Raketen und Rock’n’Roll zum Abschluss

An der Dernière der «Summer Music Nights» in Schaffhausen rockten die Bands den Cuba-Club nochmals kräftig. Ein Konzertbericht von Hermann-Luc Hardmeier.

Bildlegende: Luciano Di Fabrizio und Ronny Bien im Cuba-Club. (Foto: Roberta Fele, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier)

«Es war einfach super», bilanziert Ronny Bien von der Bandunion den Verlauf der «Summer Music Nights». Zusammen mit Luciano di Fabrizio hat er im Salzstadel die diesjährige Veranstaltungsreihe auf die Beine gestellt. An 18 Abenden gab es 36 Konzerte zu sehen und zu geniessen. «Wir haben aus der Not eine Tugend gemacht», erklärt Ronny Bien. Da wegen den Umbauarbeiten beim Stadtgeviert der jährliche Konzertmarathon namens «Streetmusic Nights» an der Safrangasse nicht stattfinden konnten, wich man an den Salzstadel aus und taufte die Veranstaltung «Summer Music Nights». Das Gässli-Fest mit dem Charme von einem kleinen Locarno zog auf die Ferieninsel Salzstadel am Rhein um. «Wir mussten innovativ sein, sind aber mit der Lösung sehr glücklich», so Ronny Bien. «Die Kombination von Musik, Rheinblick und Verpflegung kam sehr gut an. Einige Stammkunden buchten im Voraus einen Tisch gleich für alle 18 Abende.» Die Bands konnten sich über ein Wetterglück und über grosses Zuschauerinteresse freuen. Nur zweimal mussten die «Summer Music Nights» wegen Regen in den Cuba-Club umziehen. «Schade, dass es gerade am Dernière-Abend sein muss, aber wir beklagen uns nicht», so Ronny Bien. Während im Cuba-Club am Donnerstag die Shadoogies mit Rock’n’Roll die Zuschauer einheizten, blickte der Veranstalter auf die Highlights und Erlebnisse zurück. «Einmal hatten wir 350 Besucher, das war schon heftig. Die Band «DenManTau» hat uns alle total überrascht, und genau am Hardrockabend regnete es so heftig, dass wir das Konzert nicht ganz fertig spielen konnten.» Nicht zuletzt war er auch mit seinem eigenen Auftritt als Mr. Mojo zufrieden. Sein Blues-Rock setzte die Tanzfläche damals in Brand. Keinen unwesentlichen Anteil hatte dabei das Team der Frisbee-Weltmeisterschaft, die zufällig am Salzstadel waren und mächtig gute Stimmung verbreiteten. «Die Konzertreihe war nicht nur super für die Gäste, sondern auch für die Gastgeber», freute sich Luciano Di Fabrizio. «Ich geniesse es, neue Bands und neue Musik kennenzulernen. Die wenigsten Besucher gehen gezielt wegen einer Formation, sondern eher wegen dem Ambiente und dem Gesamtpaket.» Neben der Musik gab es nämlich auch leckeres Essen an den Foodständen und ganz gratis einen nahezu perfekten Sonnenuntergang über der Eisenbahnbrücke zu bestaunen. Keine Frage, die «Summer Music Nights» haben das Schaffhauser Kulturleben bereichert und einen deftigen Farbtupfer in die Stadt gebracht. Das genossen die Gäste nochmals ausgiebig am Donnerstagabend im Cuba-Club, wo die Rockets als zweite Band mit irischen Partyklängen bis tief in die Nacht die sechste Ausgabe der Konzertreihe ausklingen liessen. «Und eines ist klar», sagte Luciano Di Fabrizo zum Schluss: «Die Streetmusic Nights» kommen nächstes Jahr wieder.»

Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am Samstag, 1. Oktober 2022. Von Hermann-Luc Hardmeier.

Der Balkan-Schnellzug ohne Bremsen

Die bekannte Balkanband „Dubioza Kolektiv“ spielt am Freitag in der Kammgarn. Für sie ist Musik mehr als nur Dekoration. Eine Konzertvorschau von Hermann-Luc Hardmeier.

Bildlegende: „Dubioza Kolektiv“ macht Texte, in denen sowohl Politik als auch Humor eine wichtige Rolle spielen. (Foto: zvg, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier)

„Am Freitag könnt ihr Tanzstimmung, Schweiss, Rakija, laute Trompeten, schwere Gitarren, verdrehte Trompeten und ganz viel Energie erleben.“ Brano Jakubovic von der Band „Dubioza Kolektiv“ verspricht vollmundig, dass die Party des Jahres bevorsteht. Doch wer ist die Combo, die jeweils mit acht Musikern die Bühnen Europas rockt? Das Licht der Welt erblickte das Kollektiv im Jahr 2003 in Bosnien-Herzegowina. Ihr musikalischer Cocktail beinhaltet eine deftige Portion Balkan-Partysound, aber auch einen Schuss Ska, eine Prise Punk, ein Löffelchen Reggae und einen Spritzer Hiphop. Abgerundet wird das Getränk mit einem Strohhalm und Schirmchen, welche in elektronischer Musik gebadet wurden. In eine musikalische Schublade möchte die acht Künstler auf keinen Fall gesteckt werden. Das wäre laut ihrer Aussage nicht nur eine Einschränkung des kreativen Potentials, sondern auch ziemlich langweilig.

