Louis Armstrong mit einem Schuss Jamaika vermischt

Am Freitagabend herrschte in der Kammgarn in Schaffhausen dank dem New-York-Ska-Jazz-Ensemble deftige Tanzstimmung. Eine Konzertkritik von Hermann-Luc Hardmeier.

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Bild: Alberto Tarin greift in die Saiten mit dem New York Ska-Jazz Ensemble. (Bild: Hermann-Luc Hardmeier, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier)

Ein Gedankenbeispiel: Wenn Jazzlegende Louis Armstrong nach Jamaica gereist wäre und dort eine Rockband gegründet hätte, dann kann man erahnen, wie das Endprodukt namens Ska-Jazz klingen könnte. Es war aber nicht Armstrong, sondern sechs Künstler, die 1994 in New York eine Band mit genau diesem Sound ins Leben riefen. Offbeat trifft auf Saxophon und Posaune. Hotellobby-Musik verheiratet sich mit deftigem Ska-Disco-Beat. Kurzum: Ska-Jazz. Rund 200 Gäste waren am Freitagabend in die Kammgarn gekommen, um genau diese Zutaten des Musikcocktails zu geniessen. Wie auf Knopfdruck mit dem Konzertbeginn bildete sich eine Menschentraube vor der Bühne. Schon mit den ersten Klängen begann das vordere Drittel des Publikums zu tanzen. „Come on Switzerland, shake your Body“, forderte Sänger Fred Reiter die Gäste auf und rückte dabei cool seine Sonnenbrille zurecht. In einigen Songs improvisierte die Musiker, was das Zeug hielt. Andere Stücke waren als klare Offbeat-Tanzeinlagen konzipiert. Die Energie, welche die Band auf der Bühne verbreitete, riss bald den ganzen Saal mit. Vom Punk über den Familienvater, vom Teenie bis zum Reggaefan mit Rastafrisur. Alle feierten in der Kammgarn zu den Klängen des New-York-Ska-Jazz-Ensembles. Die Formation ist derzeit auf Europatournee. Schaffhausen war Nummer 8 von 24 Konzerten in acht Ländern. In einem Song zückte der Sänger anstatt seines Saxophones eine Querflöte. Der Pianist improvisierte gekonnt, und auch der begnadete Gitarrist Alberto Tarin legte seine Solokünste in die Waagschale. In einem Lied erklang die Melody des Ska-Songs „A message to you Rudy“, was die Besucher ausflippen liess. Plötzlich ergriff der Gitarrist das Mikrophon und sagte ein sympathisches „Hola Amigos de Schaffhausen.“ Dann begann er zu singen. In den meisten Liedern der Band wurde die Stimmen allerdings nicht benutzt, sondern die Instrumente standen im Vordergrund. Und dies passte hervorragend. Die Stimmung war bombastisch, es gab zwei Zugaben und die Band verabschiedete sich enthusiastisch mit den Worten „You are a great crowd!“.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 27.12.2016.

«Legt eure iPhones nieder und schwingt eure Hüfteli!»

Mit Humor und Charme, aber auch mit politischen Statements begeisterte Müslüm am Freitagabend in der „Kammgarn“ in Schaffhausen. Eine Konzertkritik von Hermann-Luc Hardmeier.

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Bild: Müslüm sorgte für Stimmung in der Kammgarn. (Foto: Hermann-Luc Hardmeier, Bericht: Herman-Luc Hardmeier)

«Ich bin so scharf wie Wasabi!» Die Textzeile aus dem Lied «Ego» scheint etwas rollig, doch Müslüm-Kenner wissen, wie sie zu verstehen ist. Der Künstler polarisiert, provoziert und unterhält. In goldenem Smoking, mit schwarzem Hemd und goldener Fliege, dichtem, wuscheligem Haar, Mono-Augenbraue und pechschwarzem Bart spielt der Komiker Semih Yavsaner mit Müslüm eine charismatische Figur, die man weder übersehen noch ignorieren kann. Für manche ist er nur ein bunter, freakiger Musiker, doch eigentlich ist Müslüm ein politischer Botschafter. Die Inhalte seiner Lieder sind nicht nur witzig, sondern auch gesellschaftskritisch. In Schaffhausen zerpflückte er
schon nach dem zweiten Song lautstark die Globalisierung. Die Konsumgesellschaft
sei schlecht für uns, und vor allem für die Kinder. Mit schelmischem Augenzwinkern sprach er direkt zu einigen Teenagern, die ihn mit dem Handy filmten. «Früher sagte
man, legt eure Waffen nieder. Heute sage ich, legt eure iPhones nieder.»

