wissenschaft-Note keine Höchstbewertung bekam. Im Vergleich zu ihr mache ich nur Klamauk. Ich bewahre als Literaturwissenschaftler zwar das kulturelle Gedächtnis, sie aber rettet Menschenleben.“ Mit diesem Denkanstoss endete der vergnügliche und interessante Abend. „Wir sind sehr zufrieden“, sagte Simone Hörtner vom OK von der naturforschenden Gesellschaft Schaffhausen. „Wir wollten heute Abend Naturwissenschaft und Unterhaltung verknüpfen. Das ist sicherlich gelungen. Ich bedanke mich fürs Kommen, fürs Lachen und fürs Klatschen.“

Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 2. Mai 2017. Von Hermann-Luc Hardmeier.