Interessant ist auch der Bandname, der sich aus dem serbokratischen Slangwort „dubioza“ und der Musikrichtung „Dub“ zusammensetzt. Es heisst soviel wie seltsam, aber auf eine mysteriöse Art auch interessant. Egal, wo die Combo auftaucht, bricht kollektive Euphorie aus. Warum das so ist, kann sich die Band auch selbst nicht so richtig erklären. „Wir haben keine Musiktheorie studiert und sind keine Berufsmusiker. Wir sind eine Mischung aus Punks und Gastarbeiter. Wir haben keine Ahnung, warum man uns so feiert. Aber wir arbeiten wirklich hart dafür“, erklärt Brano Jakubovic.

Songs sollen politisch sein

Wenn man die Texte der Band anhört, dann zeigt sich sofort der Tiefgang. Sie wollen nicht nur berieseln und unterhalten. Sie äussern sich beispielsweise lautstark und kritisch gegen Nationalismus auf dem Balkan. Für sie ist es unverständlich, dass man nicht endlich zu Nachbarn, Brüdern und Schwestern zusammenwächst und die Vergangenheit hinter sich lässt. Jeder Song der Band hat eine ganz spezifische Botschaft. „Neuste medizinische Untersuchungen haben ergeben, dass der Mensch gleichzeitig tanzen und sein Gehirn benutzen kann“, scherzt Brano Jakubovic. „Wenn Musik nur Dekoration ist, dann ist es eine langweilige Zeitverschwendung.“ Ergänzen möchte er zudem, dass politisches Engagement nicht immer ernst sein muss. Humor spielt sowohl in den Texten also auch an den Shows von „Dubioza Kolektiv“ eine wichtige Rolle. Deshalb kommt es auch immer wieder vor, dass es während den Auftritten kleine Pausen gibt, in welchen die Musiker eine amüsante Geschichte erzählen oder sich in kurzen Stand-Up-Comedy-Nummern versuchen. Die Spontanität hat jedoch auch ihre Tücken. Einmal brach Brano Jakubovic mitten auf der Bühne am „Arsenal Festival“ in Serbien in Tränen aus. „Es war die erste Show nach eineinhalb Jahren Corona-Zwangspause. Ich habe den Zuschauern erzählt, wie wichtig Livemusik sei und dass ich glaube, das Internet könne niemals Live-Events ersetzen. Da hat es mich mit voller Wucht gepackt. Vor 10 000 Leuten. Es war extrem befreiend.“

FC Schaffhausen-Shirts?

Auf den Werbeplakaten tragen „Dubioza Kolektiv“ Fussballshirts in den Farben des FC Schaffhausens. Kann es sein, dass man in Bosnien-Herzegowina unseren Club verehrt? Brano Jakubovic muss lachen. „Nein, nein. Die Farben sind Zufall. Gelb und Schwarz sind einfach gute Kontrastfarben, die uns auf der Bühne sichtbar machen.“ In Deutschland habe man sie bereits gefragt, ob sie wegen der Farbkombination Dortmund-Fans seien. Auch dies konnte er guten Gewissens verneinen. Den Mannschaftsgedanken tragen sie aber dennoch im Herzen. Auf der Tour gebe es kaum Streit und man löse Differenzen stets sachlich und effizient. „Voraussetzung dafür ist, dass wir jedem Bandmitglied einen Teilbereich zugewiesen haben, wo er der Chef und Alleinherrscher ist“, so Brano Jakubovic. „Somit haben wir klare Zuständigkeiten und müssen nicht abstimmen.“ Und dann sagt der Musiker einen Satz, der auch aus seinen Songs stammen könnte: „Democracy can be a bitch sometimes.“

Vollgas am Freitag

Der Balkan-Schnellzug wird am Freitag ohne Bremse auskommen müssen. Die Band verspricht, alles zu geben. Zum Tanzinferno wird sicherlich auch die Vorband „Palko Muski“ aus Schaffhausen sorgen. „Wir erwarten Partystimmung, laut Musik und Besucher, die ausflippen“, so Brano Jakubovic. „Wir sind erst zufrieden, wenn wir unseren österreichischen Freund und Terminator zitieren dürfen: „Ich komme wieder!“ Die Band wird zwar keine Kugeln wie Arnold Schwarzenegger benutzen, aber ihre Texte, ihre Musik und ihre Show werden dennoch treffsicher die Kammgarn in Brand setzen.

Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 19. September 2022.

Latino-Astronaut mit deftigem Hüftschwung

Der Sänger Loco Escrito brachte am Samstagabend das ausverkaufte „Stars in Town“ auf dem Herrenacker mit seinem Mix aus Reggaeton und Latino-Pop zum Tanzen. Ein Konzertbericht von Hermann-Luc Hardmeier.

