Am Montag begann für rund 5000 Rekruten der Schweizer Armee wegen der Corona-Schutzmassnahmen die Rekrutenschule (RS) im Homeoffice. Der Schaffhauser Tim Gaus erzählt, wie er den Start erlebt hat. Von Hermann-Luc Hardmeier.
«Komm wann du willst, ich habe ja viel Zeit», lacht Tim Gaus, als man mit ihm einen Interviewtermin vereinbaren möchte.» Der 20-Jährige startete am Montag mit der RS im Homeoffice. Doch wie muss man sich diese spezielle Form des Militärdienstes eigentlich vorstellen? Pyjama statt Kampfanzug, stundenlanges Salutieren vor dem Spiegel und Schiessübungen auf die Gartenzwerge des Nachbarn? Viele Klischees und kreative Ideen schwirren durch den Kopf. Doch die Realität sieht ganz anders aus. Tim Gaus öffnet die Tür seiner Wohnung auf dem Emmersberg in Zivilkleidern. Er zeigt sein Schlafzimmer, in welchem sein PC steht, vor dem er in der dreiwöchigen Homeoffice-RS viel Zeit verbringen sollte. Das Programm der Armee sieht vor, dass man sechs Stunden pro Tag am PC lernt, Sport macht und beim Einrücken einen Leistungstest absolvieren muss. «Das Schöne ist, dass ich mir die Zeit selber einteilen kann», erklärt er. «Ich stelle am Morgen keinen Wecker, schlafe aus und mache dann mit der App das vorgesehene Militär-Workout oder gehe joggen.» Danach setzt er sich an den PC und arbeitet sich durch die Aufgaben des Militärprogramms durch. Zumindest war dies der Plan. Doch pünktlich zum RS-Start hatte die Armee enorme Computerprobleme. «Am Montag konnte ich mich vier Stunden gar nicht einloggen, erst am Abend klappte es. Wenn ich eine Aufgabe lösen will, warte ich teilweise 20 Minuten, bis ich weiterklicken kann.» Tim Gaus ärgert sich ein wenig: «Laut Ueli Maurer haben wir die beste Armee der Welt. Dann sollte man doch auch so modern sein, dass man ein Online-Learning-Programm zum Laufen bringt.»
Sorgen wegen Leistungstest
Tim Gaus ist gelernter Landwirt. Er ist bei den Genietruppen als Bauführer eingeteilt und freut sich auf seine Aufgabe. «Ich bin nicht ein riesiger Armee-Fan, aber ich möchte diese Herausforderung bewältigen. Ich habe immer gehört, dass man im Militär zum Mann wird. Das hat mich neugierig gemacht.» Er erfuhr erst eine Woche vor RS-Start, dass er diese im Homeoffice machen müssen. «Das hat mir schon Sorgen bereitet, vor allem der Leistungstest.» Er sagt von sich selbst, dass er ein Praktiker sei. Er lerne lieber vor Ort und nicht stundenlang am PC. «Eigentlich wäre ich lieber in der Kaserne als im Homeoffice», gibt er unumwunden zu. Tim Gaus hält sich an das RS-Sportprogramm. «Ich habe mir vorgenommen, das seriös durchzuziehen.»
Games und Netflix als Ablenkung
Doch ist bei der Arbeit am PC die Verlockung nicht riesig, dauernd auf Netflix zu gehen? «Eigentlich hätten wir mit den Onlinemodulen der Armee ja viel zu tun», sagt Tim Gaus. «Aber wenn natürlich nichts geht und ich ewig warten muss, game ich auch zwischendurch oder schaue einen Film.» Und er gibt zu: «Einige meiner Kollegen machen das schon ziemlich exzessiv. Zuhause ist es halt mit der Selbstdisziplin schwierig.» Tim Gaus macht sich etwas Sorgen, dass er den Leistungstest nicht besteht. Die Konsequenz wäre, dass man übers Wochenende in der Kaserne bleiben muss und nachbüffeln soll. «Meine Kumpels sagen, sie lernen nichts, weil man aus Corona-Schutzgründen ja wahrscheinlich sowieso übers Wochenende nicht nach Hause dürfe. Aber ich sehe das anders.» Er hofft, dass die Armee die Prüfung angesichts der technischen Probleme vereinfache. Vorerst geniesst er aber die angenehmen Seiten der Homeoffice-RS. Er ist ausgeschlafen und geht nachher joggen. Der PC ist bereits eingeschaltet. Das Einloggen ging den ganzen Tag noch nicht. Nach dem Workout wird er es erneut versuchen.
Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 22. Januar 2021. Von Hermann-Luc Hardmeier.