Pop aus dem Orient 

Müslüm spielte fast alle seine Hits von den zwei Alben «Süpervitamin» und «Apochalüpt». Die Besucher waren begeistert. Sie sangen und tanzten. Die Kombination aus orientalischer und türkischer Traditionsmusik, gepaart
mit modernem Pop, begeisterte. Abgesehen davon, dass Müslüm ein guter
Sänger ist, hatte er auch eine hochkarätige Band im Rücken. Die bombastische
Stimme der Backgroundsängerin stach dabei immer wieder hervor. Der Star des Abends hatte sichtlich Spass auf der Bühne. Das zeigte sich nicht nur, indem er selbst immer wieder Tanzeinlagen aufs Parkett legte, sondern auch in seinen Animationen. «Ihr Schweizer und Schaffhauser, heute müsst ihr nicht neutral sein. Lasst es
einfach raus! Schwingt eure Hüfteli!», forderte er das Publikum in bekannter
Müslüm-Manier heraus. Ein häufiges Thema seiner Lieder sind Vorurteile gegen Migranten. Aber auch über eine Schlägerei zwischen einem Touristen und einem Bären im Bärengraben, Volksweisheiten, die missverständlich sind, oder über die Folgen
von übermässigem Alkoholkonsum wusste er zu berichten. So richtig in Form war Müslüm gegen Mitte seines Auftritts. Er holte einen Jungen auf die Bühne, der mit
ihm das Kinderlied «Det äne am Bergli» sang, und machte wenig später daraus
eine türkische Müslüm-Version. Auch die «W. Nuss vo Bümpliz» wurde mit
anatolischen Klangkleidern versehen, und schliesslich gipfelte das Ganze in
seinem Hit «La Bambele». Das Publikum durfte immer wieder den Refrain
singen, und Müslüm tanzte so euphorisch auf der Bühne mit, dass Elvis mit
seinem Hüftschwung hätte einpacken können. Zwischendurch strich Müslüm
Wasabi-Paste in die offenen Wunden der Globalisierung. Er scherzte über
Donald Trump, geisselte Schönheitsoperationen und Botoxspritzen und
meinte zu seinem Lieblingsthema Ausländer: «Früher haben die Gastarbeiter
den Gotthard gebaut, heute schiessen sie Tore für die Nationalmannschaft.»
Der Abend endete mit ausgiebigem Konsum der angeblich einzig legalen
Droge der Welt: des Süpervitamins.

Von Herman-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am Samstag, 3. Dezember 2016.

Ein Tritt in die Lachmuskeln und eine Massage für die Ohren

An der 3. Open Stage Show im „Orient“ in Schaffhausen zeigten am Donnerstagabend sechs Künstler ihre Talente. Von Hermann-Luc Hardmeier.

Was die Grossen können, können wir schon lange. Das deutsche Fernsehen hat Dieter Bohlen, das Schweizer TV-Publikum Chris von Rohr und Schaffhausen hat Loris Brütsch. Der Moderator und Erfinder er hiesigen Talentshow namens Open Stage führt gekonnt durch den Abend und hatte mit der dritten Ausgabe des Formats eine gutgelaunte Gästeschar ins Orient gelockt. Eröffnet wurde der Abend von Comedian Sven Ivanic, der über seinen balkanischen Wurzeln Scherz um Scherz aufs Parkett legte. So erfuhren die Zuhörer beispielsweise, dass der studierte Jurist wegen seinem Nachnamen im Gerichtssaal oft für den Angeklagten gehalten werde und dass ihm bereits im zarten Alter von acht Jahren ein Oberlippenbart gewachsen sei. Es folgte auf den Züricher die hiesige Sängerin Lou Kehl. „Ich habe meine traurigsten Songs zu Hause gelassen und singe heute Abend nur melancholisch anstatt komplett depressiv“, witzelte sie. Doch glücklicherweise mussten die Besucher kein Taschentuch zücken, um sich auszuweinen. Lou Kehl belehrte die Besucher, dass auch schwere Themen mit Emotionen und Achterbahnfahrten im Liebesleben positiv und ansprechend zu überzeugen vermögen. Nachfolgend begeisterte der Moderator gleich selber, indem er in die Rolle des Zauberers „Lorios“ schlüpfte. Mit Kartentricks und Houdini-Handschellen beeindruckte er die Gäste. Nach der Pause trat das Ein-Mann-Orchester Airolo Retour auf. Etwas hemdsärmelig aber durchaus unterhaltsam Schüttelte er eine lustige Alltagsbeobachtung nach der anderen aus dem Ärmel. Dyson-Handtrocker auf WCs, Katzen, die sich vegan ernähren und Stand-Up-Paddler bekamen dabei ihr Fett weg. Alles unterlegt mit Gitarre und Gesang.

Auftritt des „Disco-Moses“

Kräftige Tritte in die Lachmuskeln kamen vom nächsten Künstler. Rollstuhlfahrer Eddie Ramirez hatte viel Selbstironie im Gepäck. Er schilderte das Ausgangsleben aus seiner Sicht. Er verriet dabei, wie er sich schelmisch darüber freut, dass er genüsslich jemandem über dem Fuss fahren könne, und dieser sich dann auch noch bei ihm entschuldige. Wenn er zur Bar wolle, teile sich die Menge so schnell vor ihm, dass ihn seine Kollegen teilweise sogar als „Disco-Moses“ bezeichnen. Den Abschluss machte der Thurgauer Komiker Florian Kern. Er sorgte mit einer Cover-Version einer dadaistischen Weihnachtsgeschichte des Künstlers Patrick Frey für einen bombastischen Schlussapplaus. Wie immer wurden die Auftritt von der Jury mit Musikexperte Marco Clerc, dem Chefredaktor von Schaffhausen.net und Unternehmer Beat Hochheuser sowie dem Gastronomen Bruno Meier kommentiert. Die Experten waren sich einig: Alle Künstler waren grossartig. Es gab viel Lob, wenig Kritik und neben guten Songs ein ausführliches Lachmuskeltraining. Alles in allem ein sehr gelungener Abend.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 4. Dezember 2012.