Bildlegende: Er rockt, er animiert und feiert auf der Bühne: Loco Escrito. (Bericht: Hermann-Luc Hardmeier, Bild: Melanie Duchene)

„Er bringt den Sommer nach Schaffhausen“, freute sich Nora Fuchs, Pressesprecherin von Stars in Town. Cool und lässig mit Sonnenbrille, transparentem Flanellhemd und weissen Hosen betrat Loco Escrito die Bühne. 6500 Besucher auf dem ausverkauften Herrenacker wollten den Latino-Sänger mit kolumbianischen Wurzeln sehen. Mit seinen Songs wie „Adios“, „Sin Ti“ oder „Arriba“ öffnete er schnell die Herzen der Zuhörer. Nicolas Herzig, wie Loco Escrito mit bürgerlichem Namen heisst, hat kolumbianische Wurzeln. Spätestens seit 2020 sollte man seinen Mix aus Reggaeton und Latino-Pop kennen, da er in jenem Jahr mit seinem dritten Album „Estoy bien“ die Nummer eins der Schweizer Albumcharts erobert hatte. Am Stars in Town wurde zu seiner Musik getanzt und mitgesungen. Der Protagonist machte es auf der Bühne vor und legte einen Hüftschwung an den Tag, der Shakira vor Neid erblassen liesse. „Spanisch wird die fünfte Landesprache“, forderte der Sänger und ein begeistertes Echo schallte ihm entgegen. Loco Escrito war sichtlich glücklich mit der guten Stimmung im Publikum und sagte: „Schaffhausen, geht ab bis zum Mond rauf.“ Der Latino-Astronaut steuerte bei dieser rasanten Fahrt ins All das Raumschiff gleich persönlich. Mit an Bord war seine sechsköpfige Band. Auch sie waren bei der musikalischen Reise durch die Galaxie ganz in weiss gekleidet. Loco Escrito hatte sein Set so aufgebaut, dass er eher ruhig startete und danach kräftig aufdrehte. Ein erstes Ausrufezeichen setzte er mit dem Song „Mamacita“. Der Zuruf, den man in Südamerika an eine hübsche Frau richtet, war kollektiv im Refrain zu hören. Die Hände schnellten in die Luft und der Herrenacker hatte sich in einen Partyacker mit euphorischer Tanzstimmung verwandelt. „Bis jetzt habe ich euch verziehen, wenn ihr eure Energie gespart habt. Aber nun müsst ihr wirklich Vollgas geben“, rief der Sänger in die Menge und stimmte seinen Song „Contigo“ an. „Er rockt, er animiert, er feiert“, sagte Besucher Simon Thoma. „Er macht das extrem gut.“ Gleich vor der Bühne stand Alya Limacher, die ebenfalls begeistert war: „Es erinnert mich an mein Austauschsemester in Chile. Das Feuer der südamerikanischen Musik bringt er perfekt rüber.“ Songs wie „Punto“, „Tu mirada“ und „El Ayer“ folgten. Das Finale setzte Loco Escrito mit dem Lied „Amame“. Der Künstler hatte damit die Besucher wundervoll auf die kommenden Bands des Abends eingestimmt und mit seinem musikalischen Flammenwerfer das Eis zum Schmelzen gebracht.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 8. August 2022.

Ein sehr leckerer Reggae-Cupcake

An der „Down by the River” feierten die Besucher einen Sommertag mit schwimmen, tanzen und einem Reggaekonzert am Samstag in der „Rhybadi“ Schaffhausen. Von Hermann-Luc Hardmeier.

Bildlegende: Die Rhybadi bot am Samstagabend ein schönes Ambiente für ein sommerliches Reggaekonzert. (Bericht: Hermann-Luc Hardmeier, Foto: Mike Kessler)

«Richtig erfrischend!», freute sich ein Gast, der soeben aus dem Wasser in der Rhybadi kletterte. Während am Samstagnachmittag die Sonne brannte und die Leute badeten, feuerte das Realrock-Soundsystem die ersten gemütlichen Reggaehits aus den Boxen. Die Veranstaltung «Down by the River» sorgte nicht für eine Revolution im beliebten Rheinbad, sondern transportierte die Besucher auf sanften Klangwolken Richtung Jamaika. «Die Rhybadi eignet sich super für eine solche Veranstaltung», sagte Claudio Burri vom Realrock-Soundsystem. Er erklärte, dass der Tag eigentlich aus drei Teilen bestehe. Das gemütliche Geniessen am Nachmittag, welches viele Familien anlocke, das Konzert für die Kulturfreunde und als dritten Teil die Afterparty mit DJs und Barbetrieb für die Tanzfreudigen. Die Veranstaltung findet nun zum 5. Mal statt und begeisterte die Besucher bereits mit den Bands Skarra Mucci (JAM), Basement Roots (CH), Jr. Tshaka (CH) und Samora (NED). «Für mich ein Highlight: Samora, die letztes Jahr bei uns in der Rhybadi gespielt hat und dieses Jahr auf den grossen Bühnen der Festivals, z.B. Afro-Pfingsten sowie Lakesplash auftritt», schwärmte Claudio Burri. Auch Stefano Domeniconi vom Rhybadi-Team ist zufrieden: «Down by the River zieht viele Besucher an, ohne dass wir dafür gross Werbung machen müssen. Viele Leute kommen schon Wochen zuvor und sagen, dass sie sich sehr darauf freuen. Die familiäre Stimmung und die good Vibes in der Luft sorgen jeweils für einen grossartigen Tag.»

