Schaffhausen: Der 2. Weltkrieg aus wirtschaftlicher Sicht

Von Hermann-Luc Hardmeier: Der Historiker Dr. Matthias Wipf sprach vor der Jungen Wirtschaftskammer über die Auswirkungen des 2. Weltkrieges auf die Schaffhauser Wirtschaft. Unter den Gästen waren die Mitglieder der Jungen Wirtschaftskammer und für die Zeitung Schaffhauser Nachrichten Hermann-Luc Hardmeier. Der Anlass fand im Sitzungssaal des Hotels Hohberg statt.

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Matthias Wipf und der Präsident der jungen Wirtschaftskammer. Foto: Hermann-Luc Hardmeier, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier)

Die Schweizer Armee dachte während des 2. Weltkrieges kaum daran, den „verlorenen Zipfel“ Schaffhausen lange gegen Nazideutschland zu verteidigen. Dr. Matthias Wipf erklärte den Anwesenden im Hohberghaus die wichtigsten Hintergründe jener Zeit und die Gefühlslage in der Munotstadt. Er hat über dieses Thema mehrfach publiziert und für seine Bücher rund 150 Zeitzeugen interviewt.
Wipf zeigte auf, dass die Armeeführung aus strategischen Gründen kaum gewillt gewesen wäre, Schaffhausen lange gegen einen deutschen Angriff zu verteidigen. Vielmehr brachte man Sprengladungen an wichtigen Brücken und Tunnels an. Die Strategie von General Henri Guisan sah vor, sich in den Alpen, im so genannten Reduit, zu verteidigen und danach die verlorenen Landesteile zurückzuerobern. Verständlicherweise verängstigte diese Perspektive die Schaffhauser Bevölkerung. „Im Mai 1940 empfanden es die Schaffhauser subjektiv am schlimmsten. Man rechnete damals mit einem unmittelbar bevorstehenden Angriff der Deutschen“, gab Wipf Einblick in seine Forschungen. Aus heutiger Sicht ist allerdings klar, dass Hitler damals auf Frankreich fokussiert war und an der Schweizer Grenze lediglich einige Ablenkungsmanöver startete.

Boeing B-17F

Bild: Allierte Flieger beim Bombenabwurf. Foto: Wikipedia, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier.

Doch die Menschen der damaligen Zeit konnten dies natürlich nicht wissen. In der Nacht vom 14. auf den 15. Mai 1940 flüchteten rund 2‘000 Schaffhauser in die Innerschweiz, in die Romandie oder ins Berner Oberland. Schon zuvor liefen die Vorbereitungen auf Hochtouren: die Kantonalbank evakuierte mit Möbelwagen gleich sackweise einen grossen Teil ihres Vermögens in gemietete Tresore der Zuger Kantonalbank. Die SBB führte die wichtigsten Zuglinien doppelt und dreifach. In der ganzen Stadt waren keine Koffer, Rucksäcke, geschweige denn Taxis zu finden. Mit Autos, Velos und sogar Handwagen kehrte man der bedrohlichen Grenzlage den Rücken zu.
Abgesehen von der Freiheit, hatte man auch Wohlstand zu verlieren. Der Wirtschaft ging es verhältnismässig gut. Firmen wie die IVF, SIG und GF verdienten am Krieg im In- und Ausland. „Die moralische Frage stellte man sich lange nicht vordinglich“, so Matthias Wipf, „sondern man wollte die Produktion möglichst aufrechterhalten. Insofern interpretierte man die Neutralität mehr so, dass man alle Kriegsparteien gleich stark belieferte.“
Der Schaffhauser Historiker wies auf viele spannende Details hin. So erklärte er etwa, dass einheimische Firmen wichtige Maschinen mit Farben markiert hatten, so dass sie bei einem feindlichen Angriff sofort zerstört werden konnten.
Nach den wirtschaftlichen Aspekten wurde natürlich auch die Bombardierung am 1. April 1944 thematisiert. Der Vortrag nahm nun Züge einer Diskussion an: Die Mitglieder der jungen Wirtschaftskammer diskutierten aufgeregt, ob das Bombardement der US-Piloten ein Irrtum oder Absicht war. Matthias Wipf verwies auf die Quellen, welche er gelesen hat: „Aus Sicht der britischen und amerikanischen Berichte ist ganz klar, dass man sich verflogen hatte. Das Ziel war Ludwigshafen und die dortigen Anlagen der IG Farben. Die Amerikaner schämten sich sogar sehr für das Versehen und leisteten eine Kompensationszahlung von 40 Millionen Dollar.“ Schnell wurde klar: der 2. Weltkrieg bewegt nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht, sondern auch wegen all seinen grausigen und interessanten Hintergründen nach wie vor stark die Gemüter. Und so war dieser Vortrag ein würdiger Abschluss des Jubiläumsjahres der Jungen Wirtschaftskammer.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung Schaffhauser Nachrichten.