Am 5. Provinzslam am Samstag in Andelfingen mischten spontan Gäste aus dem Publikum mit. Ein Bericht von Hermann-Luc Hardmeier.
Bericht: Hermann-Luc Hardmeier. Foto: Hermann-Luc Hardmeier.
Normalerweise ist ein Poetryslam ein sportlicher Wettkampf mit einem Knock-Out-System. Poetinnen und Poeten treten mit ihren Texten vor Publikum auf und werden mittels Applaus oder Bewertungsnummern in die nächste Runde oder auf den Nachhauseweg geschickt. Nicht so jedoch am Samstagabend in Andelfingen. „Manchmal möchte man von jemandem mehr als nur einen Text hören und dann ist es schade, wenn er rausgewählt wird“, sagte Moderatorin Rahel Fink. Die Veranstaltung fand diesmal im Saal der Kirchgemeinde statt, weil im Löwensaal die hohe Bühne etwas viel Distanz zwischen Gästen und Künstlern schafft und der Kirchgemeindesaal etwas mehr gemütliche Wohnzimmerstimmung versprühte. Unfreiwillig war am Samstagabend eine Männerrunde zustandegekommen. Die einzige Poetin des Abends Mia Ackermann war durch Probleme mit ihrem Flug nicht angekommen. „Ich bin ungern die Quotenfrau“, scherzte Rahel Fink. „Aber wir haben nun halt eine Brothers of Slam – Runde, was ja auch seinen Reiz hat.“ Und sie fügte ironisch an: „Schliesslich haben Männer in der Gesellschaft sonst sehr wenig Bühnenpräsenz.“ Die Moderatorin starte mit einem Text, bei welchem sie sich über den 6. November ärgerte. Der Tag, an welchem in den USA das Wahlresultat verkündet wurde. Sie sprach von sogenannten Sandkorn-Momenten, welche zunächst unwichtig erscheinen. Viele Sandkörnen zusammen ergeben jedoch eine riesige Weitsprunganlage und deshalb lohne es sich, auch in kleinen Situationen Zivilcourage zu zeigen.
Das Problem mit dem Bahngleis
Danach startete Jeremy Chavez. „Warum braucht es Ethik-Unterricht?“, wollte er wissen und nahm als Beispiel das sogenannte Trolley-Problem. Bei diesem Gedankenexperiment stellt man sich einen Zug vor, der an eine Weiche kommt. Auf der einen Schiene würde der Zug fünf Personen überrollen, auf der anderen Schiene eine Person. Nun ist die Frage, wie man die Weiche einstellen würde. „Der Fall ist eben nicht so klar“, erklärte Jeremy Chavez. „Normalerweise würde man fünf Personen retten.“ Doch was wäre, wenn unter diesen fünf jemand Schlimmes wie beispielsweise Hitler wäre? Er verknüpfte das Ganze mit einem kräftigen Seitenhieb gegen künstliche Intelligenz und selbstfahrende und selbstdenkende Autos.
Fischstäbchen und Revolution
Sehr kreativ waren danach Fabian Engeler und Pierre Lippuner als Duo „Pink im Park“. Sie sangen und erzählten eine Story, welche als Ode an das Fischstäbchen konzipiert war. Einzelpoet Sven Hirsbrunner erzählte im Anschluss die Story von der zwei Ameisen Anette und Beatrice, welche die Überreste eines Picknicks am Wegrand fanden. Sie philosophierten darüber, ob es Menschen gäbe, während sich das Publikum kugelte vor Lachen. Einen starken Auftritt zeigte sodann auch Pierre Lippuner mit einem Solotext, bei welchem er sich ärgerte, was mittlerweile bei einem Raclette-Abend alles für unnütze Zutaten und Beilagen dem echten Schweizer zugemutet werden müssen. Er forderte eine Revolution gegen Eisbergsalat, Tischgrill und Sösseli. „Rettet das Raclette!“, forderte er und stimmte mit den Gästen den Song „RacLET IT BE“ an, bei welchem er das Nationalgericht mit dem Beatles-Hit kombinierte.
Text schnell zuhause geholt
Nach der Pause gab es zwei schöne Überraschungen. Spontan hatten zwei Damen aus dem Publikum angefragt, ob sie ebenfalls Texte vortragen dürfen. Es begann Bettina Marte, welche rhetorisch die Frage stellte: „Wer kennt dumme Kinder?“ Sie verknüpfte dies mit amüsant-absurden Episoden aus ihrer Kindheit. Zum zweiten betrat Jeanne Weber aus dem Publikum die Bühne. Sie hatte in der Oberstufe einen Slamtext geschrieben und ihn spontan von zuhause in der Pause geholt. Sie liess Dampf ab über die Eintönigkeit auf dem häuslichen Speiseplan. Schlussendlich ende man meistens bei der Auswahl zwischen Pizza und Spaghetti. Der Höhepunkt des Abends war wahrscheinlich, als Jeremy Chavez seine Slam-Partnerin spontan durch Publikumsgast Markus ersetzte. Dieser begann ohne Vorbereitung einen Dialog-Text über Tipps für Demonstranten. Der Abend war spannend und humorvoll und zeigte: In Andelfingen ist offenbar auch bei den Gästen viel poetisches Talent vorhanden.
Erschienen am 27. Januar 2025 in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“. Von Hermann-Luc Hardmeier.