Magischer Abend mit der Power-Frau aus St.Gallen

Sängerin Joya Marleen entführte die Kammgarn-Gäste am Freitagabend auf eine emotionale Reise. Ein Konzertbericht von Hermann-Luc Hardmeier.

Bildlegende: Joya Marleen genoss den intimen Moment inmitten des Publikums. (Foto: Jeannette Vogel, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier)

Am Freitagabend heizte Zoë Më als Vorband das Publikum in der ausverkauften Kammgarn ein. Sie sang auf Deutsch und Französisch und bewegte sich irgendwo zwischen Soul und Indierock mit einer Prise Pop. Der bilinguale Cocktail der Freiburgerin kam sehr gut an und stimmte die Gäste gefühlvoll auf den Hauptact Joya Marleen ein. Nach einer kurzen Pause trat die St.Gallerin sodann zuerst nur mit Gitarre, ab dem zweiten Lied dann aber mit voller Wucht vor die Gäste. Die Popmusikerin gastierte bereits zum dritten Mal an der Baumgartenstrasse. 2019 noch als Support der Band Carroussel, im Sommer des gleichen Jahres sodann auch am Hoffest der Kammgarn. Danach startete sie richtig durch und holte sich 2022 gleich drei Preise an den Swiss Music Awards. In den Medien wurde sie als «Die Entdeckung des Jahres» oder auch als «Abräumerin» bezeichnet, nachdem sie in den Kategorien «Best Female» und «SRF 3 Best Talent» sowie für ihren Song «Nightmare» auch den «Best Hit» in der Königsdisziplin abstaubte. Am Freitagabend war aber von Starallüren keine Spur zu sehen. Völlig locker und gutgelaunt sprang und tanzte sie auf der Bühne und liess ihre Haare dabei wild wehen. Das Publikum wippte vergnügt mit, im vorderen Drittel wurde getanzt und immer wieder im ganzen Saal der Takt mitgeklatscht.

Gelungene Überraschung

Joya Marleen nahm die Besucher mit auf eine emotionale Reise. Bei ruhigen Momenten konnte man jeden Atemzug der Gäste spüren, in energischen Passagen riss sie die Besucherinnen und Besucher packend mit. Dieses Wechselspiel zwischen Intimität und Dynamik definierte die Magie des Abends, welche Joya Marleen erzeugte. «Holly Shit, ich freue mich mega, mega fest, hier zu sein!», sagte die Musikerin begeistert. Die Überraschung des Abends war sicherlich, als Joya Marleen plötzlich mitten in der Kammgarn beim Lichtpult stand und von dort aus ganz alleine mit ihrer Akustikgitarre gefühlvoll spielte. Sie bat die Gäste mitzusingen und schritt zum Schluss unter lautstarker Hilfe von hunderten von summenden Stimmen zurück auf die Bühne. Der besinnliche Moment hatte eine starke Wirkung. Bei einer anderen Sängerin hätte das vielleicht etwas kitschig gewirkt, bei der Frohnatur aus St. Gallen jedoch passte der stylische «Walk» wie die Faust aufs Auge. Von der Sendung «Sing meinen Song» hatte sie Baschis «Wenn du das Lied ghörsch» mitgebracht und sie liess es sich nicht nehmen, bei der Zugabe ein Stück spontan auf der Bühne zu improvisieren. Zum Schluss hatte sie ihren Riesenhit «Nightmare» dabei, welcher von allen Kehlen begeistert mitgesungen wurde. Der Abend war aber trotz des letzten Songs alles andere als ein Albtraum, sondern ein Ereignis, das noch lange in den Herzen der Zuschauer nachklingen wird.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am Montag, 13. November 2023.

Wenn das Wohnzimmer zum verbalen Boxring wird

Im Theaterstück «Gott des Gemetzels» eskalierte ein Streit unter vermeintlich vernünftigen Erwachsenen. Eine Theaterkritik von Hermann-Luc Hardmeier.

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Eskalation: Gastgeberin Veronique stieg auf das Sofa, als Anwalt Alain sie bis zur Weissglut reizte. (Foto: Selwin Hoffmann. Bericht: Hermann-Luc Hardmeier)

Die Haupthandlung des Stücks «Gott des Gemetzels» wäre eigentlich schnell erzählt. In der Schule gab es Streit zwischen zwei Kindern. Zwei Elfjährige haben sich geprügelt, dabei schlug der eine dem anderen mit einer Stange zwei Zähne aus. Die beiden Elternpaare treffen sich zu einem klärenden Gespräch. Doch diese Unterhaltung eskalierte ziemlich schnell. Das Stück von Yasmina Reza wurde 2006 uraufgeführt und ist spätestens seit der Kino-Adaption aus dem Jahr 2011 von Roman Polanski weltbekannt. Am Dienstagabend wurde nun die Inszenierung von Tobias Maehler im Stadttheater Schaffhausen aufgeführt. «Der Kunstgriff bei dieser Aufführung ist, dass die Kinder selbst nicht da sind und die Eltern sich immer mehr ihr eigenes Loch schaufeln», sagte Jens Lampert vom Stadttheater Schaffhausen im «Talk im Theater» kurz vor der Aufführung. Zunächst geht im Wohnzimmer der Opfer-Familie alles sehr gesittet zu. Bei Gebäck und Kaffee versuchen die Eltern, sich zu einigen. Auf beiden Seiten herrscht viel Verständnis. Selbstverständlich werde die Versicherung für die Schäden an den Zähnen aufkommen und man fragt, ob es möglich sei, dass der Täter sich beim Opfer entschuldigen könnte. Die zwei Familien tauschen oberflächliche Nettigkeiten aus und scheinen gewillt, das Thema unbürokratisch lösen zu wollen. Während des Gesprächs wird jedoch klar, dass auch die Erwachsenen keine lumpenreine Weste haben. Michel, der Vater des Opfers, hat offenbar den Hamster der Tochter ermordet. Mutter Veronique hat ein Alkoholproblem und bei der Täterfamilie wird Vater Alain nonstop von Handyanrufen unterbrochen. Als Anwalt einer Pharmafirma versucht er, einen Medikamentenskandal zu vertuschen. Als die Mutter von Michel anruft und offenbar Opfer genau dieses Medikamentes geworden ist, eskaliert der Konflikt. Annette, die Mutter des Täters, beschuldigt Michel als Hamster-Mörder und übergibt sich über das Lieblingsbuch von Veronique. Weil Alain seine Handysucht nicht bändigen kann, versenkt sie sein Smartphone kurzerhand in der Blumenvase. Beide Paare beginnen sich gegenseitig und untereinander zu zerstreiten. Das Publikum kugelte sich dabei vor Lachen, weil das schwere Thema in eine so amüsante Komödie verpackt war. Im Visier war vor allem das Selbstbild der Figuren. Gegen aussen sahen sie sich als gebildet und kultiviert, letztendlich waren sie aber infantile und brutale Wesen. Zum Schluss schrien sie sich an, tranken hemmungslos Alkohol, prügelten sich, zerrissen das Blumengesteck leidenschaftlich und beschimpften sich mit wüsten Worten. Eigentlich hält das Stück der Gesellschaft den Spiegel vor Augen: Sind die Erwachsenen wirklich fähig, Konflikte kultiviert zu lösen? Das Wohnzimmer wurde zum verbalen Boxring, der Yasmina Rezas Gesellschaftskritik herrlich humorvoll aufzeigte.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 2. November 2023.