Buchtipp: „Der Sohn“ von John Nesbø

Von Hermann-Luc Hardmeier: Im neuen Krimi des Autors John Nesbø lässt ein ausgebrochener Gefangener seinem Drang nach Vergeltung freien Lauf. Eine Buchkritik von Hermann-Luc Hardmeier.

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„Rache ist ein Gericht, das am besten kalt serviert wird.“ So lautet ein Zitat, das den Film „Kill Bill vol. 1“ des Kultautors Quentin Tarantino einläutet. Ähnlich wie der blonde Rache-Engel von Hollywood wirkt auch der Antiheld Sonny Lofthus in John Nesbøs Kriminalroman. Zunächst sitzt er im Gefängnis und führt ein illustres Leben. Er bekennt sich zu Straftaten von anderen und kassiert dafür neben Geld auf Drogen. Er fühlt sich wohl, denn seit sein Vater Suizid begann, ist ihm alles egal. Das Familienoberhaupt war Polizist, einer von der unbestechlichen Sorte. Völlig überraschend brachte er sich um und verriet in seinem Abschiedsbrief, dass er bei einem stadtbekannten Kriminellen auf der Lohnliste stand. Das Leben von Sonny Lofthus tuckert jahrelang an ihm vorbei. Doch es ändert sich abrupt, als ein Mitgefangener ihm die wahre Geschichte des Vaters erzählt. Er wurde reingelegt, kaltblütig ermordet und zum Verfassen des Abschiedsbriefes gezwungen. Nun reissen beim Sohn alle Dämme. Der hochintelligente Sonny bricht aus und begibt sich auf einen Rachefeldzug. Er macht dabei weder halt vor unschuldig erscheinenden Hausfrauen, Auftragsmördern und sogar den Vize-Gefängnisdirektor nimmt er ins Visier. Die Spannung wird dem Leser gleich Lastwagenweise zugeführt. Nicht zuletzt auch dadurch, dass John Nesbø mit häufigen Perspektivenwechseln arbeitet. Den Kampf mit dem Auftragsmörder sieht man beispielsweise durch die Augen des jungen Nachbarkindes. Die Geschichte von Sonny Lofthus wird abwechselnd vom Erzähler und einer Dame berichtet, die sich in ihn verliebt hat. Und die polizeiliche Jagd auf den Ausbrecher sieht man durch die Augen des Polizisten Simon Kefas. Dieser entpuppt sich bald als raubeiniger Sheriff, der es mit dem Gesetz nicht immer sehr genau nimmt. Er jagt Sonny, und dieser jagt den Maulwurf, welcher seinen Vater einem Verbrecher namens „Der Zwilling“ ausgeliefert hatte. Dieser Maulwurf soll immer noch bei der Polizei aktiv sein. Es kommt zum Showdown in einer Kirche. Dabei fliegen in einem Beichtstuhl nicht nur Gebete Richtung Himmel, sondern auch Bleikugeln aus dem Laufe einer Utzi durch die Luft. Ein grossartiges Finale erwartet den Leser, als John Nesbø enthüllt, wer der Maulwurf gewesen ist. Der Roman überzeugt in vielen Bereichen und ist trotz seiner 522 Seiten nicht langatmig geworden. Mit welcher Leichtigkeit Sonny Lofthus zuerst aus dem Gefängnis ausbricht, und danach wieder einbricht, um den Vize-Gefängnisdirektor in seinem eigenen Büro zu einem Geständnis foltert, das mag dann schon etwas übertrieben und unrealistisch sein. Auch die Tatsache, dass bei der norwegischen Polizei nahezu jeder Polizist korrupt sein soll, ist vielleicht etwas überzeichnet. Doch bei einem Kriminalroman soll es sich ja auch nicht um ein 1:1 Abbild der Realität handeln. Gerade diese Ãœbertreibungen bringen Spannung, Tempo und vielleicht auch etwas Humor mit ins Spiel. Wer Krimis mag, Action liebt und bei ein paar Bluttropfen nicht gleich Kopfweh bekommt, der ist beim Roman „Der Sohn“ genau an der richtigen Adresse.

Von Hermann-Luc Hardmeier