Vom Snowboard auf die Bühne

Während sich um 21 Uhr die Band für ihren Auftritt bereit machte, dunkelte es langsam ein. Die fünfköpfige Combo Mighty Roots versorgten Sängerin Jo Elle mit powervollen Reggaeklängen. Jo Elle jagte früher als Proi-Snowboarderin über die weissen Pisten, bevor sie ihre Leidenschaft für die sanften Töne der Karibikinsel entdeckte. Von Laax und St. Moritz hat sie nun nach Montego Bay und Kingston Town gewechselt. «Ich freue mich auf den Reggae-Tag in der wunderschönen Rhybadi», sagte sie vor ihrem Aufritt.» Während sie loslegte, sassen die Besucher eher ein bisschen scheu am Beckenrand oder auf den Holzbrettern am Boden. Einige Kinder tanzten und spielten mit einem Ball. Doch die Offbeat-Klänge massierten intensiv die Kniekehlen und die rauchig, soulige Stimme von Jo Elle sorgte für das passende Topping auf diesem äussert leckeren Reggae-Cupcake. Die Zuschauer waren nun aufgewacht und sammelten sich vor der Bühne. Einige tanzten oder wippten mit im Takt. Die Musik nistete sich in ihren Ohren ein und liess sie nicht mehr los. «Mein Herz brennt nun schon seit 20 Jahren für Reggae und die Musikrichtung hat in Schaffhausen noch immer viele Zuhörer», freute sich Claudio Burri über den Sound und den Event. Auch die Besucher waren begeistert. «Einfach die perfekte Atmosphäre hier», lobte eine Besucherin die «Down by the River», während eine andere wünschte: «Müsste es öfters geben. Von mir aus auch sehr gerne mit ein bisschen mehr Schub in den Boxen.» Als das Konzert endete, waren die Besucher noch längst nicht müde und feierten eine gemütliche und tanzfreudige Afterparty zu weiteren Klängen aus Bob Marleys vielfältiger Plattensammlung.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am Montag, 11. Juli 2022.

Punk-Tornado auf der Tanzfläche

Die Melodic-Hardcore-Urgesteine «Pennywise» zerlegten am Dienstagabend die Kammgarn Schaffhausen. Ein Konzertbericht von Hermann-Luc Hardmeier.

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Jim Lindberg von Pennywise dirigierte genussvoll den Hexenkessel vor der Bühne. (Foto: Michael Kessler, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier)

Zur Hymne von Quentin Tarantinos blutigem Film «Kill Bill» marschierte die Vorband «Bombpops» auf die Bühne. Während aus den Lautsprechern noch «Bang, Bang, my Baby shot me down» erklang, griffen die zwei Musikerinnen und die zwei Musiker bereits in die Saiten. Das martialische Intro machte klar: Dieser Abend würde nichts für zarte Fans von Kuschelrock-CDs werden. Die Band aus San Diego brauste gleich mit Vollgas los und entlockten einem Besucher den lobenden Kommentar: «Endlich ist mal wieder Eskalation angesagt!» Sängerin Jen Razavi liess nichts anbrennen und forderte die Gäste auf, deftig mitzufeiern: «Es ist ein bisschen scary, wenn ihr so steif dasteht. Ich will, dass ihr feiert, als wäre heute das beste Konzert eures Lebens.» Gesagt getan. Die Besucher tauten langsam auf und fuhren auf der Tanzfläche die Ellbogen aus. Nicht zuletzt war der Energieschub auch dem Schlagzeuger zu verdanken, der Dampf machte wie eine Lokomotive auf Ecstasy. Das Sommergewitter verwandelte sich zunächst in einen Sturm. Als sodann «Pennywise» die Bühne betrat, wurde der Sturm zum waschechten Punk-Tornado, der alles und jeden mitriss. Gleich mit dem ersten Song «Fight till you die» erreichte die Stimmung ihren Siedepunkt. Die ganze Halle schien Pogo zu tanzen. Sprechchöre erklangen, Teufelshörner wurden begeistert mit den Fingern gezeigt und das Bier schoss in Fontänen über das Publikum. Als hätten die Besucher seit Jahren nur auf diesen Moment gewartet, wurde mitgefeiert. Der legendären Band aus Hermosa Beach in Kalifornien fiel es auch leicht, sich in die Herzen der Melodic Hardcore-Fans zu spielen. Ihr Sound war hart, aggressiv und trotzdem melodisch. Egal ob sie mit «Fuck Authority» gesellschaftskritisch wurden oder mit «Stand by me» über Emotionen sangen. Die Hauptbotschaft blieb stets dieselbe: Es passiert genug Mist auf der Welt, lass uns die Sorgen wegtanzen und die Machthaber der Welt lautstark von ihrem arroganten Podest stossen. Zwischendurch trieb Sänger Jim Lindberg seine Spässe mit dem Publikum. Er wollte wissen, welche Punkbands sie auf ihren Skatermützen herumtrugen und lobte die NOFX-, Millencolin- oder Bad Religion – Kopfbedeckungen. Danach spielte Pennywise einige Covers und liessen die Halle zu einer Punkversion von AC/DCs «TNT» ausflippen. «Wir machen den Scheiss schon 30 Jahre», lachte Gitarrist Fletcher Dragge und spielte damit auf das Gründungsjahr 1988 an. Im Hexenkessel vor der Bühne gingen unter anderem ein Schuh und eine Brille verloren. Gäste sprangen zum Stagediving auf die Hände der Tanzenden und der Schweiss schien von der Decke zu tropfen. Zum Abschluss des Konzerts erklang die «Bro Hymn», bei welcher wirklich der ganze Saal mitsang. Was für eine Stimmung an einem sonst so harmlosen Dienstagabend.

Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am Freitag, 27. Mai. Von Hermann-Luc Hardmeier.

Wie zwei Freunde, die zusammen abfeierten

Die Musiker Bligg und Marc Sway rockten als «Blay» am Freitagabend die Kammgarn Schaffhausen. Ein Konzertbericht von Hermann-Luc Hardmeier.

Bild: Geballte Partystimmung im Doppelpack. Bligg und Marc Sway in der ausverkauften Kammgarn am Freitagabend. (Foto: Michael Kessler. Bericht: Hermann-Luc Hardmeier)

«Es fühlt sich gut an, nach zwei Jahren Zwangspause endlich wieder zurück zu sein», freute sich Marc Sway, als er am Freitagabend die Kammgarnbühne betrat. Das ungleiche Duo mit dem Pop-Rocker Sway und dem HipHopper Bligg hat sich unter dem Namen Blay zusammengefunden und letztes Jahr ihr erstes Album «Heimspiel» herausgebracht. Die Scheibe flog direkt auf Platz 1 der Schweizer Albumcharts und somit war es auch nicht verwunderlich, dass der Konzertabend in der Kammgarn ausverkauft war. Das Publikum war bunt gemischt mit älteren Musikfans, jungen Partygängern, Kindern und Familien. Die Bühne glich einem Laufsteg, auf welchem Blay mitten ins Gästemeer spazieren konnten. Mit Liedern wie «Us Mänsch» oder «Sorry Mama» zeigten die zwei, wie sie ihre Energie zusammen bündeln können und gemeinsam die Baumgartenstrasse rocken. Beide haben ein sehr tiefes und eindringliches Stimmorgan, welches die Fenster es Clubs zum Vibrieren brachten. Der Auftritt wirkte zudem nicht nur wie der Gig von zwei Profis, sondern sie hatten sichtlich Spass aneinander und es schien, wie wenn zwei Freunde zusammen abfeierten. Blay gab es jedoch nicht nur im Doppelpack, sondern Bligg und Marc Sway nutzten den Abend auch, um ihre eigenen Songs zu spielen. Als «Chef», «Manhattan» oder «Rosalie» erklangen, erinnerte man sich, dass Bligg auch ohne Hilfe die Halle zum Schwitzen und Ausflippen bringen kann. Dies war vielleicht die einzige Schwäche des Abends. Nach den Hits der Einzelauftritte wirkten die gemeinsamen Songs zunächst ein wenig dünn und schwach. Man hatte zwischendurch das Gefühl, es fänden drei Konzerte statt. Einmal mit Bligg, einmal mit Marc Sway und zu Beginn und zum Schluss mit Blay. Alle diese Darbietungen waren gut, aber irgendwie nicht ganz harmonisch kompatibel. Man kann das jedoch auch positiv sehen: Einmal Eintritt zahlen, dreimal Konzerte geniessen. Spätestens bei ihrem Hit «Mona Lisa» hatten Blay die Herzen der Fans wieder vereint. Powervoll und mitreissend wurde getanzt und lautstark mitgesungen. Das Lied und die dazugehörige Show beeindruckten die Besucher so sehr, dass danach minutenlanger Applaus erklang. Blay konnte es kaum fassen, als das Klatschen nicht mehr enden wollten. «Liebst du mich auch so hemmungslos?», wollte Bligg scherzhaft von Marc Sway daraufhin wissen. Es folgten weitere Songs, teilweise in sogar in neuen Interpretationen. Eine der Highlights dabei war eine Karibik-Version von «Musigg i de Schwiiz». Marc Sway und Bligg erzählten zwischendurch viele Anekdoten von ihren gemeinsamen Auftritten. Sie hatten als Blay auch Schulklassen besucht und dabei fünf Klassen ausgewählt, welche sie beim grossen Auftritt im Hallenstadion begleiten dürfen. «Ihr seid dann hoffentlich auch dabei?», rief Bligg in die Kammgarn und lauter Jubel schallte ihm entgegen. «Geili Sieche», freute sich der Musiker und genoss mit Marc Sway den Moment. Blay warteten ganz zum Schluss mit einem Special auf. Ein Mashup von Bliggs Hit «Rosalie» und von Marc Sways «Severina». Die eine Publikumshälfte sang dabei «Rosalie», die andere den Severina-Refrain «Love, love, love». Damit gelang Blay der perfekte und harmonische Abschluss des Abends.

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am Montag, 23. Mai 2022.

Die Tastenlöwinnen trafen den Marathonläufer

«Was ist denn hier los?», fragte sich der eine oder andere TapTab-Besucher am Freitagabend. Auf der Bühne stand ein Bügelbrett und darauf thronten zwei Casio-Kinderkeyboards. Was wirkte wie das Setting eines chaotischen Kindergeburtstags, war aber nichts Geringeres als die Arbeitsfläche von Casiofieber. Die zwei Schaffhauser Damen Vree Ritzmann und Nora Vonder Mühll eröffneten den Konzertabend und ernteten immer wieder grossen Applaus. Witzig, harmonisch und fetzig waren ihre Songs, die einmal von depressiven Freunden oder ein andermal von der Vergänglichkeit der Zeit bei «Ich bin die Uhr» handelten. Einmal mussten sie ein Lied erneut starten, aber auch das meisterten sie souverän und sehr sympathisch. Zu «Schüsse im Wald» oder «Land der Zwerge» wurde getanzt oder verträumt mitgeschunkelt. Die zwei Tastenlöwinnen rockten das TapTab und bereiteten den Boden für den Hauptact des Abends. Als der St. Galler Manuel Stahlberger mit seiner fünfköpfigen Band die Bühne betrat, waren die Gäste im rappelvollen TapTab schon ordentlich in Tanzstimmung. Stahlberger bot einen Mix aus elektronischem Discosound und nachdenklichem Hypnose-Pop. Er ist derzeit auf Tour für sein neustes Album «Lüt of Fotene». Zu Liedern wie «Hütte», «Drifte» oder «Gar nöd i» zündete das Stroboskop im Takt und die Bässe wummerten durch den Saal. Dazwischen ergriff Stahlberger immer wieder das Wort und erzählte kleine Anekdoten zu den Songs. Sein trockener, lakonischer Humor zeichnete dabei abwechselnd ein Lächeln oder ein Fragezeichen auf die Gesichter der Besucher. Und genau dieser Mix schien dem Maestro vorzüglich zu gefallen. Ein Beispiel: «Ich habe geträumt, ich treffe meinen Onkel. Er sage mir, es sei Welt-Aufräumtag. Aber ich dürfe nicht mitmachen.» Während man noch über die philosophische Tiefe der Aussage rätselte, startete bereits das nächste Lied. Die Musik von Stahlberger glich einem powervollen Marathonlauf, bei dem zwischendurch in die Steckdose gegriffen wird. Treibend, mitreissend, energetisch, aber auch gemütlich. Einfach der perfekte Soundtrack, um sich für das Wochenende einzustimmen. Der Abend endete mit fetzigen Vinyl-Beats von DJ Fancy Fingers.

Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 9. Mai 2022. Von Hermann-Luc Hardmeier.

Stage-Diving mit der musikalischen Wundertüte

In der ausverkauften Kammgarn sorgte am Freitag die Band Bukahara für kollektive Kniebeugen und staunende Besucher. Ein Konzertbericht von Hermann-Luc Hardmeier.

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Volles Haus und gute Stimmung beim Aufritt des deutschen Hauptacts Bukahara in der Kammgarn. (Bericht: Hermann-Luc Hardmeier. Foto: Melanie Duchene)

Am Freitagabend platzte die Kammgarn aus allen Nähten. Die zwei Bands Suma Covjek und Bukahara hatten knapp 800 Gäste angelockt, welche sich auf einen sehr abwechslungsreichen Abend freuten. Suma Covjek heizte als Vorband die Halle ein. Die junge Partyband mit ihren Wurzeln in Bosnien und Algerien zeigte ein sehr breites Spektrum von melancholischen Balladen bis hin zu Balkan-Pop. Wer die Texte verstehen wollte, war intensiv gefordert. Denn die acht Musiker sangen auf Französisch, Serbokroatisch, Spanisch, Englisch und auch auf Arabisch. Mit ihrem Hit «Bouge ton Coeur» brachte die Combo definitiv den Frühling in die Kammgarn. Die dreiköpfige Bläserfraktion sorgte für energievolle Melodien und Druck, während die zwei Sänger feierten und auf der Bühne kräftig mittanzten. Doch die Künstler hatten nicht nur gute Stimmung, sondern auch nachdenkliche Botschaften im Gepäck: «Wir sind verwundbare Wesen, welche eine helfende Hand benötigen», sangen sie im Song «Fata Morgana». Später riefen sie zur Solidarität mit allen Menschen auf, die derzeit auf der Flucht sind. Nach gut einer Stunde verabschiedeten sie sich unter grossem Applaus und überliessen die Bühne dem Hauptact des Abends. Als Bukahara mit der Hymne aus dem Boxer-Film «Rocky» einmarschierten, gab es kein Halten mehr. Eigentlich war die Band kein Partyvulkan, aber sie wurden ab der ersten Minuten gefeiert, als ob es kein Morgen gäbe. Die Gäste tanzten und sangen voller Power mit, sodass der Posaunist nach dem ersten Stück begeistert fragte: «Leute, wie geil seid ihr denn drauf?» Bukahara spielte in der Kammgarn ihren Tourneeabschluss und bestritten dabei ihr 22. Konzert. Man merkte es daran, dass die Stimmen schon etwas heiser waren, sie aber genau wussten, wie sie die Menge zum Ausflippen bringen konnten. Es wurde kollektiv geschunkelt, auf den Boden gekniet und Tanzschritte eingeübt. Ihre schräge-interessante Musikombination aus Gitarre, Posaune, Kontrabass, Geige und Standschlagzeug machte das Quartett unvergleichlich. Gekrönt wurde das Ganze von den tiefsonoren Stimmen, welche sogar Darth Vader neidisch machen würden. Die Musik war extrem kreativ und eine musikalische Wundertüte, die einen immer wieder aus den Socken haute. Ein Song war komplett auf Arabisch, das Publikum übernahm einmal die Rolle des Schlagzeugs, plötzlich leuchtete eine Lampe aus dem Sousaphon in der stockdunklen Kammgarn und einer der Musiker stürzte sich zum Stagediving in die Menge. Bierdusche inklusive. Eine Überraschung gab der nächsten die Türklinke in die Hand. Die Besucher feierten, tanzten und genossen die gelungene Unterhaltung. Einige der Gäste hatten hatten sich für die Show eine stylische Garderobe ausgesucht. Jemand trug ein rotes Halstuch wie Luky Luke, einige Damen hatten bunte Haarschleifen und Stirnbänder umgebunden. Wieder andere demonstrierten stolz, dass der Schnauzbart seine Rückkehr feierte. Bukahara wollte aber nicht nur die Gäste, sondern auch sich selbst herausfordern. Am Freitag spielten sie gleich vier Songs, die sie noch nie auf einer Bühne gezeigt hatten. Die Reaktion war so positiv, dass der Sänger meinte: «Wir sind überwältigt von eurer Energie. Das ist wie ein schöner Traum heute Abend.» Zum Schluss gaben sie dann noch einmal alles, um die Halle zum Dampfen zu bringen. Mit «No!» und «Eyes wide Shut» legten sie Feuer auf der Tanzfläche und verabschiedeten sich von der begeisterten Kammgarn.

Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten“ am 2. Mai 2022. Von Hermann-Luc Hardmeier

Polka-Explosion im TapTab

Die Schaffhauser Band «Palko!Muski» brachte die Baumgartenstrasse am Freitag zum Schwitzen. Von Hermann-Luc Hardmeier.

Wenn man einen Toaster in die Badewanne schmeisst, dann ergibt das in etwa das Gefühl, das am Freitagabend im Schaffhauser Club «TapTab» vorherrschend war. Starkstrom, Power, Energie, Exzess und Euphorie. Die fünfköpfige Band Palko!Muski kannte kein Halten und quasi ab dem 1. Song herrschte Partystimmung auf Knopfdruck. Sänger Baptiste Beleffi animierte die Besucher immer wieder mitzusingen und im richtigen Moment die Arme in die Luft schnellen zu lassen. Im blauen Strobokskop-Licht wirkte das sehr ansprechend und mitreissend. Bereits beim 3. Song riss der Frontmann der Combo sich das Hemd vom Oberkörper und fragte: «Is this enough?». Ein lautes «No!» schalte ihm entgegen. Es brodelte und strudelte, als ob das TapTab in einem Whirlpool mit bissigen Piranhas sitzen würde. Die Stimmung im Club an der Baumgartenstrasse war absolut ausgelassen. Die Band nutzte die Gelegenheit, um auch eine klare politische Position zu markieren. «This is for my brothers and sisters in the Ukraine!”, sagte der Sänger und grosser Applaus erklang. Er kämpfte sich in der Folge von der Bühne auf die Hände der Besucher. Nicht nur buchstäblich, sondern in Tat und Wahrheit. Stage-Diving bekam am Freitagabend eine neue Dimension. Singend und fordernd wurde Baptiste Beleffi durch das TapTab getragen. Plötzlich kroch er am Boden, dann sprang er an die Säule inmitten des Raumes und kletterte sie empor. Der Hexenkessel hatte seinen Siedepunkt erreicht und die Menge feierte den Auftritt der wilden Truppe. Vor der Bühne wurde intensiv Pogo getanzt. Mit ausgefahrenen Ellbogen und viel Energie duellierten sich die Zuschauer auf der Tanzfläche, während Palko!Muski den Takt vorgab. «Is this enough?», wollte der Frontmann erneut wissen und laute Chöre mit der Aufforderung «Einer geht noch!» erklangen. Die Temperatur kletterte das Barometer empor. Die Sauna an der Baumgartenstrasse arbeitete auf Hochtouren. Neben allen bekannten Palko!Muski-Songs erklang plötzlich die Partisanen-Hymne «Bella Ciao». Mittlerweile gab es kein Halten mehr. Die Gäste feierten, tanzten, sangen, eskalierten. Es wurde geschwitzt, geröchelt und gekämpft. Kein Tanzbein blieb arbeitslos und keine Kehle trocken. «Absolut fantastisch», freute sich eine Besucherin, die gerade an der Shotbar neben der Tanzfläche eine Runde bestellte. Nach dem Konzert startete das Trubači Soundsistema die Partyrakete und sorgte dafür, dass das ausgelassene Fest bis in die frühen Morgenstunden andauerte.

Erschienen am Montag, 11. April 2022 in der Zeitung «Schaffhauser Nachrichten» von Hermann-Luc Harmdier.

Disclaimer: Es handelt sich beim Bericht um einen Stimmungsbericht. Keine Konzertkritik. Ziel des Berichts war es, den Lesern die Stimmung während des Konzertes zu vermitteln.

Die Beute von Stereo Luchs flippte aus

Stereo Luchs brachte mit Dancehall-Vibes am Samstagabend die proppenvolle Kammgarn zum Kochen. Er sprach aber auch über den Ukrainekrieg. Von Hermann-Luc Hardmeier.

Foto: Christoph Merki, Bericht: Hermann-Luc Hardmeier

Luchse sind dafür bekannt, dass sie sich erst in der Abenddämmerung aus dem Wald herauswagen. Sie lauern ihrer Beute auf und pirschen sich langsam an sie heran. Ganz anders war am Samstagabend der Auftritt von Stereo Luchs in der Kammgarn. Mit Stroboskop-Blitzen und lauten Beats vom DJ-Pult stürmte der Protagonist des Abends auf die Bühne. In der freien Wildbahn wären die Beutetiere wohl vor Schreck erstarrt. Im Kulturtempel am Rhein jedoch wurde er gefeiert, als hätte man seit der Coronapause sehnsüchtig nur auf ihn gewartet. Proppenvoll war der Saal mit jungen Menschen. Die Songs wurden lautstark mitgesungen. Die Besucher tanzten und prosteten sich begeistert zu.

Vom Architekten zum Solokünstler

Wie kam es dazu, dass Silvio Brunner, wie Stereo Luchs im bürgerlichen Leben heisst, so durchstarten konnte? 2007 brachte er zusammen mit dem Dancehallkünstler Phenomden sein erstes Album heraus. Sie lebten damals zusammen in einer WG in Zürich und nahmen die Erfolgsscheibe in ihrem Studiokeller auf. Eher unscheinbar und ein bisschen als Sidekick von Phenomden fiel Stereo Luchs noch nicht so auf, dass er die Kammgarn hätte füllen können. Das war ihm auch sehr recht, denn er hatte ein anderes Ziel: Er studierte Architektur. Später arbeitete er bei der Zürcher Baudirektion und merkte erst dann, dass für ihn Musik mehr als nur ein kleines Hobby sein soll. Er entschied sich für eine Solokarriere und brachte 2013 sein erstes eigenes Album «Stepp usem Reservat» heraus. Danach sollte es nochmals vier Jahre gehen, bis er endlich die Rakete mit Vollgas zünden konnte. Bei den Alben «Lince» von 2017 und «Off Season» von 2019 schnellten die Verkäufe in die Höhe. Stereo Luchs wurde nicht nur in den Clubs, sondern auch im Radio gespielt. Am Samstagabend war er nun mit seiner neusten Scheibe «Stereo Luchs» auf Tourstopp in der Munotstadt. Nachdem die Musikerin Soukey als Vorband eingeheizt hatte, gab es bei seinem Betreten der Bühne kein Halten mehr.

Wie eine Haifischattacke

Die Musik von Stereo Luchs bewegt sich zwischen Dancehall, R&B und HipHop. Leicht gewürzt mit Afrobeats und etwas Pop. Als Besucher fühlte man sich an eine gemütliche Gummibootfahrt auf dem Rhein erinnert. Die Sonne brennt und man geniesst in vollen Zügen den Sommer. Doch für’s Faulenzen bleibt keine Zeit, denn die Gummibootfahrt wird regelmässig von Attacken gefrässiger Haifische oder von einem blitzartig aufgetauchten Wassertornado gestört. Kurz gesagt: Gemütlichkeit trifft auf Eskalation. Die Gäste tanzten nicht nur, sie sprangen in die Luft, wirbelten ihre Pullover wie Helikopterproppeller über ihren Köpfen oder zückten die Feuerzeuge. «Vielen Dank für den warmen Empfang und für die Vibes», freute sich Stereo Luchs und liess sich auch selbst ein paar Tanzschritte entlocken. Der Künstler war aber nicht nonstop eine Partykanone. Immer wieder nahm er sich auch Zeit für ruhigere Lieder und wurde an einer Stelle der Veranstaltung auch politisch. Er kritisierte den Krieg in der Ukraine und legte eine Schweigeminute für die Opfer ein. Es war sehr beeindruckend, wie über 700 Gäste schweigend im Saal standen und ihre Feuerzeuge oder Smartphones kämpferisch und mitfühlend in die Höhe hielten. Danach spielte Stereo Luchs nochmals einige seiner grössten Hits und liess die Kammgarn begeistert zurück. Der Abend ging danach mit einer deftigen Afterparty bis in die frühen Morgenstunden weiter. Stereo Luchs verabschiedete sich unter grossem Applaus von der Bühne und bilanzierte passend: «Schaffhausen, ihr wart unglaublich nice!»

Von Hermann-Luc Hardmeier. Erschienen in der Zeitung „Schaffhauser Nachrichten am Montag, 21. März 2022.